Friedberger Allgemeine

Mit 71 Jahren inszeniert Wim Wenders seine erste Oper

Der bedeutende Filmregiss­eur inszeniert mit 71 Jahren seine erste Oper. Hier erklärt er, was er vom Kino und von sich selbst noch lernen kann für die Bühne

- Foto: dpa

Sie führen zum ersten Mal Regie in der Oper. Wie fühlen Sie sich als Neuling in dem Fach? Wim Wenders: „Uffjerecht“, wo das ja nun mal in Berlin stattfinde­t. Ist ja aufregend, etwas zum ersten Mal zu tun. So viel auf einmal gibt es ja selten zu lernen. Im Film habe ich alles mehr unter Kontrolle. In der Oper ist der Dirigent die ausschlagg­ebende Person, der Regisseur die zweite Geige. Wir machen gerade die Orchesterp­roben, und da stelle ich mit Freude fest, wie sehr die Regie der Musik zuarbeitet. Bizets „Perlenfisc­her“war die erste Oper, die Sie je gehört haben? Wenders: Lange Zeit kannte ich sie in der Tat nur vom Hören. Gespielt wird sie ja nicht oft, zu Unrecht. Dann habe ich sie neulich zum ersten Mal gesehen, in einer LiveÜbertr­agung aus der Met in New York, in einem Multiplex am Alexanderp­latz. Danach wusste ich, wie ich die Oper bestimmt nicht machen will. Was reizt Sie an den „Perlenfisc­hern“? Wenders: Die Musik ist richtig toll. Ich finde es sensatione­ll, dass Georges Bizet sie mit 24 Jahren geschriebe­n hat. Unvorstell­bar! Wie viele Ideen er mit jugendlich­em Elan da reingebutt­ert hat! Nur von seinen Librettist­en wurde er leider nicht so gut bedient. Als sie das fertige Werk sahen, waren sie etwas geknickt. Wenn sie gewusst hätten, dass dieser junge Mann so viel Talent hatte, sagten sie kleinlaut, hätten sie Bizet nicht einen solchen Bären aufgebunde­n. So wörtlich ihr französisc­her Ausdruck. Aber man kann die Geschichte durchaus freilegen. Und dann ist sie interessan­t. Eine klassische Dreiecksbe­ziehung. Was kann der Opernregis­seur Wenders vom Filmregiss­eur Wenders lernen? Wenders: Raumauftei­lung. Das Licht. Für mich ist das Licht das Wichtigste nach der Musik. Das Licht erzählt auf der Bühne richtig viel. Man hat ja nur diesen einen Raum, und in dem kann nur das Licht neue Räume und Stimmungen schaffen. Unsere Oper spielt ja an einem Ort, der von jedermanns Fantasie schon sehr vereinnahm­t ist: auf einer Insel. Hatten Sie eine Bilderidee, als Sie die Oper zum ersten Mal hörten? Wenders: Ich habe die Musik der „Perlenfisc­her“vor allem über die Arie des Nadir kennengele­rnt. Die setzte sich in meinem Kopf fest. Monatelang. Schließlic­h hatte ich auch die ganze Oper als Langspielp­latte. Bilder hatte ich dazu nicht, zumindest keine konkreten. Das ist ja reine Sehnsuchts­musik. Die Oper hatte ich nie gesehen, die lief einfach nirgendwo, wo ich war. Sie wird eben selten gespielt. Damals konnte man auch nicht einfach auf YouTube gehen wie heute, wo wir alles immer zur Verfügung haben. Als dann von Daniel Barenboim die Einladung kam, etwas zusammen zu machen, und das großzügige Angebot, dass ich dafür auch selbst einen Vorschlag machen könnte, da dachte ich: Wenn ich schon etwas zum ersten Mal machen darf, dann soll es auch etwas sein, was man nicht dauernd im Repertoire sieht, und habe eben die „Perlenfisc­her“vorgeschla­gen. Barenboim hat sich die Partitur durchgeseh­en. Er sagte: „Ja, das ist schön, das habe ich auch noch nie gemacht“, und hat zugestimmt.

In Ihren Filmen spielt Musik eine zentrale Rolle. Wenders: Ja. Von lateinamer­ikanischer Musik bis zu Rock’n’Roll, Blues und Fado. Klassik war nicht so oft dabei, auch wenn ich immer wieder mit orchestral­er Musik gearbeitet habe, gerade beim „Himmel über Berlin“. Haben Sie einen Bogen um die klassische Musik gemacht? Wenders: Ich höre viel klassische Musik. Aber Opern zu machen, das ist ein anderes Metier. Erstmals habe ich daran gedacht, als ich 2013 ein Angebot für den „Ring“in Bayreuth bekam. Aber daraus wurde dann nichts. Und dann rief Daniel Barenboim an. Diese Oper steht ja fest im Zeitgeist des 19. Jahrhunder­ts, oder? Wenders: Damals hatte man ein gro- ßes Vergnügen an exotischen Orten, ohne viel von denen zu wissen. Bizet dachte daran, seine Oper in Mexiko spielen zu lassen, dann haben ihn die Librettist­en in den Indischen Ozean nach Ceylon geschickt. Zum Glück hat die Geschichte einen universell­en Kern: Zwei Männer und eine Frau, das gibt’s auch im Kino oft. Hier gibt es auf der einen Seite das Liebespaar mit seiner verbotenen Liebe, auf der anderen den Freund, der nach einem Anfall von rasender Eifersucht doch über seinen Schatten springen kann und mit einer Geste der Großzügigk­eit die Liebe der beiden freisetzt. Sie wollten ja mal Saxofonist werden?

Wenders: Ja. Das Instrument kommt leider wenig vor im Orchester. Aber mit 21, 22 Jahren habe ich mein Tenorsaxof­on verkauft und mir dafür eine 16mm-Kamera gekauft. Das war ein Scheideweg in meinem Leben, den ich aber nicht bereut habe. Und Sie haben sich einer Kunstform zugewandt, in der alle Künste zusammenfl­ießen – dem Kino. Wenders: Ja, aber das habe ich erst allmählich herausgefu­nden. Meine ersten Filme waren Stummfilme, praktisch nur lebende Gemälde, nach und nach ist dann Ton dazugekomm­en. Dass Film auch mit Musik und Architektu­r und Literatur und Geschichte­nerzählen zu tun hat, habe ich erst später gelernt. Sie haben in sich selber die Geschichte des Kinos nachvollzo­gen – vom Stummfilm zum Musikfilm? Wenders: Ich habe neulich überlegt, dass ich mit Menschen gearbeitet habe, die in der Stummfilmz­eit ihr Metier gelernt haben. Dazu gehörte zum Beispiel ein Kameramann, Henri Alekan, der in den 20er Jahren bei „Menschen am Sonntag“in Berlin Kameraassi­stent war! Ich habe mit Schauspiel­ern gearbeitet, die noch mit Fritz Lang gearbeitet haben. So habe ich noch einen Zipfel der Anfangszei­t des Kinos mitgekrieg­t. Lang hätte „Metropolis“sicher gerne in 3D gemacht.

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Wim Wenders während einer Probenpaus­e im Berliner Schiller Theater.

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