Braucht mein Kind ein Haustier?
Hund, Katze und Co. tun Jungen und Mädchen gut, aber sie haben ganz eigene Bedürfnisse und machen Arbeit. Welche Fragen sich Familien vor der Anschaffung eines neuen Mitbewohners stellen sollten, erklären hier Experten
„Mama, dürfen wir bitte, bitte Kaninchen haben? Du musst auch gar nichts machen!“Wenn man diese Sätze täglich hört, und das über Wochen und Monate hinweg, bröckelt der Widerstand allmählich wie alter Mörtel. Wenn eine Freundin dann noch einen Stall abzugeben hat und versichert, die süßen Tierchen würden fast gar keine Arbeit machen – ja dann, dann haben die Kinder gewonnen. Und schon steht der Stall im Garten, schon sitzen zwei „Hasen“darin. Halt! Bevor sich Eltern so oder so ähnlich rumkriegen lassen, sollten sie sich diesen Schritt gut überlegen. Ohne Tränen und Gewissensbisse lässt er sich nicht mehr rückgängig machen.
Es gibt kaum ein Kind, das nicht irgendwann seine Eltern anfleht, doch unbedingt ein Tier anzuschaffen. Sei es Hund, Katze, Springmaus, Waran, Minischwein oder Pony – die Vorlieben sind unterschiedlich. Hauptsache Tier. Dabei haben Kinder eine ganz andere Erwartungshaltung in Bezug auf ihr zukünftiges Haustier als Erwachsene: „Eltern verbinden ein Tier vor allem mit Aufwand und Arbeit. Kinder sehen in ihm dagegen in erster Linie einen Vertrauten, denken an Wärme und Zuneigung“, sagt die Kinderärztin Anke Prothmann aus Gröbenzell bei München, die jahrelang zu tiergestützten Therapien geforscht hat. Das Problem an der Sache: Beides hat seine Berechtigung.
„Ein Tier ist ein Quell der Freude“, schwärmt Prothmann. Dennoch gibt es Familien, die die Anschaffung bereuen. Weil sie falsche Erwartungen hatten. Oder weil ihnen der Mitbewohner lästig ist. Oder beides. So berichtet Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund entsetzt von einer Anzeige auf der Internetplattform Ebay: „Dort wurden Wellensittiche angeboten mit der Begründung: ,Die Kinder wollen lieber einen Hamster.‘“Das Wichtigste, betont Schmitz, sei deshalb, sich vor der Anschaffung ganz genau über die Bedürfnisse und Eigenheiten eines Tiers zu informieren, nämlich: Wie viel Platz braucht es? Welche Gewohnheiten hat es? Kann man es knuddeln? Wer macht sauber? Wer kümmert sich, wenn wir verreist sind? Die Antworten darauf können oft Grund genug sein, die Pläne ernüchtert aufzugeben. Viele der Tiere passen nämlich gar nicht so gut zu Familien, vor allem dann, wenn die Kinder noch klein sind. Die möchten mit ihren neuen Begleitern nämlich schmusen, wozu sich kleine Säugetiere kaum eignen. Hunde sind zwar robuster, brauchen aber viel Zeit. Katzen sind vergleichsweise pflegeleicht, jedoch für Allergiker-Familien ungeeignet. Bei Fischen, Reptilien, Insekten und Vögeln fehlt der Kuschelfaktor. Außerdem sind Echsen und Co. meist aufwendig in der Haltung.
Auch wenn man sich noch so gut informiert, kann man nicht ahnen, wie sich das Leben mit Tier entwickelt. Manchmal verändert es sich zum Positiven. „Eigentlich müsste die Krankenkasse die Hundehaltung bezahlen!“, meint etwa Hans, in dessen Familie ein bewegungsfreudiger Schäferhund lebt. „Es tut uns so gut, bei Wind und Wetter nach draußen zu müssen. Wir sind dadurch viel seltener krank.“Frau und Töchter gehen inzwischen mit dem Hund zum Joggen und fühlen sich seitdem rundum fitter.
Es kann aber auch anders gehen. So etwa bei der elfjährigen Lea, de- Eltern nach reiflicher Überlegung einen Hamster für sie kauften. Er bereitete viel Freude, bis er Lea eines Tages kräftig in den Finger biss. Danach war es vorbei mit der Freundschaft. Fragt man das Mädchen heute nach seinem Tier, reagiert es abweisend: „Das ist nicht mein Hamster. Der gehört meinen Eltern.“
Negative Beispiele ändern nichts daran, dass Kinder sehr von Tierhaltung profitieren können – auf vielfältige Weise. Prothmann sagt: „Grundsätzlich ist alles, was lebt, entwicklungsfördernd.“Sie argumentiert mit der Evolution: Für den Menschen sei es von jeher überlebenswichtig gewesen, sich für seine Umwelt zu interessieren. Konkret geht die Ärztin davon aus, dass der Kontakt zu Tieren dem Sozialverhalten zugutekommt. Das kann sie mit einer eigenen Studie belegen: Sie verglich dazu das Verhalten von Kindern, die einen „normalen“Kindergarten besuchten, mit den Schützlingen eines Bauernhofkindergartens, wo viele Tiere leben. Dabei zeigten Kinder, die viel Kontakt zu Tieren hatten – entweder, weil sie ein Haustier hatten oder den Bauernhofkindergarten besuchten – eine höhere soziale Kompetenz als Altersgenossen ohne Tierkontakt. Vor allem schüchternen und ängstlichen Kindern tun tierische Begleiter gut: Für ein Tier zu sorgen, kommt dem Selbstwertgefühl zugute. „Auren ßerdem bekommen sie wegen ihres Haustiers auch öfter Besuch von anderen Kindern“, sagt Prothmann. Überhaupt kommt man über Tiere leichter mit Menschen in Kontakt. Viele der Begegnungen sind freundlich – etwa wenn Kinder den niedlichen Hund streicheln wollen. Manche fallen auch weniger angenehm aus – etwa wenn sich bislang unbekannte Nachbarn über Katzenkot im Garten beschweren. Abgesehen davon hat der Umgang mit Tieren einen entspannenden Effekt. So stellten Wissenschaftler fest, dass der Körper weniger Stresshormone ausschüttet, wenn man einen Fellträger streichelt. Schon das Zuschauen allein reicht, um ruhiger zu werden: „Fünf Minuten ein Tier zu beobachten ist so entspannend wie 20 Minuten Lesen“, sagt Prothmann. Bei einer Studie der Universität Plymouth sank bei Teilnehmern, die Fische betrachteten, deutlich der Blutdruck, gleichzeitig verlangsamte sich der Herzschlag.
Insofern kommt Tierhaltung auch den so gern gestressten Erwachsenen zugute. Das ist ein wichtiger Trost. Denn viele unangenehme Arbeiten bleiben – mehr oder minder zwangsläufig – an den Eltern hängen. Wer sonst kauft Paletten
„Grundsätzlich ist alles, was lebt, entwicklungsfördernd“ Es stärkt auch die Eltern Kind Beziehung
mit Katzenfutter ein, putzt das müffelnde Klo, geht im Schneeregen Gassi, fährt den erbrechenden Hund zum Tierarzt? „Ein Kind kann ein Tier nicht allein versorgen“, sagt Schmitz. „Es kann auch nicht abschätzen, wie viel Arbeit mit einem Haustier verbunden ist. Das fällt ja sogar Erwachsenen schwer.“Deshalb sollte die Entscheidung für oder gegen ein Tier die ganze Familie treffen und mittragen.
Aber: Man braucht die Arbeit, die Tiere machen, keineswegs nur negativ zu sehen. Wenn Eltern geschickt vorgehen, lassen sich selbst die Schattenseiten der Haustierhaltung pädagogisch nutzen. So sagt Kathrin Fichtel vom Forschungskreis Heimtiere in der Gesellschaft: „Es stärkt die Eltern-Kind-Beziehung, wenn man gemeinsam einen Stall baut und säubert oder zusammen ein Aquarium bepflanzt. Außerdem hat die Familie immer ein tolles Gesprächsthema.“Auch das ist, wie die Erfahrung zeigt, absolut richtig. Beim wöchentlichen Stallausmisten führt man mit den Kindern Unterhaltungen, die man sonst nie geführt hätte. Zum Beispiel erkundigt sich der achtjährige Sohn dabei auf einmal eindringlich: „Wie lange leben Kaninchen eigentlich?“