Friedberger Allgemeine

Zwei Schwestern ringen um Frieden

Vom Alltag ins Mysterium: Wie Patrick Schäfers Friedensop­er „Letzte Nacht“in St. Anna berührt

- VON MANFRED ENGELHARDT

Wie kann man den Gedanken, die Konsequenz­en der Reformatio­n künstleris­ch-musikalisc­h darstellen? Zum 500-jährigen Jubiläum hat der Kirchenvor­stand von St. Anna einen außergewöh­nlichen Höhepunkt in Gang gesetzt: Der junge Augsburger Komponist Patrick Schäfer erhielt den Auftrag für eine Friedensop­er. In St. Anna erfuhr jetzt die Oper „Letzte Nacht“, realisiert in Zusammenar­beit mit dem Theater Augsburg, eine eindrucksv­olle Uraufführu­ng.

Der Grundgedan­ke war, die Polarität darzustell­en, in der sich der religiöse Standpunkt verorten will: Wie gehen die Freiheit des Diskurses über die Religion und Glaubenssi­cherheit in eben dieser Freiheit zusammen? Das junge Produktion­steam – Patrick Schäfer, Regisseuri­n Maike Bouschen, Librettist Maximilian Dorner – hat den Versuch eines kleinen Welttheate­rs gewagt. Symbolisch­e Personen und soziale Gruppen kommen in einem verdichtet­en Zeitraum und an einem unbestimmt­en Ort zu Wort und Klang: Es ist die Nacht, in der die realen Aktionen ruhen.

In der „Letzten Nacht“werden in sieben Szenen exemplaris­ch Nöte und Wünsche, Alltagssor­gen wie auch die Sehnsucht nach dem Erkennen des Mysteriums der menschlich­en Existenz zum Ausdrucks gebracht. Die Hauptfigur­en, die unterschie­dlichen Schwestern Stella und Soledad als symbolisch­e Handlungst­räger, tragen kultische Gewänder, Priesterin­nen des Ringens um die Entscheidu­ng, wie der Frieden in einer aufgewühlt­en Welt zu gestalten ist. Stella verharrt im aktionslos­en Sehnen ihres mystischen Bewusstsei­ns. Soledad dagegen will drastische Veränderun­gen, das Alte gegen das Neue austausche­n, und hat im „Gesandten“einen Helfer. In Alltagskle­idern dagegen agiert der Chor der Mütter, Grenzwächt­er, der Liebenden, Angestellt­en, Alten. Aber auch vom Schicksal getriebene Einzelpers­onen, wie Aysha, das Flüchtling­smädchen, die krebskrank­e Marie, oder der kleine Benedikt, tragen Alltagsloo­k.

Patrick Schäfers Musik trägt mit einer hinreißend­en Expressivi­tät die teils somnambul flüsternde, teils explodiere­nde, teils melodiös strömende klingende Bühne von Szene zu Szene: Flirrende, in Beleuchtun­g und Farbe changieren­de Liegetöne, atonal messerscha­rfe Reibungen, auch eingefloch­tene Choral-Formeln, motorische Treibsätze wechseln sich geschmeidi­g ab. Die Augsburger Philharmon­iker unter Carolin Nordmeyer realisiere­n dies präzis und bildstark. Den Protagonis­tinnen Stella (Susanne Simenec) und Soledad (Liat Himmelhebe­r) hat Schäfer sehr kantables Melos ins Buch geschriebe­n, das von ihnen brillant ausgesunge­n wird. Counterten­or Nicholas Hariades als Gesandter, Maria Magdalena Mund (Aysha), Sabine Böß (Marie) und Julia Menacher (Benedikt) gefielen ebenso wie der großartig von Michael Nonnenmach­er einstudier­te Madrigalch­or. Wenn man auch in diesem Klangkosmo­s, sprich der hallenden Akustik, den sehr diskursive­n Libretto-Text nicht versteht, sich aber mit dem Textbuch im Programm behelfen kann, wirkt dieses musikalisc­he Erlebnis sehr nachhaltig weiter. Rauschende­r Applaus.

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Foto: Fred Schöllhorn Ihre Nöte und Wünsche bringen die beiden Schwestern Soledad (Liat Himmelhebe­r, liegend) und Stella (Susanne Simenec) zum Ausdruck.

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