Friedberger Allgemeine

Braucht mein Kind ein Haustier?

Hund, Katze und Co. tun Jungen und Mädchen gut, aber sie haben ganz eigene Bedürfniss­e und machen Arbeit. Welche Fragen sich Familien vor der Anschaffun­g eines neuen Mitbewohne­rs stellen sollten, erklären hier Experten

- VON ANGELA STOLL Foto: yanlev, Fotolia

„Mama, dürfen wir bitte, bitte Kaninchen haben? Du musst auch gar nichts machen!“Wenn man diese Sätze täglich hört, und das über Wochen und Monate hinweg, bröckelt der Widerstand allmählich wie alter Mörtel. Wenn eine Freundin dann noch einen Stall abzugeben hat und versichert, die süßen Tierchen würden fast gar keine Arbeit machen – ja dann, dann haben die Kinder gewonnen. Und schon steht der Stall im Garten, schon sitzen zwei „Hasen“darin. Halt! Bevor sich Eltern so oder so ähnlich rumkriegen lassen, sollten sie sich diesen Schritt gut überlegen. Ohne Tränen und Gewissensb­isse lässt er sich nicht mehr rückgängig machen.

Es gibt kaum ein Kind, das nicht irgendwann seine Eltern anfleht, doch unbedingt ein Tier anzuschaff­en. Sei es Hund, Katze, Springmaus, Waran, Minischwei­n oder Pony – die Vorlieben sind unterschie­dlich. Hauptsache Tier. Dabei haben Kinder eine ganz andere Erwartungs­haltung in Bezug auf ihr zukünftige­s Haustier als Erwachsene: „Eltern verbinden ein Tier vor allem mit Aufwand und Arbeit. Kinder sehen in ihm dagegen in erster Linie einen Vertrauten, denken an Wärme und Zuneigung“, sagt die Kinderärzt­in Anke Prothmann aus Gröbenzell bei München, die jahrelang zu tiergestüt­zten Therapien geforscht hat. Das Problem an der Sache: Beides hat seine Berechtigu­ng.

„Ein Tier ist ein Quell der Freude“, schwärmt Prothmann. Dennoch gibt es Familien, die die Anschaffun­g bereuen. Weil sie falsche Erwartunge­n hatten. Oder weil ihnen der Mitbewohne­r lästig ist. Oder beides. So berichtet Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutz­bund entsetzt von einer Anzeige auf der Internetpl­attform Ebay: „Dort wurden Wellensitt­iche angeboten mit der Begründung: ,Die Kinder wollen lieber einen Hamster.‘“Das Wichtigste, betont Schmitz, sei deshalb, sich vor der Anschaffun­g ganz genau über die Bedürfniss­e und Eigenheite­n eines Tiers zu informiere­n, nämlich: Wie viel Platz braucht es? Welche Gewohnheit­en hat es? Kann man es knuddeln? Wer macht sauber? Wer kümmert sich, wenn wir verreist sind? Die Antworten darauf können oft Grund genug sein, die Pläne ernüchtert aufzugeben. Viele der Tiere passen nämlich gar nicht so gut zu Familien, vor allem dann, wenn die Kinder noch klein sind. Die möchten mit ihren neuen Begleitern nämlich schmusen, wozu sich kleine Säugetiere kaum eignen. Hunde sind zwar robuster, brauchen aber viel Zeit. Katzen sind vergleichs­weise pflegeleic­ht, jedoch für Allergiker-Familien ungeeignet. Bei Fischen, Reptilien, Insekten und Vögeln fehlt der Kuschelfak­tor. Außerdem sind Echsen und Co. meist aufwendig in der Haltung.

Auch wenn man sich noch so gut informiert, kann man nicht ahnen, wie sich das Leben mit Tier entwickelt. Manchmal verändert es sich zum Positiven. „Eigentlich müsste die Krankenkas­se die Hundehaltu­ng bezahlen!“, meint etwa Hans, in dessen Familie ein bewegungsf­reudiger Schäferhun­d lebt. „Es tut uns so gut, bei Wind und Wetter nach draußen zu müssen. Wir sind dadurch viel seltener krank.“Frau und Töchter gehen inzwischen mit dem Hund zum Joggen und fühlen sich seitdem rundum fitter.

Es kann aber auch anders gehen. So etwa bei der elfjährige­n Lea, de- Eltern nach reiflicher Überlegung einen Hamster für sie kauften. Er bereitete viel Freude, bis er Lea eines Tages kräftig in den Finger biss. Danach war es vorbei mit der Freundscha­ft. Fragt man das Mädchen heute nach seinem Tier, reagiert es abweisend: „Das ist nicht mein Hamster. Der gehört meinen Eltern.“

Negative Beispiele ändern nichts daran, dass Kinder sehr von Tierhaltun­g profitiere­n können – auf vielfältig­e Weise. Prothmann sagt: „Grundsätzl­ich ist alles, was lebt, entwicklun­gsfördernd.“Sie argumentie­rt mit der Evolution: Für den Menschen sei es von jeher überlebens­wichtig gewesen, sich für seine Umwelt zu interessie­ren. Konkret geht die Ärztin davon aus, dass der Kontakt zu Tieren dem Sozialverh­alten zugutekomm­t. Das kann sie mit einer eigenen Studie belegen: Sie verglich dazu das Verhalten von Kindern, die einen „normalen“Kindergart­en besuchten, mit den Schützling­en eines Bauernhofk­indergarte­ns, wo viele Tiere leben. Dabei zeigten Kinder, die viel Kontakt zu Tieren hatten – entweder, weil sie ein Haustier hatten oder den Bauernhofk­indergarte­n besuchten – eine höhere soziale Kompetenz als Altersgeno­ssen ohne Tierkontak­t. Vor allem schüchtern­en und ängstliche­n Kindern tun tierische Begleiter gut: Für ein Tier zu sorgen, kommt dem Selbstwert­gefühl zugute. „Auren ßerdem bekommen sie wegen ihres Haustiers auch öfter Besuch von anderen Kindern“, sagt Prothmann. Überhaupt kommt man über Tiere leichter mit Menschen in Kontakt. Viele der Begegnunge­n sind freundlich – etwa wenn Kinder den niedlichen Hund streicheln wollen. Manche fallen auch weniger angenehm aus – etwa wenn sich bislang unbekannte Nachbarn über Katzenkot im Garten beschweren. Abgesehen davon hat der Umgang mit Tieren einen entspannen­den Effekt. So stellten Wissenscha­ftler fest, dass der Körper weniger Stresshorm­one ausschütte­t, wenn man einen Fellträger streichelt. Schon das Zuschauen allein reicht, um ruhiger zu werden: „Fünf Minuten ein Tier zu beobachten ist so entspannen­d wie 20 Minuten Lesen“, sagt Prothmann. Bei einer Studie der Universitä­t Plymouth sank bei Teilnehmer­n, die Fische betrachtet­en, deutlich der Blutdruck, gleichzeit­ig verlangsam­te sich der Herzschlag.

Insofern kommt Tierhaltun­g auch den so gern gestresste­n Erwachsene­n zugute. Das ist ein wichtiger Trost. Denn viele unangenehm­e Arbeiten bleiben – mehr oder minder zwangsläuf­ig – an den Eltern hängen. Wer sonst kauft Paletten

„Grundsätzl­ich ist alles, was lebt, entwicklun­gsfördernd“ Es stärkt auch die Eltern Kind Beziehung

mit Katzenfutt­er ein, putzt das müffelnde Klo, geht im Schneerege­n Gassi, fährt den erbrechend­en Hund zum Tierarzt? „Ein Kind kann ein Tier nicht allein versorgen“, sagt Schmitz. „Es kann auch nicht abschätzen, wie viel Arbeit mit einem Haustier verbunden ist. Das fällt ja sogar Erwachsene­n schwer.“Deshalb sollte die Entscheidu­ng für oder gegen ein Tier die ganze Familie treffen und mittragen.

Aber: Man braucht die Arbeit, die Tiere machen, keineswegs nur negativ zu sehen. Wenn Eltern geschickt vorgehen, lassen sich selbst die Schattense­iten der Haustierha­ltung pädagogisc­h nutzen. So sagt Kathrin Fichtel vom Forschungs­kreis Heimtiere in der Gesellscha­ft: „Es stärkt die Eltern-Kind-Beziehung, wenn man gemeinsam einen Stall baut und säubert oder zusammen ein Aquarium bepflanzt. Außerdem hat die Familie immer ein tolles Gesprächst­hema.“Auch das ist, wie die Erfahrung zeigt, absolut richtig. Beim wöchentlic­hen Stallausmi­sten führt man mit den Kindern Unterhaltu­ngen, die man sonst nie geführt hätte. Zum Beispiel erkundigt sich der achtjährig­e Sohn dabei auf einmal eindringli­ch: „Wie lange leben Kaninchen eigentlich?“

 ??  ?? Tiere tun Kindern gut. Die Kinder aber auch den Tieren? Eltern sollten sich erst ausführlic­h über die Bedürfniss­e der Vierbeiner in formieren und einige Fragen abwägen, ehe sie ein Haustier für die Familie anschaffen.
Tiere tun Kindern gut. Die Kinder aber auch den Tieren? Eltern sollten sich erst ausführlic­h über die Bedürfniss­e der Vierbeiner in formieren und einige Fragen abwägen, ehe sie ein Haustier für die Familie anschaffen.

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