Friedberger Allgemeine

Martin Luther durfte nur von außen zuschauen

Eine Tagung im Stadtarchi­v erklärt, warum Augsburg ganz unterschie­dliche Wege zur Reformatio­n ging

- VON ALOIS KNOLLER

Vielleicht lag es in der Luft, dass etwas Unheimlich­es in die Stadt einfliegen könnte. Jedenfalls wurde im Jahre 1517, da Martin Luther seine 95 Thesen zum Ablass in Wittenberg anschlug, in der Freien Reichsstad­t Augsburg 550 Fledermäus­e gefangen, weil es gar so viele gab. Tagsüber belästigte die Stadt ziemlicher Baulärm, denn sie schickte sich an, die Kirchen Dom, St. Anna, St. Katharina und St. Ulrich und Afra zu erweitern oder zu erneuern. Der Historiker Christof Paulus listete derlei Ereignisse auf, um farbig die Epoche zu schildern, in der sich die Reformatio­n in der Reichsstad­t abspielte. Paulus läutete damit ein interdiszi­plinäres Symposium am Donnerstag im Stadtarchi­v ein.

Dass es mit der Frömmigkei­t im Niedergang gewesen wäre, entspreche nicht der Wahrheit. Die Kirchen erfreuten sich zahlreiche­r Stiftungen, die darauf abzielten, eine einheitlic­he, niveauvoll­e Liturgie und Liedpflege sicherzust­ellen. Geschäftem­acherei mit dem Religiösen wurde durchaus kritisch reflektier­t gegen delinquent­e Kleriker verhängte der Rat strenge, öffentlich zur Schau gestellte Strafen, so Paulus. Denn nach damaligem Rechtsvers­tändnis war der Rat auch für die religiöse Ordnung zuständig. „Das Recht diente auch der Versöhnung mit Gott“, erklärte Christoph Becker, Professor für Rechtsgesc­hichte. Das Delikt der Ketzerei entfiel nach Vorlage der protestant­ischen Confessio Augustana auf dem Augsburger Reichstag 1530 aus dem Reichsstra­fge- setz. Zu heikel war die Materie unter den verschiede­n konfession­ellen Reichsstän­den geworden.

Die Reichsstad­t Augsburg selbst hatte sich relativ spät der Reformatio­n angeschlos­sen, erst das Reformatio­nsmandat 1534 und die Kirchenord­nung 1537 taten die „papistisch­e Abgötterei“ab. Auf den häufig anwesenden Kaiser und mächtige altgläubig­e Finanziers wie die Fugger galt es Rücksicht zu nehmen. So lief die Reformatio­n zunächst auf unteren Ebenen ab, nämlich in den Pfarrgemei­nden, Bettelorde­n und Prädikatur­en. Prof. Rolf Kießling, der beste Kenner dieser Zeit, beund schrieb ein dynamische­s Wechselspi­el. In den bürgerlich verwaltete­n Pfarrzeche­n ging der Glaubenswa­ndel bruchlos vonstatten. So bestellte man in St. Ulrich und Afra den vom Kloster wegen seiner neuen Lehre abgesetzte­n Pfarrer eben zum Prediger. Ohnehin fand „eine Abstimmung mit den Füßen“statt, sagte Kießling, und es entstanden „Hörergemei­nden“. Die Gläubigen gingen in die Kirche, deren neue Ausrichtun­g ihnen zusagte. Etwa zum sozialkrit­ischen Prediger Johannes Schilling in die Barfüßerki­rche. Seinetwege­n kam es 1524 fast zum Handwerker-Aufstand gegen den Rat. Zu St. Anna, eher lutherisch geprägt, pflegte man ein feierliche­s, sakrales Abendmahl, während zu St. Moritz der Zechpflege­r Marx Ehem 1533 den Konflikt mit den Fuggern riskierte, als er den Himmelfahr­tschristus wegschaffe­n ließ.

Es wäre aber unfair, die Fugger ausschließ­lich als die Gegenspiel­er der Reformatio­n in Augsburg wahrzunehm­en, betonte Prof. Dietmar Schiersner, der Leiter des Fugger– archivs Dillingen. Immerhin setzten die Handelsher­rn in Einheit mit dem Zechpflege­r eine eigenständ­ige Predigerst­elle am Kollegiats­tift St. Moritz beim Papst durch. Als man sich nicht mehr so gut verstand, wurde diese Prädikatur zeitweise doppelt besetzt. In der bikonfessi­onellen Stadt habe sich im Lauf der Jahrzehnte ein Wettstreit entwickelt, meinte Schiersner. Und obwohl die Fugger im Spannungsf­eld unterschie­dlicher Loyalitäte­n standen – zu den katholisch­en ebenso wie zu evangelisc­hen Herren –, wahrten sie ihr Augsburger Bürgerrech­t und ihre städtische­n Ämter.

Martin Luther beäugte das Nebenund Gegeneinan­der der Prediger in Augsburg von Wittenberg aus argwöhnisc­h. Augsburg sei in sechs Sekten zerteilt, klagte er. Mit Briefen versuchte Luther hier Einfluss zu nehmen, 30 Schreiben sandte er zwischen 1533 und 1538 nach Augsburg, 14 erhielt er. Neun originale Lutherbrie­fe bewahrt das Stadtarchi­v. Dem Wittenberg­er missfiel die nüchterne Abendmahll­ehre der oberdeutsc­hen Prediger und er ärgerte sich über deren „schlüpfrig­e Worte“und dass sie „sich rühmen, gleich uns zu lehren“. Erst zwei Jahre darauf, 1535, kam eine Einigung („Konkordie“) zustande, sodass Luther schrieb: „Ich bin fürwahr höchlich erfreut“. Archivdire­ktor Michael Cramer-Fürtig wies freilich darauf hin, dass entscheide­nd für den Rat eher die Vermittlun­g des Straßburge­r Predigers Martin Butzer war, der die städtische­n Verhältnis­se besser verstand. „Zwischen Augsburg und Luther bestand immer ein ambivalent­es Verhältnis“, folgerte Cramer-Fürtig.

Die junge Generation wuchs damals im Puls der Zeit auf. Der Literaturh­istoriker Prof. Klaus Wolf beschrieb eine „Ökumene im Theater“. Sixt Birk und Sebastian Wild, beide Lehrer, übernahmen die spätmittel­alterliche­n Vorlagen dramatisie­rter biblischer Stoffe und trugen aktuelle Bezüge ein, vor allem den antitürkis­chen Kampf. Seien es Judith, die Israels Feind Holofernes enthauptet, oder der heilige Georg, der es mit dem Gegenspiel­er Machmut zu tun kriegt. Ins alte Kaufbeurer Passionssp­iel bauten die Augsburger ganz nach dem neuen Weltbild eine hochgelehr­te Rede über die Himmelszei­chen und Planeten ein.

Als Papst Gregor XIII. aber 1583 eine Kalenderre­form anstieß, hielten die Evangelisc­hen in Augsburg dies für einen Eingriff in ihre Religionsf­reiheit und lieferten sich heftige Auseinande­rsetzungen mit dem katholisch-patrizisch dominierte­n Rat. Mochte dieser schon Monate voraus für die Annahme gemeiner Werkund Markttage gleich dem bayerische­n Nachbarn geworben haben. „Aus der astronomis­ch-technische­n Reform wurde eine konfession­elle Angelegenh­eit und es kam zu ständig wachsender Erbitterun­g“, erklärte Privatdoze­ntin Regina Dauser. Erst 1591 war wieder Frieden.

 ?? Foto: Stadtarchi­v Augsburg ?? „Gnad und Fried in Christo“wünschte Martin Luther am 20. Juli 1535 dem ehrbaren Rat zu Augsburg; der Brief war offenbar erwartet worden, denn mit dem Siegel riss die Kanzlei hastig auch ein Stück des Papierboge­ns ab.
Foto: Stadtarchi­v Augsburg „Gnad und Fried in Christo“wünschte Martin Luther am 20. Juli 1535 dem ehrbaren Rat zu Augsburg; der Brief war offenbar erwartet worden, denn mit dem Siegel riss die Kanzlei hastig auch ein Stück des Papierboge­ns ab.
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