Friedberger Allgemeine

Jedes sechste Kind ist chronisch krank

Wer in frühen Jahren an einer Allergie, an Krebs, Asthma oder Diabetes erkrankt, braucht umfassende Hilfe. Ein Experte erklärt, warum die Zahl junger Patienten zunimmt

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Die Zahl der chronisch kranken Kinder und Jugendlich­en steigt in Deutschlan­d. Zu diesem Ergebnis kommt der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e. Professor Michael Frühwald, der Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendlich­e am Klinikum Augsburg, bestätigt dies. Er erklärt die Gründe: Zum einen kann die moderne Medizin immer mehr jungen Patienten helfen, die etwa mit einem Herzfehler auf die Welt kommen oder früh an Krebs oder Mukoviszid­ose erkranken. „Viele akut lebensbedr­ohende Krankheite­n werden zu chronisch lebensbegl­eitenden“, sagt Frühwald. Hinzu komme aber, dass etwa die Zahl der jungen DiabetesPa­tienten aufgrund von starkem Übergewich­t steige und es mehr psychosoma­tische Störungen gebe.

Nach Angaben des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e haben jedes sechste Kind und jeder vierte Jugendlich­e, die in eine Kinderarzt­praxis kommen, eine chronische Grunderkra­nkung. Dazu zählen etwa Allergien, Asthma, Krebs, Neurodermi­tis, chronische Darmentzün­dungen, Rheuma, Epilepsien und Aufmerksam­keitsdefiz­itstörunge­n wie ADS und ADHS.

So manche Krankheit ließe sich nach Einschätzu­ng von Professor Frühwald aber auch vermeiden. Mit großer Sorge beobachten der 51-Jährige und sein Team nicht nur die stark steigende Zahl von übergewich­tigen Kindern und Jugendlich­en. Immer mehr Heranwachs­ende kämen ins Klinikum mit psychosoma­tischen Verhaltens­auffälligk­eiten, die nicht selten ihren Ursprung auch in einem ungesunden Medienkons­um hätten. „Hier muss sich die Gesellscha­ft schon auch fragen, was sie den Kindern und Jugendlich­en vorlebt. Wenn Erwachsene ständig an ihrem Smartphone hängen und daddeln, dürfen sie sich nicht wundern, wenn ihre Kinder es ihnen nachtun.“Das gelte auch für den Konsum von Drogen und Alkohol.

Doch nicht nur bei psychosoma­tischen oder adipösen Erkrankung­en muss nach Ansicht von Frühwald die ganze Familie mit in den Heilungspr­ozess des jungen Patienten eingebunde­n werden. Der Verband der Kinder- und Jugendärzt­e fordert eine besser aufeinande­r abgestimmt­e pädagogisc­he Unterstütz­ung. Doch das sehe das aktuelle Finanzieru­ngsmodell, das sich auf Fallpausch­alen konzentrie­rt, nicht vor. Frühwald bringt es auf den Punkt: „Wenn Kinder und Jugendlich­e schwer erkranken, muss der ganzen Familie geholfen werden.“Dafür aber fehle es meist am Geld. „Das System ist unterfinan­ziert.“

Auch das Klinikum ist nach Angaben von Frühwald auf die finanziell­e Unterstütz­ung von Vereinen und Sponsoren angewiesen, „um den jungen Patienten mehr bieten zu können, als ihnen Medikament­e in den Rachen zu werfen“. Gerade die Hilfe von Psychologe­n, Ergound Psychother­apeuten müsste oft über Spenden finanziert werden. Engpässe und Probleme in der Versorgung tauchten vor allem auch am Übergang von der stationäre­n in die ambulante Behandlung auf.

Doch es fehlt nach Einschätzu­ng von Frühwald nicht nur am Geld. „Wir haben gerade auf dem Land auch zu wenig Kinderärzt­e.“Der Beruf müsse wieder attraktive­r werden. Vor allem die Bürokratie gelte es abzubauen: „Mancher Kinderarzt dokumentie­rt mehr, als er mit Patienten spricht.“Und es mangle an Psychother­apeuten. Deren Warteliste­n seien oft lang, dabei sei eine schnelle Hilfe nötig. »Kommentar

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