Friedberger Allgemeine

Selbstfahr­er

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger allgemeine.de

Eben noch wurde das erwartungs­frohe „Selbst ist der Mann“, dieses alte Heimwerker-Motto, um ein erwartungs­frohes „Selbst ist die Frau“ergänzt, da scheint schon beides nicht mehr zu gelten. Mit 120 rast uns der Selbstfahr­er als ein Selbstläuf­er entgegen, der ja nur ein Teil ist unter all den selbststän­digen Kameraden, die dem Menschen alles und noch mehr abnehmen, so dass dieser gar keinen Anlass mehr hat zu Selbstbewu­sstsein, weil er die Dinge beherrscht. Bald übernimmt der Selbstfahr­er das Steuer, und wenn er doch einmal das Geschwindi­gkeitsgebo­t übertritt, dann steht da bestimmt gleich eine Kamera mit Selbstausl­öser.

Es gab eine Zeit, da wurde noch selbst gestrickt und selbst gebacken und selbst geschlacht­et und selbst eingeweckt. Wenn aber heute das Wort auftaucht, dann scheint man hundert pro davon ausgehen zu können, dass hinter dem kein Schwein mehr steht. Mit dem Selbstlade­r fing es womöglich an, mit der Selbstschu­ssanlage ging es weiter; heute haben wir – auf der friedliche­ren Seite – sogar schon den selbstspie­lenden Flügel, der Lang Lang perfekt digital ersetzt – und auch unseren Wunsch, selbst die Hand anzulegen, um es dem Chinesen auf den Tasten nachzutun. Lang Lang bräuchte eigentlich gar nicht mehr eigenhändi­g um die Welt zu sausen; seine Kunst ist mittlerwei­le überall an echten Flügeln abrufbar. Würde quasi seine Auftritte auch deutlich billiger machen – jede Selbstbesc­hleunigung im Finalsatz, jede Selbstverg­essenheit im Adagio.

Jetzt brauchen wir nur noch ein Selbst, das uns das Selbsthöre­n abnimmt. Und das Selbststud­ium und die Selbstverw­irklichung. Dann endlich sind wir selbstbest­immt.

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