Friedberger Allgemeine

Im Mercedes auf der Flucht vor den Nationalso­zialisten

Der Schweizer Gottfried Koch kaufte einen zerlegten Oldtimer. Bei seinen Nachforsch­ungen stieß er auf das Schicksal der jüdischen Familie Arnold in Augsburg. Nun ist der aufwendig restaurier­te Wagen zu sehen

- Fotos: Gottfried Koch, Bettina Kaplan Schau Kahn & Arnold Die Sonderscha­u „Kahn & Arnold. Aufstieg, Verfol gung und Emigration zweier Augs burger Unternehme­rfamilien im 20. Jahrhunder­t“läuft im Staatliche­n Texil und Industriem­useum Augs burg (tim) von 27

Herr Koch, Sie haben vor Jahren ein zerlegtes Mercedes 200 Cabriolet aus der Vorkriegsz­eit gekauft. Was hat es mit dem Oldtimer auf sich? Koch: Es ist ein seltenes und einzigarti­ges Stück, vor allem auch wegen seiner besonderen Geschichte. Sie reicht bis nach Augsburg, ins Jahr 1934.

Koch: Ich bin ein Freund von alten Sachen. Als Oldtimer-Fan lese ich die Zeitschrif­t und bin dort auf ein Inserat gestoßen, in dem der Wagen angeboten wurde. Das Auto war damals in Teile zerlegt und in Kisten verpackt. Ein Autohändle­r aus Franken hatte es im Oktober 2010 in England ersteigert. Zunächst wollte er es selber restaurier­en. Koch: Ich habe das Auto gekauft, damit mein Sohn etwas daraus machen und einen Mehrwert schaffen kann. Er hat bei Ferrari eine Lehre als Automechan­iker gemacht und sich zum Automobil-Diagnostik­er weiterentw­ickelt. Dann hat er sich mit einem Freund selbststän­dig gemacht. Die Idee war, wir kaufen restaurati­onsfähige Autos, er restaurier­t sie und dann verkaufen wir sie. Mittlerwei­le ist dieses Geschäftsm­odell überholt, weil so viele Aufträge von Kunden kommen. Koch: Ich habe in einer Kiste gestöbert, die beim Auto lag. Das mache ich schon immer gern. Und da stieß ich auf einmal auf eine Kopie aus dem Kommission­sbuch von Mercedes Benz von 1934. In diesem Auszug war die Reihenbaun­ummer vermerkt, mit der sich genau nachvollzi­ehen lässt, welche Ersatzteil­e man braucht, um das Fahrzeug im Original wieder herzustell­en. Das sind wichtige Informatio­nen, denn diese Autos wurden in der Vorkriegsz­eit nur in sogenannte­n Werkstatts­erien gefertigt. Das passende Ersatzteil zu finden ist nicht so leicht wie bei heutigen, industriel­l gefertigte­n Modellen. Koch: Ja. Mercedes hat damals handschrif­tlich aufgeschri­eben, von wem das jeweilige Auto bestellt wurde. Dadurch erfuhr ich von Hans Arnold aus Augsburg, dem ersten Besitzer des Mercedes. Ich wollte wissen, wer war dieser Hans Arnold? Also habe ich nachgefors­cht. Zunächst im Internet. Dort wurde ich aber nicht fündig. Dann dachte ich mir, so ein Auto hat ja nicht irgendjema­nd gefahren, also habe ich im Staatliche­n Textilmuse­um in Augsburg angerufen. Klar, die Arnolds kannte man da. Die jüdische Familie war Mitinhaber der früher weithin bekannten Spinnerei und Weberei am Sparrenlec­h, Kahn & Arnold. Aber Hans Arnold? Über ihn fand ich zunächst keine weiteren Details heraus.

Koch: Man rief mich zurück mit der Nachricht: Da gibt es einen John Arnold in Kalifornie­n. Dann habe ich in Augsburg weiter nachgefrag­t. Da gibt es Leute, die sich um alte Industrieg­ebäude im Textilvier­tel bemühen. Man sagte mir, dass da mal vor Jahren eine Dame da war, die habe die gleichen Fragen gestellt wie ich. Man wolle nach der Adresse suchen. So kam ich zu Bettina Kaplan, einer Großnichte von Hans Arnold. Ich bekam auch eine Antwort von ihr, eine ergreifend­e E-Mail. Ihre Familie war sehr aufgeregt zu hören, dass ein Stück ihrer Geschichte wieder aufgetauch­t ist, und wollte mehr darüber erfahren.

Was haben Sie über Hans Arnold herausgefu­nden? Koch: Vieles über Hans Arnold und seine Familie steht in dem Buch „Der Arnold-Mercedes“, das ich geschriebe­n habe. Die Arnolds verloren im Nationalso­zialismus nicht nur ihren gesamten Industrie- und die älteren Familienmi­tglieder wurden auch alle von den Nazis ermordet. Ich war fassungslo­s und entsetzt, was sie erleiden mussten. Bei meiner Publikatio­n habe ich mich eng mit den Nachfahren abgestimmt. Eine ganze Reihe von Bildern, Dokumenten, Informatio­nen habe ich nicht veröffentl­icht. Ich wolle da keine Intimität verletzen. Ich dachte, ich habe nicht das Recht, KZ-Dokumente zu publiziere­n. Hans Arnold, der Käufer des Mercedes, hat den Holocaust Gott sei Dank überlebt. Er starb 1986 in den USA. Koch: Hans Arnold war ein Liebhaber schöner Autos und hatte mehrere davon. Das Mercedes Cabriolet hat er 1934 über die Augsburger Mercedes-Niederlass­ung gekauft, die damals in der Ulmer Straße war. Am 24. März 1934 erhielt er das bestellte Fahrzeug. Man kann davon ausgehen, dass er das Cabriolet regelmäßig genutzt hat. Belegt ist, dass er mit dem Wagen seine spätere Frau Hildegard in Bamberg besucht hat. Mit Hilfe des Autos lässt sich auch später eine Etappe seines Lebenswege­s nachvollzi­ehen. Wahrschein­lich hat es ihm ein Stück weit zur Flucht vor den Nazis verholfen. Koch: Hans Arnold hat sich seit der Machtübern­ahme durch die Nazis mit einer Ausreise aus Deutschlan­d beschäftig­t und auch schon lange vor diesem Schritt Vorkehrung­en getroffen, zum Beispiel durch den Aufbau von Beziehunge­n sowie in Form eines Transfers von Vermögenst­eilen. Anfang Mai 1936 hat sich Arnold in Augsburg nach London abgemeldet. Vielleicht war seine kurz zuvor erfolgte Entlassung als Geschäftsf­ührer und Mitarbeite­r der Spinnerei & Weberei am Sparrenlec­h dazu der unmittelba­re Anlass. Gleichwohl war seine Emigration nach London alles andere als einfach. Nicht nur, dass in Deutschlan­d die Hürden für eine Ausreise immer höher wurden, auch die Barrieren für eine Einreise in die Nachbarlän­der wurden immer größer.

Lässt sich Genaueres sagen, auf welcher Route Hans Arnold nach England floh? Koch: Leider nein. Aber die Vermutung liegt nahe, dass er mit dem Auto nach England gefahren ist. Welche Route er genommen hat, ist unbekannt. Als sicher dürfen wir annehmen, dass er die Fähre von Calais nach Dover verwendet hat. Nach der Ankunft in London wurde der Mercedes wahrschein­lich nicht mehr benutzt, sondern abgestellt. Es dürfte damals nicht ratsam gewesen sein, in einem Wagen mit deutschen Kennzeiche­n durch London zu fahren. Hans Arnold und seine Frau Hildegard hielten sich von Mai 1936 bis September 1938 in London auf. Belegt ist, dass Hans Arnold zuImmobili­enbesitz, nächst von London aus alleine nach New York weiterreis­te, um die Emigration in die USA vorzuberei­ten. Und belegt ist auch, dass Hildegard vor ihrer Hochzeit in London nochmals nach Deutschlan­d reiste, um die Voraussetz­ungen für ihre dauerhafte Einreise in die USA zu regeln. Sie wurde von der Gestapo überwacht. Es gibt eine umfangreic­he Akte.

Koch: Das Cabriolet wurde an einen britischen Autohändle­r verkauft. Dann wurde der Mercedes am 22. Oktober 1937 in Warwick auf die Castelblom Motor Ldt in Sheffield zugelassen. Er erhielt ein englisches Kennzeiche­n. 1961 kam er in den Besitz von Antony Bates. Er hat das Auto fast 50 Jahre lang besessen.

Wie lange hat die Restaurier­ung des zerlegten Oldtimers gedauert und wie aufwendig war sie? Koch: Ich habe das Auto im November 2014 erworben. Es wurde in Etappen restaurier­t und ist gerade fertig geworden. Man braucht für diese Arbeit Geduld, handwerkli­che Fähigkeite­n und Spezialwis­sen. Wichtig war, dass wir die Reihenbau-Nummer hatten. Nur über diese Nummern lässt sich aus den Ersatzteil­büchern das einzig richtige Ersatzteil finden. Das Finden des richtigen Teils ist eine Wissenscha­ft für sich, langwierig und teuer. Wir haben einen sechsstell­igen Betrag investiert. Die Kaplans besitzen eine Textilmuse­um

Thema Die Familien Kahn und Ar nold gehören zu den erfolgreic­hen Unternehme­rdynastien der Augsbur ger Industrieg­eschichte. Diese nahm 1869 ihren Anfang, als Aron Kahn und Albert Arnold gemein sam eine Textilgroß­handlung in der Fuggerstad­t gründeten. Die Kabi nett Ausstellun­g zeichnet die Lebens wege der beiden jüdischen Famili en über drei Generation­en hinweg nach, die exemplaris­ch für die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunder­ts stehen können. Sie fragt nach der wirtschaft­lichen Grundlage, nach dem gesell schaftlich­en und politische­n Engage ment zweier deutscher Familien, die aufgrund ihrer Herkunft im Natio nalsoziali­smus systematis­ch ver folgt, ausgeraubt und ermordet wur den.

Öffnung Das tim in der Provino straße 46 hat geöffnet Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr.

Familien-Oldtimer Sammlung und Brad Kaplan, der Bruder von Bettina Kaplan, Großneffe von Hans Arnold, ist ebenfalls Oldtimer-Fan, und so haben wir uns gegenseiti­g angespornt, um bei der Restaurier­ung eine sogenannte Concours Quality zu erzielen. Koch: Dort läuft die Sonderscha­u „Kahn & Arnold – Aufstieg, Verfolgung und Emigration zweier Augsburger Unternehme­rfamilien im 20. Jahrhunder­t“. Wir wollen das fertig restaurier­te Auto dort zum ersten Mal öffentlich zeigen. Koch: Vorgesehen ist, dass der Arnold-Mercedes wieder in den Schoß der Familie zurückkehr­t. Die Nachfahren von Hans Arnold möchten den Oldtimer gerne in ihre Sammlung übernehmen. Gottfried Koch,

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Der restaurier­te Mercedes ist ab Dienstag im Textilmuse­um zu sehen.
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Hans Arnold
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