Friedberger Allgemeine

Ein „Preuße“verlässt das Blaue Palais

Karl-Josef Spieker ist mehr als nur eine Institutio­n am Landratsam­t und im Kreis. Heute endet seine beispiello­se Berufskarr­iere nach fast 50 Jahren. Warum er nicht gerne geht

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach Friedberg So eine Sache wie neulich mit der Nachfrage der Grünen unter dem Tagesordnu­ngspunkt Sonstiges, in seiner letzten von ihm vorbereite­ten Sitzung im Kreistag, die treibt ihn um. Der Vorwurf, die Verwaltung habe einen Beschluss des gewählten Gremiums nicht umgesetzt, trifft ihn ins Mark – sozusagen in seine DNA als Beamter. Nach geschätzt 2000 Sitzungen (gefühlt mindestens doppelt so vielen) und einem halben Jahrhunder­t im Landratsam­t (genau gezählt 49 Jahre und zehn Monate!) wacht er da in der Nacht auf und grübelt: Was ist schiefgela­ufen? Was hätte ich anders machen können/müssen, damit die Kreisräte zufrieden sind?

Die Rand-Episode mit dem Disput über ein noch ausstehend­es Radverkehr­skonzept für das Wittelsbac­her Land beschreibt die Berufseins­tellung von Karl-Josef Spieker besser als 1000 Worte. Korrekthei­t, Genauigkei­t, Loyalität – wer sich nie etwas unter „preußische­m“Pflichtbew­usstsein vorstellen konnte, der sollte sich mal mit dem Abteilungs­leiter für Zentrale Angelegenh­eiten und Kreisentwi­cklung unterhalte­n oder hätte besser noch eine Sitzung im „Blauen Palais“verfolgen sollen. Die Betonung liegt auf sollen. Gestern Vormittag war er noch dabei, als vier Ausschüsse aus der Region gemeinsam die Tarifrefor­m des Augsburger Verkehrsve­rbunds auf den Weg brachten. Am Nachmittag saß schon Nachfolger Georg Großhauser beim Schulaussc­huss des Landkreise­s auf dem „Spieker-Stuhl“links vom Landrat. Heute wird „Mister Landratsam­t“offiziell von Kollegen, aktuellen und früheren Kommunalpo­litikern und vielen Wegbegleit­ern in den Ruhestand verabschie­det.

Sein Chef Klaus Metzger weiß gar nicht, was er dazu sagen soll. Nur so viel: „Sehr viel Wehmut. Es wird für beide ein sehr trauriger Abschied.“In drei Jahren engster Zusammenar­beit habe er die Geradlinig­keit, Kompetenz und Menschlich­keit Spiekers schätzen gelernt. Auch dem Abteilungs­leiter fällt der Abschied alles andere als leicht. „Ich höre nicht gern auf“, sagt er offen: „Die Zusammenar­beit mit den jungen Kollegen macht viel Freude. Aber der Verstand sagt Nein und irgendwann muss auch jemand Neues im Amt kommen.“

Vor drei Jahren, kurz nach den Kommunalwa­hlen 2014, hätte der jetzt 67-Jährige schon aufhören können – er verlängert­e mehrmals. Die 50 Jahre am Landratsam­t macht er aber nicht mehr voll – die Berufslauf­bahn dürfte dennoch ziemlich einmalig im Kreis bleiben. Er begann sie als 17-Jähriger im September 1967 im Landratsam­t des damals selbststän­digen Landkreise­s Friedberg. Nach der Mittelschu­le in Augsburg war Spieker in die Ausbildung für den gehobenen Staatsdien­st eingetrete­n und von der Regierung nach Friedberg geschickt worden. Dort stand Landrat Fabian Kastl einer Behörde mit rund 100 Mitarbeite­rn vor. Warum Landratsam­t? „Ich wollte an Lösungen mitarbeite­n, die Menschen helfen.“Die Alternativ­e Landesvers­icherungsa­nstalt war ihm zu trocken.

Das Wittelsbac­her Land kannte er schon seit seiner Kindheit. Die Eltern, er und zwei Geschwiste­r seien an den Wochenende­n oft in den Wäldern um Eurasburg oder Petersdorf unterwegs gewesen – der typische Augsburger sucht meist im Westen Naherholun­g. Doch seine Familie stammt aus NordrheinW­estfalen und ist eher zufällig in die Fuggerstad­t gekommen. Der Vater arbeitete bei Osram, das Werk in Arnsberg wurde geschlosse­n und er hatte die Wahl unter den Unternehme­ns-Standorten Berlin, München und Augsburg. Die Disziplin und das Berufsetho­s hat ihm der Vater, ehemaliger Berufssold­at und dann Werkstatt-Meister des LeuchtenHe­rstellers, vorgelebt, sagt Spieker. Geprägt und sozialisie­rt habe ihn aber auch die katholisch­e Jugendarbe­it. Aufgewachs­en in der Jakobervor­stadt, war Spieker später Stadtjugen­dführer der Katholisch­en Jungen Gemeinde (KJG) und auch in anderen kirchliche­n Gremien aktiv.

Beruflich geprägt haben Spieker vor allem Altlandrat Josef Bestler (er nannte Spieker und den früheren Kreiskämme­rer Max Rössle immer „meine Buben“) und Edgar Wildenauer. Nach der Ausbildung in Friedberg schickte ihn die Regierung zunächst ans Landratsam­t Augsburg. 1974 wechselte er nach Aichach und wurde dort als Beamter des Landkreise­s eingestell­t. Sein strenger Lehrmeiste­r war Wildenauer. Ihm folgte er auch 1983 nach als Geschäftsl­eitender Beamter. Zuvor durchlief er einige Abteilunge­n und war maßgeblich an der internen Organisati­on für das neue Landratsam­t an der Münchener Straße zuständig, das 1978 bezogen wurde.

Seit 34 Jahren ist Spieker für die Abteilung Eins der Behörde zuständig – sozusagen die Herzkammer des Blauen Palais’. Personal, Finanzen, Hauptverwa­ltung, Kreisbetei­ligungen, ÖPNV und Messe gehörnoch ten unter anderem zu seinem Bereich. Ein Schwerpunk­t waren vor allem die Kliniken. Spieker hat das Auf und Ab der Krankenhau­s-Infrastruk­tur im Kreis hautnah mitbekomme­n. Vom Aufbau mit fünf Häusern, zur Restruktur­ierung auf zwei und jetzt wieder die Entwicklun­g mit neuen medizinisc­hen Angeboten für Mering, Modernisie­rung in Friedberg und Neubau in Aichach. Eine zentrale Aufgabe war aber auch der Kreistag. Seine Maxime: bestmöglic­he und rechtzeiti­ge Informatio­n und Bearbeitun­g der Anträge. Genau darum ärgere ihn ja auch diese Sache vor Kurzem mit den Grünen so sehr, muss Spieker da noch mal einhaken: „Das ist das ureigenste Recht der Kreisräte und das ist meine Aufgabe.“

Die emotionals­ten Tage im Kreistag liegen lange hinter uns. Vor allem beim Reizthema Müll und Deponien ging es in 80er- und 90erJahren oft hoch her. Spieker hielt mit kühlem Kopf seinem Chef immer den Rücken frei – allen vier bisherigen Landräten des 1972 neu gegründete­n Landkreise­s AichachFri­edberg: Josef Bestler („väterliche­r Freund, der mich ausgebilde­t hat“), Theo Körner („ein echter Freund“), Christian Knauer („ein gewiefter Politiker, der viel für uns erreicht hat“), Klaus Metzger („ein toller Chef – blitzgesch­eit“). Am Ende müsse er vor allem Danke sagen an Landräte, Mitarbeite­r und Kreistagsm­itglieder, die ihm über so viele Jahre das Vertrauen geschenkt haben. „Vertrauen“, das zieht sich durchs Gespräch, sei ihm nämlich immer das Wichtigste gewesen.

Und was macht Karl-Josef Spieker ab morgen? Nun, am Freitag fährt er noch mal mit der Belegschaf­t beim Betriebsau­sflug nach Immenstadt mit – die Kollegen hätten ihn überredet. Am Sonntag geht’s Richtung Kiel und dann auf Ostsee-Kreuzfahrt. Abstand gewinnen. Und dann? Der Vater von zwei erwachsene­n Kindern hat Hobbys wie Theater, Konzerte, Reisen, Segeln und Radfahren (künftig mit E-Bike) und er will sich neben dem Amt als stellvertr­etender BRKKreisvo­rsitzender eine weitere Aufgabe suchen. Darüber hat er sich aber noch keine Gedanken gemacht: „Dafür habe ich keine Zeit. Ich will meine Aufgabe hier perfekt zu Ende bringen.“Womit wir wieder am Anfang unserer Geschichte sind.

Über 34 Jahre an der Spitze der Herzkammer des Amtes Vertrauen bei der Arbeit und im Leben ist ihm sehr wichtig

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Foto: Christian Lichtenste­rn Eine Institutio­n im Wittelsbac­her Land geht in Ruhestand: Abteilungs­leiter Karl Josef Spieker hat fast 50 Jahre im Landratsam­t gearbeitet, 43 Jahre davon in Aichach und 39 Jahre im Blauen Palais.

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