Mit Qigong die Berge versetzen
Die traditionelle Heilkunde aus China beeinflusst Energiebahnen im Körper. Jeanne Graf de Vergara lehrt die Technik seit 16 Jahren. Wie sie den Weg zum Glück bereitet
Friedberg Die Bewegung ist fließend, die Umgebung grün. Inmitten des Stadtgartens schwingt eine Frauenschar mit den Flügeln. Sie praktiziert Qigong. Der Kondor breitet seine Schwingen aus – so nennt sich eine der 15 Ausdrucksformen des Qigong Yangsheng nach dem chinesischen Professor Jiao Guorui. Die Diplom-Pädagogin Jeanne Graf de Vergara lehrt sie an diesem Nachmittag einer Gruppe von Frauen. „Arme zur Seite, Flügel durch das Wasser ziehen und aufrichten“, erklärt Graf und führt die Übung vor. Ein Schritt nach links und wiederholen. „Denken Sie daran: Der Kondor hat eine Spannweite von über vier Metern.“
Qigong ist Teil einer uralten chinesischen Kultur. Es ist ein Sammelbegriff für Übungsmethoden, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Lebenskraft beschäftigen. „Das Qi bedeutet Energie oder Lebenskraft, das Gong beharrlich üben“, sagt Graf weiter. Heute sind neun Frauen in den Stadtgarten gekommen. Gut die Hälfte davon bringt erste Erfahrungen mit. „Es gibt so unterschiedliche Formen von Qigong, wie es Wege gibt, um ans Glück zu gelangen“, scherzt die Trainerin und stellt zwei Grundregeln auf. Die Erste: Fühle dich wohl. „Sie sollten nur Dinge tun, die Sie als angenehm empfinden“, betont sie. Die Zweite: Trinke genügend. Jeanne Graf de Vergara trainiert seit 1993 regelmäßig Qigong, seit etwa 16 Jahren gibt sie Unterricht – meist in Augsburgs Stadtmitte und Göggingen. Was sie nach Friedberg verschlägt? „Ich arbeite haupt- im Bürgernetz“, erzählt sie. Warum also nicht auch den Nebenberuf nach Friedberg holen. Sie lacht. Nun geht es an erste Lockerungsübungen. „Wir klopfen die Meridiane ab“, so die Leiterin. Meridiane – das sind Energieleitbah- nen. Seitlich, mittig, den Körper entlang. Auch das Gesicht wird geklopft. „Klopfen Sie, soweit es Ihnen angenehm ist.“Was man für Qigong benötigt? „Ein bisschen Platz und etwas Zeit.“Spezielle Kleidung? „Nur nicht den Stöckelberuflich schuh.“Sportliche Voraussetzungen? „Nein.“Gerade hier liege der Vorteil von Qigong: Die Übungen können individuell angepasst und im Sitzen, Liegen oder Stehen praktiziert werden. „Habe ich eine Knieverletzung, nehme ich den Stuhl“, erläutert sie. Nach den Lockerungen geht es an die Ausdrucksformen. Geplant sind fünf der 15 Bewegungsabläufe: „Die Frauen sollen eine Idee davon bekommen, was Qigong ist und bedeutet“, so Graf.
Ausdrucksform 1: „Wir stellen uns vor, wir stehen im Wasser.“Die Hände gleiten zur Mitte, sie steigen nach oben. „Reguliere den Atem, beruhige den Geist“, ruft Graf in die Runde. Ursula Kramer ist heute zum ersten Mal dabei. Wie sie die Stunde findet? „Super. Ich bin nicht der Typ für Sport“, sagt sie und schmunzelt. „Aber diese Übungen tun gut.“Der Anwendungsbereich von Qigong ist breit. Meist würde es in der Prävention von Krankheiten eingesetzt, so Graf. Gleichzeitig könnten bestehende Erkrankungen therapiert oder gelindert werden. „Viele verwenden es zur Stressbewältigung“, bemerkt sie. Es sei aber keine Gymnastik, bekräftigt Graf. „Die Energiebahnen werden ins Gleichgewicht gebracht.““
Jetzt geht es ans Berge versetzen: Den linken Fuß nach vorne, die rechte Ferse bleibt auf dem Boden. Beide Arme leicht ausgestreckt nach vorne gleiten lassen. „Schiebe den Berg mit beiden Händen“, sagt Graf. Es ist die zweite Ausdrucksform des Qigong. Ob es anstrengend ist? Ursula Kramer winkt ab. „Aber es macht durstig.
Ausdrucksübung 3: Der Pfau schlägt ein Rad. Diesmal müssen die neun Teilnehmer das Gewicht nach vorne legen. „Die Schultern breit, die Arme öffnen, die Welt umarmen und zurück“, bemerkt die Übungsleiterin. Die Aktion „Qigong Yangsheng“hat die Augsburger Ärztin Elisabeth Friedrichs ins Leben gerufen. Das Angebot ist kostenlos. „Alle sollen die Möglichkeit bekommen, das Heilsystem kennenzulernen“, sagt Graf. Auch Ursula Kramer wollte lediglich einmal hineinschnuppern. „Mal sehen, ob es zu mir passt“, sagt sie. Ob es das tut? „Bis jetzt sieht es gut aus.“Dagegen hat Monika Langer schon Erfahrungen mit Qigong gesammelt. „Qigong schafft den Ausgleich zum Alltag“, findet sie. „Es gibt Ruhe, Energie, Entspannung.“Und macht glücklich.