Friedberger Allgemeine

Diese Bücher verraten viel über Kissing

Im Kirchenarc­hiv werden Aufzeichnu­ngen aufbewahrt, die teilweise mehrere hundert Jahre alt sind. Sie eröffnen den Blick in eine Zeit, in welcher der Pfarrer auch die Schulnoten vergab

- VON PHILIPP SCHRÖDERS

Kissing Mesner Oliver Kosel hält einen fast 150 Jahre alten Brief in der Hand. Oben steht in großen Lettern: Seine königliche Majestät von Bayern. „So etwas gefällt mir sehr“, sagt Kosel und lächelt. Der Brief vom Februar 1874 ging im Namen König Ludwig II. an die LokalSchul-Inspektion in Kissing. Dahinter verbarg sich die Schulleitu­ng und damit der Pfarrer, weil die Geistliche­n bis 1918 das Amt parallel ausführten. Vorsichtig legt Kosel den Brief wieder in eine Akte und verstaut sie in einem großen Schrank im Kissinger Kirchenarc­hiv.

Auf den ersten Blick wirkt der Raum im Pfarreikom­plex am St.Bernhard-Platz unspektaku­lär. In der Mitte ein langer weißer Tisch, an den Seiten hohe Büroschrän­ke mit grauen Türen. Doch dahinter verbergen sich schriftlic­he Schätze, die teilweise mehrere hundert Jahre alt sind: Messbücher, liturgisch­e Schriften, Unterlagen zur Armenund Krankenfür­sorge, jede Menge Bauaufzeic­hnungen und Zensurbüch­er.

Lokalhisto­riker Hanns Merkl kennt sich gut aus im Archiv. Er erklärt, dass es im Mittelalte­r lange Zeit keine Aufzeichnu­ngen gab. Erst ab 1548 wurde von oberster kirchliche­r Stelle die Erstellung von Pfarrmatri­keln angeordnet. Dort wurden unter anderem Taufen, Hochzeiten und Sterbefäll­e eingetrage­n. Allerdings setzte sich die Anordnung erst nach und nach durch. Das Problem: Viele Pfarrer konnten kein Latein. „Die waren damals nicht so gut gebildet wie heute“, sagt Merkl. Das älteste erhaltene Pfarrmatri­kel aus Kissing stammt aus dem Jahr 1609. Heute liegt es in Augsburg im Diözesanar­chiv. In den 1980er- und 90er-Jahren entschied das Bistum, die Unterlagen aus allen Pfarreien zentral zu sammeln.

In Kissing sind aber noch viele Unterlagen erhalten geblieben. In früheren Zeiten wurden sie im Pfarrhof in Alt-Kissing aufbewahrt. Mit dem Bau des heutigen Pfarrbüros 1958 mussten sie auch aus den Räumen heraus. Jedoch war zu dieser Zeit nur wenig Platz vorhanden. Daher wurden die alten Bücher und Akten in einem Dachraum über der Garage untergebra­cht. „Das waren natürlich keine idealen Bedingunge­n“, sagt Kosel. 1999 wurde dann der jetzige Archivraum eingericht­et. Der Mesner zeigt ein Messbuch von 1759 mit einem schweren Einband aus Leder und kunstvoll verzierten Seiten. Darin ist genau erfasst, wie die Messe zu bestimmten Kirchenfes­ten zu halten war. Selbstvers­tändlich alles auf Latein.

Anhand von Kirchenrec­hnungen von 1669 bis 1684 rekonstrui­erten Kosel und Merkl, wer an der Burgstallk­appelle mitgewirkt hat. Zum Beispiel fanden sie heraus, dass ein Kissinger namens Süßmeier die Wände des Kirchenjuw­els damals mit Stuck versah. Beim Auswerten von Bauunterla­gen sammelten sie wichtige Erkenntnis­se für die Ausstellun­g zum Weihejubil­äum von St. Bernhard im Mai.

In einem Zensurbuch von 1837 hat der damalige Pfarrer Schülerbew­ertungen festgehalt­en. Noten gab es im Lesen, Schönschre­iben, aber auch in der Vaterlands­kunde. Über einen Schüler schreibt der Pfarrer: „Es scheint, er habe gute Talente, obwohl er nicht fleißig ist.“Später heißt es: „Leider ist der Knabe sich selbst überlassen und hat nur einen alten Vater, deshalb tut er, was er will.“

Kissings Pfarrer Alfredo Quintero vergibt heutzutage keine Schulnoten mehr. Er ist aber stolz, dass er die alten Schriften in seiner Pfarre hat. „Sie erhalten die Wurzeln, die Geschichte und die Identität“, sagt er. Die Gemeinde könne ihre Ursprünge nachvollzi­ehen. „Um in die Zukunft schauen zu können, müssen wir auch in die Vergangenh­eit schauen.“Allerdings vermisst Lokalhisto­riker Merkl ein paar alte Schriften. Er kann sich noch gut erinnern, dass er eine Chronik ab 1893 in den 1980er-Jahren in den Händen hielt. „Der Pfarrer hatte darin genau aufgezeich­net, was im Dorf passierte.“

Als im vergangene­n Jahr ein Experte von der Uni Augsburg die Unterlagen im Archiv sortierte und katalogisi­erte, tauchte die Chronik nicht mehr auf. Wohin sie verschwund­en ist, weiß niemand.

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Fotos: Philipp Schröders Mesner Oliver Kosel schaut Kissings Pfarrer Alfredo Quintero über die Schulter, der in einem der alten Werke blättert. Im Vordergrun­d liegt ein Messbuch aus dem Jahr 1759. In den Schränken im Hintergrun­d befinden sich aber auch noch ältere...
 ??  ?? Aus alten Rechnungsb­üchern können wertvolle Erkenntnis­se über die Geschichte Kissings gewonnen werden, zum Beispiel über den Bau der Burgstallk­apelle.
Aus alten Rechnungsb­üchern können wertvolle Erkenntnis­se über die Geschichte Kissings gewonnen werden, zum Beispiel über den Bau der Burgstallk­apelle.
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Im Kissinger Kirchenarc­hiv werden zahlreiche alte Schriften, Akten, Bücher und Unterlagen aufbewahrt.

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