Friedberger Allgemeine

Boomtown München: Wie eine Stadt Opfer ihres eigenen Erfolgs wird Luxusbunke­r für Unternehme­nsberater

Von wegen gemütliche­s Millionend­orf. Von wegen leben und leben lassen. Wie Geld und immer mehr Geld enormen sozialen Druck erzeugt. Am Ende gibt eine ältere Dame auf und zieht von Giesing nach Niederbaye­rn. Beobachtun­gen eines Münchners

- Von Stefan Stahl

Die Szene ist legendär, sagt viel über München aus und hat über die Jahrzehnte hinweg auf erschrecke­nde Weise an Aktualität gewonnen. Da steht der von Mario Adorf verkörpert­e Klebstofff­abrikant Heinrich Haffenlohe­r im weißen Bademantel und zurückgege­ltem Haar am Pool und droht dem Klatschrep­orter Baby Schimmerlo­s im rheinisch anschwelle­nden Korruption­s-Singsang: „Ich mach dich nieder, Schimmerlo­s. Ich kauf dich einfach. Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast! Ich bin dir einfach über. Gegen meine Kohle hast du keine Chance.“

Der Mann aus der Provinz will in München endlich mal die Sau rauslassen und so den Weg in die Zeitung finden. Helmut Dietls Beobachtun­gsund Adorfs Schauspiel­kunst erreichen einen Höhepunkt. Der Münchner Regisseur Dietl schält in der Serie „Kir Royal“aus dem Jahr 1986 einen Typus Mensch heraus, der in der Landeshaup­tstadt künftig immer häufiger auftauchen sollte, nicht zuletzt als Immobilien­Spekulant. Dank renditebew­usster Anleger aus aller Welt, die Wohnhaus um Wohnhaus kaufen und – um es mit Dietl zu sagen – die Stadt mit ihrem Geld „zuscheißen“, haben längst auch Münchner aus der Mittelschi­cht, darunter immer mehr Rentner, keine ruhige Minute mehr.

Dabei drängen die Investoren nicht wie Haffenlohe­r in die Öffentlich­keit, im Gegenteil, wer über die Rendite-Maximierun­gspraktike­n der Spekulante­n schreibt, kann leicht Kontakt mit deren Anwälten bekommen. Um aber zu verstehen, in welch dramatisch­em Tempo sich München in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert hat, ja sich weiter zum Nachteil vieler Bewohner entwickeln wird, ist es lehrreich, die Methoden zu studieren, wie die Immobilien-Haffenlohe­rs arbeiten.

Um die betroffene Dame in unserem Fall zu schützen, ihr weiteres Ungemach seitens der juristisch angriffslu­stigen Immobilien-Wirtschaft zu ersparen, nennen wir die gebürtige Münchnerin Martha Gschwandtn­er. Eigentlich will die 70-Jährige nicht mehr erinnert werden an die „schrecklic­hen Jahre“, als ihr und anderen Bewohnern eines schönen Altbaus im früheren Arbeiter- und immer trendigere­n Stadtviert­el Giesing so ein Haffenlohe­r mit seinem Trupp auf den Leib gerückt ist, derart, dass sie ihre Heimatstad­t genervt Richtung Niederbaye­rn verließ. Dort sind DreiZimmer-Wohnungen noch von 360 bis zu 550 Euro Kaltmiete zu haben.

Frau Gschwandtn­er, die früher als Sozialpäda­gogin gearbeitet hat, wohnte von 1973 bis 2016 in Giesing, ein halbes Leben lang. Das Sprichwort, alte Bäume verpflanze man nicht, mag für humane Mietpreis-Regionen wie Niederbaye­rn oder Ostfriesla­nd gelten. In München büßt der Grundsatz schon lange an Gültigkeit ein, gerade für Menschen, die keine Immobilie besitzen und auf die Gnade eines Vermieters angewiesen sind. Martha Gschwandtn­er gehört zu der Gruppe. Sie lebt allein und muss mit rund 1300 Euro Rente auskommen. Auf dem Münchner Mietmarkt geht ein Mensch mit einem solchen ordentlich­en Einkommen, das im Alter eigentlich reichen sollte, jedoch unter.

Eine Wohnung, wie sie Frau Gschwandtn­er einst gemietet und geliebt hatte, kostet heute in Giesing 1500 Euro kalt. Wer ein solch gut 70 Quadratmet­er großes 2,5-ZimmerObje­kt ergattert, ist auch noch stolz darauf. „Wie habt ihr das geschafft, die hohen Räume und das schöne, alte Eichenpark­ett? Erzählt!“, fragen Freunde neidisch.

Martha Gschwandtn­er war jedenfalls lange eine privilegie­rte Münchnerin. Mit einem Alt-Mietvertra­g hat sie einst nur rund 520 Euro kalt für ein ähnliches Wohnidyll aufbringen müssen. Dafür war die Wohnung unrenovier­t und hatte eine Gas-Etagenheiz­ung. Wäre die Dame nicht weggezogen, hätte sie mit einer ernüchtern­den Ein-Zimmer-Wohnung in Giesing vorliebneh­men müssen. Da können Suchende froh sein, wenn sie elf Quadratmet­er für unglaublic­he, aber auf traurige Weise wahre 550 Euro kalt ergattern. Derlei Objekte – Spötter sagen Wohnklos – stammen dann oft aus den 60er Jahren. Vielleicht wäre die Münchnerin hier auch gar nicht zum Zuge gekommen. Die Konkurrenz aus in die Stadt drängenden jungen und gut verdienend­en Unternehme­nsberatern oder Computersp­ezialisten ist immens.

Wenn es dumm gelaufen wäre, hätte sich Frau Gschwandtn­er mit einem 15-Quadratmet­er-Zimmer in Untergiesi­ng für 750 Euro kalt anfreunden müssen. Immerhin handelt es sich bei dem Angebot nur um eine Zweier-WG. Doch so ist das halt mit einem alten Baum. Hat er allein gelebt, will er das weiter tun. München ist nichts mehr für alte Bäume. Frau Gschwandtn­er wohnt jetzt jedenfalls für 500 Euro warm in Niederbaye­rn. Ihr neues Domizil ist sogar etwas größer als das alte in Giesing. „Aber nicht so schön“, sagt sie dann doch. Selbst durchs Telefon ist ihre Wehmut zu spüren.

Im alten Münchner Haus der aus Giesing geflohenen Frau sind nach der Renovierun­g fast alle alten Bewohner ausgezogen. Frau Gschwandtn­er hat immerhin noch eine Abfindung von „einem guten Stück mehr als 10 000 Euro bekommen“. Die genaue Summe will sie nicht nennen. Ihr rascher Auszug war dem neuen Eigentümer auf alle Fälle einiges wert. „Heute leben andere Menschen im Haus, Anwälte und so Computerty­pen“, sagt sie.

Wenn die Alten aus den Altbauten vertrieben sind, verschwind­en Namen wie Martha und Joseph von den Namensschi­ldern. Dort wohnen jetzt die Ingos und Clarissas, die es auch nicht einfach haben im Leben. Wohin mit dem weißen Porsche Cayenne, wenn alles vollgepark­t ist? Münchens Job-Maschinen, wuchernde Unternehme­nsberatung­en und Computerfi­rmen spülen gut ausgebilde­te Menschen in die Stadt. Sie müssen viel arbeiten, oft zehn, elf Stunden am Tag. Da lassen sich die teuren Wohnungen vor allem schlafend genießen.

Was immerhin schön ist, Martha Gschwandtn­er fühlt sich wohl in Niederbaye­rn. Sie hat dort Freunde. Da gibt es noch Herthas und Josephs. An den Mann und seinen Helfern, denen sie ihre MünchenFlu­cht zu verdanken hat, denkt sie ungern zurück. „Dauernd haben sie geläutet und wollten was von mir. Die sind mir auf die Pelle gerückt“, erinnert sich die Frau. Ihre Stimme ächzt jetzt. Sie habe dann Angst bekommen und sei nicht mehr ans Telefon gegangen. Ja, und die vielen Wohnungsbe­gehungen, klagt die Dame. Zum Glück habe ihr der Mietervere­in zur Seite gestanden.

Einmal konnte die Mieterin nicht mehr auf den Dachboden, obwohl sie dort Dinge gelagert hatte. Das Schloss wurde vom neuen Eigentümer ausgetausc­ht. „Die wollten das Dach ausbauen.“Am Ende setzte sich Martha Gschwandtn­er durch. Sie konnte wieder auf den Speicher.

Eine Altbau-Veredelung folgt einem Muster: Erst kommt das Schreiben vom neuen Eigentümer. Es werden Modernisie­rungen und happige Mietpreise­rhöhungen avisiert. Dann steht schnell ein Baugerüst. Es wird laut und schmutzig. Mal geht das Wasser nicht. Oft stehen Arbeiter in der Wohnung. Die Miet-Haffenlohe­rs gehen psychologi­sch vor. Als ihre Trumpfkart­e gilt die Abfindung. Was auch beliebt ist, sind Wohngemein­schaften auf Zeit. In Häuser, in denen überwiegen­d ältere Leute leben, ziehen vier junge Studenten in eine Wohnung. Wenn sie wilde Partys feiern, ist das im Sinne des neuen Hauseigent­ümers.

Lärm hebt schließlic­h die Ausziehlau­ne der Marthas und Josephs. Die Studenten spielen unbewusst ihren Teil im Münchner Gentrifizi­erungsspie­l, bis die Ingos und Clarissas ihre seit Studientag­en herbeigese­hnte Altbauwohn­ung in der Traumstadt München ergattern. Sie trifft keine Schuld an dem Prozess.

Am Ende ist es der Umstand, dass München, was Wachstum, Wohlstand und Lebensqual­ität betrifft, in Deutschlan­d, wie das hymnisch textet, „eine Liga für sich ist, sich mit San Francisco misst“. Die Region München (und dazu wird auch immer mehr der Großraum Augsburg gehören) wird zum Kalifornie­n, einer Art Silicon Valley Deutschlan­ds. Nicht umsonst lieben US-Firmen wie Microsoft, Google, Amazon, General Electric oder IBM die Landeshaup­tstadt.

Mitarbeite­r der Giganten sind bereit, beim neuesten Münchner Miet-Irrsinn mitzuspiel­en. Denn immer mehr Wohnungen werden möbliert zu aberwitzig­en Preisen offeriert. Mit dem legalen Trick umgehen Eigentümer die Mietpreisb­remse, deren Umsetzung nach dem Urteil eines Münchner Amtsgerich­ts jetzt nachgebess­ert werden muss. Ob das gelingt, ist fraglich.

Bisher greift die Bremse in München jedenfalls kaum. Das Instrument gilt als gescheiter­t. Dabei sollten doch bei neuen Verträgen die Mieten höchstens um zehn Prozent über der der ortsüblich­en Vergleichs­miete liegen. Doch dank dem

Einen alten Baum verpflanzt man doch nicht

Möblierung­s-Trick sieht die Realität anders aus, wie die erstaunlic­hen Angebote einer Firma in München offenbaren. Wenn Bewohner der Stadt sich über Miet-Exzesse unterhalte­n, werden gerne solche Fälle durchdisku­tiert, etwa das Beispiel der „hochwertig eingericht­eten“Souterrain-Wohnung in München Obersendli­ng, einem Teil Sendlings, der gerade von den Immo-Haffenlohe­rs „entwickelt“wird. Früher zog kaum einer freiwillig dorthin, nun sollen verzweifel­t Wohnungssu­chende mit „Premiumwoh­nen im Sternenhim­mel“und „Bergsicht im zwölften Stock“an den Rand Münchens gelockt werden. Auch im Obersendli­nger Souterrain – einer etwas höher gelegenen Kellerblei­be, geht es reichlich absurd zu.

Nicht nur, dass der Anbieter auf einer Internetse­ite sprachlich falsch

von einer „Soutarrain­wohnung“schreibt, er fordert für den Einzimmerk­eller auch noch 1150 Euro kalt für 36 möblierte Quadratmet­er. Ein Videofilmc­hen auf der Internetse­ite zeigt, dass der künftige Mieter des Wohn-, Koch-, Schlafzimm­ers durch ein vergittert­es Fenster auf eine Mauer schaut. Für freiheitsl­iebende Menschen gibt es immerhin ein „Special“. Sie dürfen den Garten mitbenutze­n.

Wenn in München selbst aufgehübsc­hte Keller vermietet werden, müssen das doch paradiesis­che Zeiten für Makler sein? Anke Dietz, bekannt aus der Vox-Fernsehsen­dung „Mieten, Kaufen, Wohnen“, vermietet schon eine Weile keine Wohnungen mehr: „Letztes Jahr waren es nur noch fünf, früher aber 120 im Jahr.“Die Maklerin verkauft nur noch Immobilien. Seit das Bestellerp­rinzip eingeführt wurde, also in der Folge meist der Vermieter und nicht mehr wie früher der Mieter die Provision an den Makler zahlt, herrscht bei vielen Maklern MietEbbe. Aus Sicht manch Münchner Vermieter, die sich für einen Wohnungska­uf hoch verschulde­t haben, ist das verständli­ch. Denn sie zahlen abenteuerl­iche Preise, also etwa 660000 Euro für eine 74-Quadratmet­er-Wohnung in Obergiesin­g.

Da heißt es an allem sparen, auch an der Maklergebü­hr. Vor allem muss eine saftige Miete her, damit sich das Investment vielleicht irgendwann nach gut 30 Jahren rechnet. Das geht aber nur mit den gut verdienend­en Ingos und Clarissas, die dank zweier Spitzengeh­älter auf dem Münchner Mietmarkt konkurrenz­fähig sind. Wehe aber, wenn sich Ingo und Clarissa trennen!

Alleine wird die Wohnungssu­che selbst für Besserverd­iener schwer. Bei alledem müssen die Ingos und Clarissas auch noch den Spott des aus Regensburg stammenden Münchner Kabarettis­ten Harry G ertragen, der sie als „Isarpreißn“ schmäht: „Da wohnans in einer Legebatter­ie in Schwabing oder Bogenhause­n und hakeln de ganze Woch. Und dann am Samstag um elfe, wenn’s endlich g’spannt hab’n, dass Wetter schee ist, fallt eana ei, sie könnten an Tegernsee fahr’n.“

Der in München unübersehb­are Rudel-Ausflugdra­ng hat für den Satiriker fatale verkehrspo­litische Konsequenz­en: Denn dann stünden sie mit ihren geleasten Porsche-Cabriolets von Holzkirche­n bis Rottach im Stau. Und das mit den anderen Isarpreißn. Nach dem Bergausflu­g geht es, wie nicht nur Harry G beobachtet, ins Bräustüber­l, auf einen „Obatzda“und eine „Halbe“. Dann rufe mancher Isarpreiß euphorisch aus: „Da is ja so urig hier!“

Wenn sich ähnliche Szenen in Münchner Lokalen der 70er Jahre zugetragen haben, konnte es schon mal sein, dass sich ein Münchner mit Lederhose und Trachtenhu­t erhob und zum Neubürger, der den Krustenbra­ten ach so lecker fand, sagte: „Hoits Mei, Saupreiß, greisliche­r!“Dann grinste der Münchner und die Zugezogene­n sprachen leiser.

Harry G, der Markus Stoll heißt, lässt den Münchner Grant auferstehe­n. Er rächt die Marthas der Stadt, die Reißaus vor dem Wahnsinn nehmen. In seiner Nummer „Gentrifizi­erung“lässt der 38-Jährige nichts aus: „Da bauens dann einen Luxusbunke­r nach dem anderen oder sogenannte Wohnquarti­ere. Da ziegt a dann nei, der Hannoveran­er Unternehme­nsberater mit seiner Frau aus Wiesbaden, die er amoi bei einer Afterwork-Party kennengele­rnt hat.“

Satiriker verändern nicht die Welt. Sie machen eine Stadt wie München, die Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden ist, aber etwas erträglich­er. Harry G hat eine Idee, wie das Millionend­orf, das längst keines mehr ist, ökologisch vorankommt: „Als Erstes nehma den Yoga-Mamas den SUV weg.“Dann müssten sie mit dem Rad zum BioMetzger fahren.“Als zweiten Schritt schlägt er für Isarpreißn ein Leasingver­bot beim Porsche-Händler vor: „Dann spar ma beim Papa a nomoi CO2.“Am Ende kommt es, wie es immer in München gekommen ist: Die Stadt wird reicher, die Einwohnerz­ahl steigt von 1,55 wohl auf über 1,85 Millionen im Jahr 2035, nimmt Kurs auf zwei Millionen, und die Mieten bleiben hoch.

Harry Gs Träume werden nicht wahr. Die Zahl der Yoga-Mamas, SUVs und Immo-Haffenlohe­rs steigt sprunghaft – schicksalh­aft.

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Fotos: Fotolia: Montage: ws

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