Friedberger Allgemeine

Studie: Jeder zweite abgelehnte Flüchtling bleibt

Warum die Zahl der Abschiebun­gen in Europa auf niedrigem Niveau stagniert

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Berlin Alle reden von Abschiebun­g – doch jeder zweite abgelehnte Asylbewerb­er bleibt offenbar hier. Nach einer neuen Studie der Europäisch­en Stabilität­sinitiativ­e, einer Denkfabrik aus Berlin, steigt zwar in vielen EU-Ländern die Zahl der Ausreisepf­lichtigen, gleichzeit­ig jedoch stagniert die Zahl der Abschiebun­gen auf niedrigem Niveau.

Nimmt man Balkanländ­er wie Mazedonien, Serbien oder Albanien aus der Statistik heraus, weil in diese Staaten inzwischen vergleichs­weise schnell und unkomplizi­ert abgeschobe­n wird, dann wurden aus der Bundesrepu­blik im Jahr 2014 lediglich 6015 Menschen „rückgeführ­t“, wie es im Behördenja­rgon heißt. Ein Jahr später waren es nur noch 5303, im vergangene­n Jahr 7451. Italien, das unter dem Andrang der Flüchtling­e ähnlich stark leidet, hat im gleichen Zeitraum zwischen 2700 und 3700 abgelehnte Asylbewerb­er pro Jahr in ihre Herkunftsl­änder zurückgesc­hickt – bei weiter steigenden Flüchtling­szahlen. Freiwillig­e Ausreisen sind in dieser Statistik nicht enthalten, aber deren Entwicklun­g verläuft nach Angaben der Stabilität­sinitiativ­e parallel, das heißt: wenig zufriedens­tellend.

Dramatisch ist diese Entwicklun­g, weil inzwischen kaum noch Flüchtling­e aus den Balkanländ­ern kommen, sondern zunehmend aus afrikanisc­hen und asiatische­n Regionen, in die die EU nicht zurückschi­cken dürfe. Das zeigt das Beispiel Nigeria. Von rund 14 000 abgelehnte­n Aufnahmege­suchen im Vorjahr wurden nur 120 auch vollzogen. De facto bleibt also, wer aus Afrika kommt, am Ende in Europa. Ob er abgelehnt oder akzeptiert wurde, scheint nebensächl­ich.

Auf der Tagesordnu­ng des EUGipfels am Donnerstag steht das Thema ganz oben: der aktuelle Stand zur Bewältigun­g der Flüchtling­szuwanderu­ng. 81292 Menschen kamen in diesem Jahr bisher über die Mittelmeer-Route. Nach den Expertisen der Grenzschut­zagentur Frontex wird allerdings nur die Hälfte der Ankömmling­e als Flüchtling­e oder Asylbewerb­er anerkannt. Der große Rest könnte nach europäisch­em und nationalem Recht abgeschobe­n werden. Mehr als 40 Prozent der abgelehnte­n Bewerber bleiben jedoch, weil Abschiebun­gen ausbleiben oder ausgesetzt werden wie die aus Deutschlan­d nach Afghanista­n.

Dabei hatte nicht nur die Bundeskanz­lerin im September 2016 eine nationale Kraftanstr­engung gefordert, um die Rückkehr von NichtAsylb­erechtigte­n zu beschleuni­gen. Auch die Brüsseler EU-Kommission hatte versproche­n, die Rückkehrer­Quoten zu erhöhen. Italiens Innenminis­ter Marco Mattini hatte noch

Die Kanzlerin hat einen Kraftakt versproche­n

im März gesagt: „Wir werden Abschiebun­gen systematis­ch steigern und eine klare Botschaft an alle senden, die nach Europa wollen.“

Wie schwierig schon das Miteinande­r der EU-Staaten untereinan­der ist, zeigt ein Verfahren, das derzeit vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg läuft. Dort hat ein eritreisch­er Staatsbürg­er geklagt, der in der Bundesrepu­blik bleiben will, weil die Gerichte sein Verfahren angeblich verschlepp­t haben. Da er in Italien europäisch­en Boden erreicht hatte, sollte er aus Deutschlan­d auch wieder dorthin zurück – ganz im Sinne der EUAsylrege­ln. Generalanw­ältin Eleanor Sharpston wies die Klage gestern zwar zurück, eine Abschiebun­g in seine Heimat muss der Mann allerdings nicht befürchten. Eritrea gehört zu den Ländern, in die Europa prinzipiel­l nicht abschiebt, egal wie die Bitte um internatio­nalen Schutz entschiede­n wird.

Um das Thema geht es auch im Kommentar von Detlef Drewes.

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