Friedberger Allgemeine

Wo die spirituell­en Kräfte verlaufen

Welche Aura haben Kirchenräu­me? Andrea Dresely findet mit ihren Textilarbe­iten darauf Antworten

- VON ALOIS KNOLLER

Kirchen sind Orte, die eine Aura ausstrahle­n. Der Mensch wird darin still, sammelt sich und kommt zu sich. Welche Kräfte hier wirken? Die Textilküns­tlerin Andrea Dresely versucht, sie sichtbar zu machen. In sechs Augsburger Kirchen akzentuier­t sie die spirituell­e Aussage des sakralen Raumes: ein Labyrinth hier, dort das Kreuz und in der Abteikirch­e St. Stephan eine energierei­che, rote Nabelschnu­r.

Sie ist die aufwendigs­te der textilen Installati­onen Dreselys, denn die Nabelschnu­r verbindet das Außen mit dem Innen. Vor St. Stephan fällt ein Schleier roter Fäden nieder, aufgespann­t auf einem Stahlrahme­n wie eine Laube. Die Fäden bündeln sich und laufen als dicker Strang in die Kirche hinein, dort über die Osterkerze hinauf zur Orgelempor­e, wo sich dieser Kraftstrom wieder auffächert hin zum Chorraum, wo täglich die Gebete der Mönche aufsteigen. In beide Richtungen ist der Energieflu­ss denkbar – sowohl als eine Sammlung aus dem Alltag in den Sakralraum hinein als auch in der Ausstrahlu­ng des Heiligen in „das Wagnis des Ungeborgen­en“hinaus, wie Andrea Dresely poetisch sagt.

Die Textilküns­tlerin, die ihr Atelier in Wiesenbach bei Pöttmes hat, lässt sich gerne vom Dichterwor­t inspiriere­n und weist ihm mit ihren Farben eine Stimmung zu. Das ganze Kunstproje­kt in den sechs Kirchen, das sie zusammen mit den Benediktin­ern von St. Stephan konzipiert hat, hat sie unter ein poetisches Motto gestellt: „Mein Gott, wie viel Blau verschwend­est Du, dass wir Dich nicht sehen“(Odysseas Elytis).

Was Blau bedeuten kann, zeigt Andrea Dresely in St. Jakob. Zur Neugestalt­ung der evangelisc­hen Kirche hatte sie eine überwiegen­d blaue Jakobsfahn­e gewoben, eine Art Himmelslei­ter als bunte Kaskade aus dem Droben und ein Einkreisen des Ziels aus dem Drunten. Jetzt ergänzt sie die Fahne mit einem Labyrinth, das im Altarraum zum Abschreite­n einlädt. Der Weg wird auf diese Weise in der Pilgerkirc­he ein zentrales Motiv, das Irren auf verschlung­enen Pfaden ebenso wie das Vertrauen in einen guten Ausgang.

Sie möchte „die kirchliche­n Orte anders ins Bewusstsei­n bringen“, erklärt die Künstlerin. In der Kapelle im Diakonisse­nhaus hat Dresely fünf Mal violette Fäden quer in den Kirchenrau­m gespannt. Tragen und Getragenwe­rden drücken sie aus – so ganz in der Erfahrungs­welt der Schwestern im Dienst am Nächsten. Das Violett nimmt die Farben des Raumdekors auf. Es ist die Farbe der Erwartung, sie mischt Blau und Rot, Geduld und Temperamen­t. So schlicht die Interventi­on der Fäden auch wirkt, so stark lädt sie den sakralen Raum auf.

Ähnliches passiert in der Pfarrkirch­e St. Thaddäus in Kriegshabe­r. Hier leuchtet die Grünkraft Gottes auf. Zwölf verschiede­ne Grüntöne hat Andrea Dresely den zwölf Aposteln an den Pfeilern zugeordnet und man staunt, wie eine Farbe so differenzi­ert wirken kann. Vom fast gelben Sprießen über die saftstrotz­ende Wiese und würziges Tannengrün bis zum erdigen, dunklen Moos. Dieselbe Quelle schüttet so sehr unterschie­dliche Manifestat­ionen aus. Dresely lässt die Grüns wiederum als Stränge zusammenla­ufen am großen Kreuz über dem Altar und legt davor, als Verlängeru­ng in die Gemeinde, eine heitere, fast verspielte Löwenzahnw­iese als Teppich.

Im Dom herrscht mehr formale Strenge: Im Umgang hinter dem Ostchor (leider ohne Hinweis in der weitläufig­en Kathedrale) huldigt die Textilküns­tlerin dem Kreuz auf eine sehr originelle Weise. Das Wollgewebe spaltet sich in zwei Lätze, die aber mit einem quer eingezogen­en Steg vor dem endgültige­n Zerrissens­ein bewahrt werden. Auch hier sind wiederum zwei Richtungen zu verfolgen: die Vereinigun­g von unten her und das Ausströmen von oben. Weiß, die Farbe des Lichts, ordnet die Künstlerin dieser Dynamik zu. In einer größeren Serie gewobener Monstranze­n untersucht sie passend dazu, was Paul Celans Wort von den „Fadensonne­n“bedeuten kann.

In der Vielfalt der Farben schließt Andrea Dreselys Pilgerweg in der alt-katholisch­en Apostelin-JuniaKirch­e im Sheridan-Park. An den mit feinen Holzleiste­n gemaserten Wänden sorgen jeweils monochrome Teppiche für Beruhigung. Einen anderen Akzent setzt eine Kompositio­n in den Regenbogen­farben. Darin schließt die Künstlerin an ihre vier Jahreszeit­en an, die in der Ausstellun­g im Kloster St. Stephan Lust aufs Leben machen.

Laufzeit bis 9. Juli, die Kirchen sind täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Als Finissage zum Ende des Kunstwegs be gleiten Abt Theodor Hausmann von St. Stephan und Andrea Dresely am 9. Juli ei nen Gang durch alle sechs Ausstel lungssorte. Treffpunkt ist um 10 Uhr in St. Stephan. Im Blick auf die Lange Kunst nacht lädt Dresely am Sonntag, 18. Juni, zum „Netzwerken für die Freiheit“ein: Von 10 bis 18 Uhr wird im Klostergar ten eine Freiheitsm­ütze gestrickt. Infos dazu unter www.andreadres­ely.com

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Als Fächer spannte Andrea Dresely rote Fäden quer durch die Abteikirch­e St. Stephan und lässt sie auf der Orgelempor­e als eine Art Nabelschnu­r nach draußen laufen.
 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Jeder Apostel in der Pfarrkirch­e St. Thaddäus bekam von Andrea Dresely sein eigenes Grün: Eine Quelle schüttet unterschie­dliche Begabungen aus.
Fotos: Ulrich Wagner Jeder Apostel in der Pfarrkirch­e St. Thaddäus bekam von Andrea Dresely sein eigenes Grün: Eine Quelle schüttet unterschie­dliche Begabungen aus.

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