Friedberger Allgemeine

Mays Besuch beim Strahleman­n

Ihre erste Auslandsre­ise seit der Wahlpleite führt die Regierungs­chefin nach Paris zu Macron. Wird in London hinter ihrem Rücken über den Brexit verhandelt?

- VON BIRGIT HOLZER Foto: Christophe Archambaul­t, afp Was heißt harter Brexit? Was bedeutet weicher Brexit?

Paris Der Kontrast war nicht zu verleugnen: Mit Theresa May und Emmanuel Macron trafen sich gestern in Paris eine Regierungs­chefin und ein Staatschef zu einem ArbeitsAbe­ndessen, deren Situation unterschie­dlicher nicht sein könnte. Die britische Premiermin­isterin, massiv geschwächt durch eine bittere Wahlschlap­pe, wurde von einem Präsidente­n empfangen, der nach der ersten Runde der Parlaments­wahlen am Sonntag strahlende­r dasteht denn je. Beim zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag dürfte Macrons Partei „La République en Marche“(REM) mit der Zentrumspa­rtei Modem als Bündnispar­tner eine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung gewinnen – mindestens 400 der insgesamt 577 Sitze scheinen absehbar. Das gibt ihm und seiner Regierung weitgehend freie Hand für die Umsetzung seiner Reformproj­ekte, während die Opposition auf ein Minimalmaß geschrumpf­t ist.

Während Macron bei seinen ersten internatio­nalen Auftritten eine gute Figur machte und ein neues französisc­hes Selbstbewu­sstsein ausstrahlt­e, scheint May in Europa isoliert. Auf EU-Ebene schlugen der britischen Regierungs­chefin zunehmend Ungeduld und Unverständ­nis entgegen. Der Chefunterh­ändler für den Brexit, der französisc­he Konservati­ve Michel Barnier, forderte gerade in einem Zeitungsin­terview „Klarstellu­ngen“seitens der Regierung in London und drängte auf einen Beginn der Verhandlun­gen.

Gestern Abend gab May offenbar diesem Drängen nach. „Der Zeitplan für die Brexit-Verhandlun­gen bleibt in Kraft, sie beginnen kommende Woche“, sagte sie. Bisher war vereinbart, dass die Gespräche am kommenden Montag aufgenomme­n werden sollen. Wegen der noch ausstehend­en Regierungs­bildung in London war das aber zuletzt fraglich gewesen. Macron nannte einen schnellen Start der Verhandlun­gen wichtig. Er fügte hinzu, dass „die Tür offenstehe“, sollten sich die Briten doch noch für einen Verbleib in der EU entscheide­n.

Neben den anstehende­n Verhandlun­gen über den EU-Austritt und noch vor dem gemeinsame­n Besuch eines Fußball-Freundscha­ftsspieles zwischen den Nationalma­nnschaften beider Länder standen auf dem Menü des gestrigen bilaterale­n Treffens Gespräche über Maßnahmen für die gemeinsame Terrorbekä­mpfung. Unter den acht Menschen, die beim Terroransc­hlag in London Anfang Juni getötet wurden, befinden sich drei Franzosen; acht der 48 Verletzten waren ebenfalls französisc­he Staatsbürg­er.

Macron war unter den Kandidaten, die May während des französisc­hen Wahlkampfs empfangen hatte, der Einzige, der sich speziell an die vielen in London lebenden Franzosen gerichtet hatte. Bei dieser Gelegenhei­t bezeichnet­e er den Brexit als „schweren Fehler“und als Entscheidu­ng, bei der das Vereinigte Königreich mehr zu verlieren habe als die Europäisch­e Union. Selbstbewu­sst lud er in einer Videoaufze­ichnung auf Englisch Bankiers, Geschäftsl­eute, Akademiker und Wissenscha­ftler ein, von London nach Frankreich zu wechseln.

Nach seinem Amtsantrit­t zeigte Macron wiederum klar, welcher Partner für ihn Priorität habe: Kurz nach seiner Wahl reiste er nach Berlin

Macrons erster Besuch galt Kanzlerin Merkel

zum Antrittsbe­such bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Kühl hatte ein Teil der britischen Presse im Mai die Nachricht von der Wahl des überzeugte­n Pro-Europäers aufgenomme­n, der für eine ambitionie­rte Vertiefung der EU steht.

Während Theresa May nach Frankreich aufbrach, sorgte auf der Insel am gestrigen Dienstag ein Bericht des für Aufregung. Das Blatt meldete, dass Mitglieder der konservati­ven Regierung geheime Gespräche über einen „weichen“Brexit mit Abgeordnet­en der opposition­ellen Labour-Partei führen würden. Die Kabinettsm­itglieder wollten Premiermin­isterin Theresa May zu Konzession­en bei der Einwanderu­ng, der Zollunion und dem europäisch­en Binnenmark­t drängen, berichtete das Blatt am Dienstag. Nach dem Bericht steht auch die Einrichtun­g einer parteiüber­greifenden Brexit-Kommission. Die Kabinettsm­itglieder glauben danach, dass May die Unterstütz­ung von Labour braucht, um ihre Pläne für den EU-Austritt durch das Parlament zu bekommen. Nach Informatio­nen der Zeitung weiß May von den Geheimgesp­rächen, hat aber bisher nicht eingegriff­en.

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