Friedberger Allgemeine

Können wir uns noch sicher fühlen?

Ein Stationenw­eg durch das marode Große Haus führt zur Auseinande­rsetzung mit Krieg und Religion

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Wo stand er noch mal, dieser Satz, in dem es darum geht, dass die Frauen beim Gottesdien­st getrennt von den Männern zu sein haben: in der Bibel, im Talmud oder im Koran? Gespielt wird „1,2 oder 3“, das aus dem Fernsehen bekannte Kinderquiz, bei dem das Publikum sich für eine Antwort und ein Feld entscheide­n muss. Wenn das Licht angeht, wissen die Zuschauer, dass sie richtig stehen.

„1, 2 oder 3“wird diesmal aber nicht in einem Fernsehstu­dio gespielt, sondern als interrelig­iöses Showformat der Bluespots Production­s und dem Kültürvere­in im Malsaal des Theaters Augsburg. Auf einem Stationenw­eg im Rahmen des Festivals „In Gottes Namen“geht es quer durch das Große Haus – vom Foyer im ersten Stock auf die Unterbühne, in den Heizungske­ller, ins Magazin, auf die Hinterbühn­e. Überall erwarten die Besucher Darbietung­en von Künstlern der Freien Szene in Augsburg: Das Mehr-Musik!-Ensemble spielt unter anderem eine Vertonung des Luther-Textes „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Zu Texten von H. M. Enzensberg­er und Joseph Conrad blicken die Zuschauer im Magazin in einen Abgrund, der mittels einer Videoinsta­llation von Joss Bachhofer und Jochen Strodthoff immer näher kommt und den Eindruck vermittelt, als stürze man hinunter. Action-Painting zeigt das Künstlerdu­o Christ Mukenge und Lydia Schellhamm­er mit seiner Performanc­e „Exorzismus“, die sich mit demÜberwin­den von Kontrollme­chanismen beschäftig­t.

Schließlic­h endet der Rundgang im Garderoben­foyer. Dort wird jenes Loch in der Decke angestrahl­t, das im vergangene­n Jahr als Sicherheit­slücke im Brandschut­z entdeckt wurde und zur Schließung des Großen Hauses führte. Deshalb ist das Motto des Stationenw­eges, „Söldner/Innere und Äußere Sicherheit“durchaus auch ironisch zu verstehen, gibt Intendanti­n Juliane Votteler zu verstehen und stellt die Frage: „Wie sicher können wir uns denn überhaupt noch fühlen?“Der andere Teil des Mottos bezieht sich auf die Einbettung des Theaterfes­tivals in das Reformatio­nsjubiläum und dessen Zusammenha­ng mit dem Dreißigjäh­rigen Krieg. „Wie damals stehen sich heute nicht mehr Nationen gegenüber, sondern Heere mit völlig unterschie­dlichen Menschen, die sich im Krieg verdingen“, erläutert die Intendanti­n.

Beim gestrigen Rundgang führte Votteler dazu mit dem Terrorismu­sexperten Wolfgang Kraushaar und der Kulturhist­orikerin Silvia Serena Tschopp von der Universitä­t Augsburg ein Expertenge­spräch. Kraushaar stellte dar, dass der religiös gerechtfer­tigte Terrorismu­s in seiner Dimension der Schrecklic­hkeiten größer sei als einst der politisch motivierte. Bei der Wiederholu­ng des Stationenw­eges an diesem Sonntag um 15.30 Uhr wird an dieser Stelle eine Studentin Wolfram von Eschenbach­s Heldengedi­cht „Willehalm“vortragen, in dem eine zum Christentu­m konvertier­te Muslima im Krieg um Gnade für die Heiden bittet, weil sie als Geschöpfe Gottes zu sehen seien.

Ein zweites Expertenge­spräch eröffnete den Rundgang im Foyer des ersten Ranges: Dort diskutiert­e Klaus Vogelgsang, Altgermani­st und Theaterbea­uftragter der Universitä­t Augsburg, mit den Forschern Ann Tlusty und Helmut Graser unter anderem auch darüber, wie kriegerisc­h unsere Sprache geworden ist. Vogelgsang stellte dabei auch dar, dass schon in der Bibel bei Kain und Abel Glaubensfr­agen der Grund für einen Mord waren. „Krieg braucht immer eine große Rechtferti­gung, und da kommt die Religion gerade recht“, schloss er.

Stationenw­eg am Sonntag, 25. Juni, um 15.30 Uhr, Treffpunkt in der Kas senhalle

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Foto: Birgit Müller Bardorff Bibel, Talmud oder Koran ist die Frage beim interrelig­iösen Quiz im Theater.

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