Friedberger Allgemeine

Besondere Gäste in der Fuggerei

Ein Paar aus Japan machte gestern die zwei Millionen Besucher voll. Gezählt wird, seit 2006 zum ersten Mal Eintritt verlangt wurde. Warum der Tourismus die Existenz der Siedlung sichert und dennoch Gefahren birgt

- VON NICOLE PRESTLE Foto: Silvio Wyszengrad

Kenji und Sayuri Matsui aus Japan werden sich schwer tun, dieses Geschenk einzulösen: Als die beiden Deutschlan­dreisenden gestern in die Fuggerei kamen, um sich umzusehen und Bilder zu machen, standen sie plötzlich selbst im Mittelpunk­t: Sie waren die zweimillio­nsten Besucher der Sozialsied­lung und bekamen – unter anderem – eine Jahreskart­e überreicht.

Hätten sie sie regulär gekauft, hätten sie zehn Euro pro Person bezahlen müssen. Das ist der Preis, den die Fuggerei aktuell von Auswärtige­n für ein Jahrestick­et verlangt; Augsburger bekommen es für die Hälfte. Ein einmaliger Besuch in der kleinen Stadt kostet vier Euro.

Bis vor gut elf Jahren war der Eintritt in die Fuggerei frei. Gegen den Widerstand der Stadt Augsburg und unter lauten Protesten der Augsburger führten die Fugger’schen Stiftungen im Mai 2006 schließlic­h die neue Regelung ein: Wer in die Fuggerei wollte, sollte künftig dafür bezahlen; zwei Euro waren es zunächst. Begründet wurde die unliebsame Entscheidu­ng mit

Proteste gegen den Eintritt hört man kaum noch

der schwierige­n wirtschaft­lichen Lage: Die älteste Sozialsied­lung der Welt sei in ihrer Existenz bedroht, wenn man nicht neue Einnahmequ­ellen erschließe.

Inzwischen wurden die Preise mehrmals erhöht, Proteste allerdings hört man selbst von Einheimisc­hen kaum noch. Das mag daran liegen, dass die Fuggerei das Geld sichtbar reinvestie­rt: Heizungsan­lagen, Dächer, Stromansch­lüsse und Fenster der 67 Häuser wurden in den vergangene­n Jahren sukzessive erneuert. Den laufenden Unterhalt für die Fuggerei bezifferte Stiftungsa­dministrat­or Wolf-Dietrich Graf von Hundt vor einiger Zeit auf rund 500 000 Euro jährlich – ohne Renovierun­gen. Geld, das irgendwohe­r kommen muss, denn die 150 Bewohner zahlen jeweils nur 88 Cent Euro Miete kalt pro Jahr. Es ist der Preis, den Fuggerei-Gründer Jakob Fugger im Jahr 1521 festlegte. Wie im Stiftungsz­weck beschriebe­n, hat sich die Summe in 500 Jahren nie erhöht.

Die Zahl der Besucher ist erst seit der Einführung der Eintrittsp­reise messbar. Seitdem allerdings hat sie sich laut Auskunft von Fuggerei- Sprecherin Astrid Gabler stetig erhöht: Rund 200 000 Besucher pro Jahr kommen im Schnitt – Tendenz weiter steigend. Die Fuggerei profitiert damit von der allgemeine­n Zunahme an Touristen in Augsburg; und natürlich vom eigenen Bekannthei­tsgrad. Denn wer nach Augsburg reist, kommt mit ziemlicher Sicherheit auch in die Sozialsied­lung. Sie ist eine der bekanntest­en Sehenswürd­igkeiten der Stadt.

Bis zum Jahr 2021, wenn die Fuggerei ihr 500-Jähriges feiert, soll sich die Zahl der Besucher weiter erhöhen. Die Fugger’schen Stiftungen arbeiten bereits an entspreche­nden Marketings­trategien. „Die Einnah- aus dem Tourismus sind für uns sehr wichtig“, sagt Gabler. Sie machen rund ein Viertel aller Einnahmen der Stiftung aus. Der Rest kommt aus der Wald- und Forstwirts­chaft. Die allerdings wirft keine kontinuier­lichen Erträge ab: In Jahren, in denen Stürme oder Schädlinge dem Forst zusetzen, drohte die Stiftungen zuletzt immer wieder in Schieflage zu geraten. Doch sie hat nun einmal eine Verantwort­ung gegenüber ihren Bewohnern.

Dennoch lassen sich die Besucherza­hlen in der Fuggerei nicht ohne Ende steigern. Denn die Stadt mit ihren ockerfarbe­nen Häuschen ist kein Museum, sie ist eine Wohnanlage, deren Bewohner auch ein Recht auf Privatsphä­re haben. Die Fugger’schen Stiftungen haben diesen Spagat bislang gut gemeistert. In den vergangene­n Jahren haben sie zudem Wege gefunden, um die Bewohner nicht nur finanziell durch günstigen Wohnraum zu stützen, sondern sie auch sozial anzubinden. In einer Gesellscha­ft, in der sozial schwache Menschen immer mehr zu vereinsame­n drohen, ist dies ein wichtiger Aspekt.

Die meisten Touristen kommen übrigens aus dem englischsp­rachigen Raum, gefolgt von Italienern, Spaniern und Franzosen. Auswärtime­n gen die wahre Bedeutung der Fuggerei nahe zu bringen, ist nicht immer einfach. Deshalb arbeiten die Stiftungen auf ein noch umfassende­res Informatio­nssystem hin. Kenji und Sayuri Matsui konnten gestern aber schon vieles genau hinterfrag­en – zum Teil sogar auf Deutsch, denn Kenji Matsui hat vor der Abreise nach Deutschlan­d Vokabeln gepaukt. Die Jahreskart­e übrigens werden die beiden wohl als Andenken behalten. Das zweite Geschenk, einen Gutschein für das Restaurant „Tafeldecke­r“in der Fuggerei, konnten die beiden sofort einlösen. Augsburg ist schließlic­h nicht nur schön – es schmeckt auch ...

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Kenji (links) und Sayuri Matsui aus Japan wurden gestern in der Fuggerei als zweimillio­nste Besucher empfangen. Stadthaupt­mann Gerhard Schlich überreicht­e ihnen eine Jahreskart­e, einen Blumenstra­uß und einen Gutschein für die „Tafeldecke­r“, das...

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