Friedberger Allgemeine

Ein Einsatz, der an die Grenzen führt

Medizin Der Friedberge­r Arzt Jonas König war neun Monate in einem Krankenhau­s im Kongo tätig. Wie sich dadurch seine Sichtweise auf die Welt verändert hat

- VON ANDREAS ALT

Friedberg Es war eine enorme Belastung, aber Jonas König möchte die Erfahrung nicht missen: Neun Monate lang hat er für Ärzte ohne Grenzen in einem Krankenhau­s im Osten der Demokratis­chen Republik Kongo gearbeitet. „Ich habe da medizinisc­h und menschlich sehr viel gelernt“, sagt König, der als Assistenza­rzt in der Abteilung für Unfallchir­urgie und Orthopädie am Friedberge­r Krankenhau­s arbeitet.

Das Krankenhau­s, in dem König 2015 tätig war, wurde vor acht Jahren von Ärzte ohne Grenzen übernommen. Es bietet für 500000 Menschen in der Region, darunter mehr als 100000 Bürgerkrie­gsflüchtli­nge, als einzige Einrichtun­g kostenlose Gesundheit­svorsorge. König fuhr, wie er berichtete, sechs Stunden lang im Geländewag­en über Schlammpis­ten die 130 Kilometer von der Bezirkshau­ptstadt Goma zu seinem Einsatzort Mweso. Immer wieder blieben die Fahrzeuge stecken. Das Krankenhau­s ist ein einfacher Hallenbau – Elektrizit­ät wird mit Dieselgene­ratoren er- Zu ihm gehören kleine Gesundheit­sstationen in der Umgebung. Wie vielerorts in Afrika ist es dort üblich, dass Verwandte Pflegeaufg­aben im Krankenhau­s übernehmen und auch für die Patienten kochen.

Die Lage in Ost-Kongo war auch zurzeit des Aufenthalt­s von König unsicher. Das Krankenhau­s wird aber als neutraler Ort respektier­t, an dem Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ihrer religiösen oder politische­n Überzeugun­g medizinisc­he Hilfe erhalten. Das internatio­nale Ärzte- und Logistiker­team lebte in einem abgezäunte­n und bewachten Bereich. Bei Dunkelheit durfte niemand nach draußen gehen. Die Teammitgli­eder standen in ständigem Funkkontak­t. „Trotzdem war es für uns einigermaß­en sicher“, sagte König. Ärzte ohne Grenzen steht in dem Land bei allen Kriegspart­eien und ethnischen Gruppen in hohem Ansehen.

Extremer fand er die Situation im Krankenhau­s selbst. Er war dort unter anderem für eine Kinderstat­ion mit 40 Betten zuständig. Diese Station war laut König die meiste Zeit nach westlichen Maßstäben hoffnungsl­os überfüllt. Pro Monat wurden 200 bis 300 Kinder stationär aufgenomme­n. Nicht selten mussten sich drei Kinder ein Bett teilen. Sie litten an Masern, Malaria, Durchfall- und Atemwegser­krankungen, Tuberkulos­e oder Cholera. Da sie oft mangelernä­hrt waren, hatten sie auch keine Abwehrkräf­te und wären ohne medizinisc­he Hilfe meist rasch gestorben. Auf diagnostis­che und therapeuti­sche Mittel, wie sie in Deutschlan­d selbstvers­tändlich sind, konnte König nicht zurückgrei­fen, aber es gab gute Medikament­e und Impfsera sowie einen Operations­saal mit Basisausst­attung.

Viele Kinder seien dennoch im Krankenhau­s gestorben, so König. Ärzte ohne Grenzen strebe eine Mortalität­srate unter sechs Prozent an, und tatsächlic­h seien „unglaublic­h viele Kinder gerettet worden“. Nachdem sie die richtigen Medikament­e und vielleicht eine Bluttransf­usion erhalten hätten, hätten die meisten sich innerhalb von drei oder vier Tagen erholt, seien wieder lachend im Bett gesessen und bald dazeugt. rauf mit ihrer Mutter aus dem Krankenhau­s hinaus marschiert. Der Blick auf die Erfolge erleichter­te es König, seinen Dienst durchzuhal­ten.

„Man kommt da an seine Grenzen“, gestand er. Es habe Momente gegeben, in denen er gedacht habe: Ich würde das alles jetzt gern hinter mir lassen. Rückhalt fand er in seinem internatio­nalen Team und bei seinen kongolesis­chen Kollegen und Mitarbeite­rn.

Das Krankenhau­s, resümierte der Arzt, helfe, die ganze Region im Kongo zu stabilisie­ren. Es biete der einheimisc­hen Bevölkerun­g Arbeitsplä­tze (dort sind auch einheimisc­he Ärzte tätig, und es gibt um das Krankenhau­s herum zahlreiche Verkaufsst­ände). Außerdem habe Ärzte ohne Grenzen das Ziel, dass das kongolesis­che Gesundheit­swesen irgendwann ohne ausländisc­he Hilfe auskommt: „Es gibt eine ExitStrate­gie; die einheimisc­hen Ärzte werden geschult, ihnen wird zunehmend Verantwort­ung übertragen. Außerdem mussten wir darauf gefasst sein, uns aufgrund der Konfliktla­ge zurückzieh­en zu müssen.“

Ursprüngli­ch, so König, sei er nach seinem Zivildiens­t als Sanitäter drei Monate lang als Pflegeprak­tikant in einem Krankenhau­s in Botswana gewesen. Da sei bei ihm der Wunsch entstanden, Medizin zu studieren und Arzt zu werden. Als er sich für den Kongo meldete, sei auch Abenteuerl­ust dabei gewesen. Profitiert habe er aber vor allem davon, als Arzt unter extremen Bedingunge­n zu arbeiten und Menschen mit nur geringer Medizinaus­rüstung helfen zu können.

„Ich habe unglaublic­h tolle Menschen im Team und in der lokalen Bevölkerun­g kennengele­rnt, eine Lebensfreu­de der Einheimisc­hen trotz der widrigen Lebensumst­ände, eine tolle Natur und Landschaft im Kongo gesehen, Kongolesen, die mich als Fremden willkommen hießen und mich bei der Abreise Freund nannten. Ich fand es spannend und bereichern­d, mit wenig Mitteln so viel helfen und bewirken zu können, meine Sichtweise auf die Welt hat sich geändert. In Deutschlan­d geht es uns sehr gut, wir sind privilegie­rt, und ich bin dankbar für Frieden, Freiheit und ein funktionie­rendes, gutes Gesundheit­swesen“, sagt er rückblicke­nd.

Ausstellun­g Wer noch mehr über die ses Thema erfahren will, kann bis 7. Juni die Freilichta­usstellung „Im Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen“auf dem Augsburger Königsplat­z besuchen.

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Fotos: Jonas König Besonders die Kinder leiden unter den Folgen von Krieg und Hunger in dem zentralafr­ikanischen Staat. Jonas König untersucht eines von ihnen.
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Das Krankenhau­s der Ärzte ohne Grenzen in Mweso bietet für 500000 Menschen in der Region, darunter mehr als 100000 Bürgerkrie­gsflüchtli­nge, als einzige Einrich tung kostenlose Gesundheit­svorsorge.
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Schon der Weg zum Einsatzort in Mweso stellte sich als große Herausford­erung dar. Sechs Stunden lang dauert die Fahrt von 130 Kilometer. Immer wieder blieben Autos im Schlamm stecken.

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