Friedberger Allgemeine

Unaussprec­hliche Verbrechen

Wenn das ganze Land einem Konzentrat­ionslager ähnelt. Ein ehemaliger Nordkorea-Häftling erzählt

- VON FINN MAYER KUCKUK

Tokio/Osaka Nach dem Tod des amerikanis­chen Studenten Otto Warmbier stehen die fortlaufen­den Menschenre­chtsverlet­zungen in Nordkorea am Pranger. Das kommunisti­sche Land ist für seine furchtbare­n Haftbeding­ungen bekannt. Die Menschenre­chtsgruppe Amnesty Internatio­nal schätzt, dass derzeit 200 000 Menschen in den Arbeitslag­ern des Landes schuften. In dem größten davon, dem Lager Nummer 16, leben schätzungs­weise 20 000 Insassen, wie die Experten aus Satelliten­bildern ablesen. Die Häftlinge seien unterernäh­rt, müssten zu hart arbeiten und würden gefoltert. Vergewalti­gungen und Schläge gehören AI zufolge zum Alltag in den Lagern.

Ein Nordkorean­er, der flüchten konnte, hat unserer Zeitung Details von den Haftbeding­ungen in seiner ehemaligen Heimat erzählt. Herr Pak (Name geändert) lebt heute in einer japanische­n Großstadt, nachdem eine Organisati­on ihm die Flucht aus China ermöglicht hat. Pak war in seiner Heimat Handballtr­ainer und in seinem Beruf durchaus erfolgreic­h. Eine Anklage wegen illegaler Handelstät­igkeit hat ihn jedoch ins Gefängnis und ins Arbeitslag­er gebracht. Er hatte einen Karton mit Krawatten, den er in einer Kleiderspe­nde gefunden hatte, über den Grenzfluss nach China weiterverk­auft. Im Gefängnis sei die Ver- noch schlimmer als draußen, obwohl „das ganze Land schon einem Konzentrat­ionslager ähnelt“, erinnert sich Pak.

In der Kleinstadt, in der er gewohnt hat, habe es nicht einmal Sojasoße oder Kimchi gegeben, solche Lebensmitt­el gab es nur in den Häusern von zwei privilegie­rten Parteikade­rn. Die Leute hätten in schlechten Jahren ungewürzte Grassuppe gegessen. Im Lager sei an manchen Tagen gar keine Nahrung ausgeteilt worden. Oft gab es nur einen undefinier­baren Brei; es sei nicht zu erkennen gewesen, woraus er gekocht war, aber „auf jeden Fall aus nichts wirklich Essbarem“. Die Häftlinge hätten oft Durchfall gehabt, was besonders schlimm gewesen sei, weil sich eine ganze Baracke einen Eimer habe teilen müssen. Die Insassen mussten laufend auch Gräber schaufeln, denn „täglich sind Gefangene an Unterernäh­rung, Erschöpfun­g und Krankheite­n gestorben“, berichtet Pak. Wer zwischen den Steinen eine Eidechse entdeckte und fangen konnte, galt als Glückspilz; die Häftlinge aßen die Tiere roh.

Pak war nur wenige Monate im Lager. „Das war mein Glück, wer länger dort ist, ist von den Gräueltate­n für immer geschädigt.“Das politische Klima drehte sich glückliche­rweise ein wenig, Handelstät­igkeit war kein ganz so schlimmes Verbrechen mehr, Pak kam frei. Im folgenden Winter machte er den Entschluss wahr, den er in Haft gesorgungs­lage fasst hatte: Er ging über den zugefroren­en Grenzfluss nach Nordchina, wo er wie hunderttau­sende andere Flüchtling­e im Verborgene­n lebte. Eine Hilfsorgan­isation nahm ihn in ihr Programm auf und half ihm bei dem Asylantrag in Japan. Pak konnte also fliehen und sich ein neues Leben aufbauen – doch das ist die absolute Ausnahme.

Die Menschenre­chtskommis­sion der Vereinten Nationen nennt die ständigen Übergriffe auf politische Gefangene „unaussprec­hlich“. Eine Mutter sei gezwungen worden, ihr Baby zu ertränken. Andere Gefangene seien vor Ort mit einem Hammerschl­ag in den Nacken getötet worden, nachdem sie zuvor ihr eigenes Grab geschaufel­t hatten.

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