Friedberger Allgemeine

Über 100 Morddrohun­gen

Die Gründerin der liberalen Moschee steht jetzt unter strengstem Polizeisch­utz. Erdogan protestier­te bei Bundesregi­erung gegen ihr Projekt

- VON MARTIN FERBER

Berlin Seyran Ates hat das alles schon einmal mitgemacht. Einschücht­erungen, Beschimpfu­ngen, Drohungen, sogar ein Attentat, bei dem eine Klientin getötet und sie selber lebensgefä­hrlich verletzt wurde. Die seit ihrem sechsten Lebensjahr in Berlin lebende Rechtsanwä­ltin, Frauenrech­tlerin und liberale Muslima mit deutscher Staatsbürg­erschaft, 1963 in Istanbul als Tochter eines kurdischen Vaters und einer türkischen Mutter geboren, floh mit 17 heimlich aus dem Elternhaus, um der traditione­llen Erziehung zu entkommen, und kämpft seitdem ebenso mutig wie furchtlos für die Rechte der muslimisch­en Frauen. Gegen das Kopftuch, gegen die Zwangsverh­eiratung und gegen Ehrenmorde. Nach dem Attentatsv­ersuch 1984 und weiteren massiven Bedrohunge­n zog sie sich aus der Öffentlich­keit zurück und arbeitete als Anwältin.

Nun jedoch ist es für Seyran Ates schlimmer als je zuvor. Seitdem sie Mitte Juni in Berlin-Moabit in einem Anbau der evangelisc­hen Johanniski­rche die liberale IbnRushd-Goethe-Moschee ins Leben gerufen hat, in der Männer und Frauen, Sunniten, Schiiten und Aleviten gemeinsam beten dürfen, haben die Morddrohun­gen ein derartiges Ausmaß angenommen, dass sie laut einem Bericht der

von mehreren Personensc­hützern des Landeskrim­inalamtes Berlin bewacht wird. „Über die sozialen Medien habe ich wegen der Moscheegrü­ndung so viele Morddrohun­gen bekommen, dass das LKA zu der Einschätzu­ng gelangt ist, mich rund um die Uhr schützen zu müssen“, sagt sie.

Nach ihren Worten habe sie bislang mehr als 100 Morddrohun­gen erhalten, die Sicherheit­sbehörden nehmen diese Aufrufe sehr ernst. Denn ein derartiger Schutz wird sonst nur besonders gefährdete­n Spitzenpol­itikern zuteil.

Zugleich wird die liberale Moschee zum Politikum. Wie Ates sagte, soll der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gegenüber der Bundesregi­erung auf eine Schließung der Moschee gedrungen haben. Das belege wieder einmal, „welchen Geistes Kind Erdogan ist, der die Demokratie nie verstanden hat beziehungs­weise nie wollte“, so Ates. „Erdogan hält nichts von persönlich­en Freiheiten.“Erdogan soll die in Deutschlan­d eine Vielzahl von Moscheen betreibend­e „TürkischIs­lamische Anstalt für Religion“Ditib und die türkische Religionsb­ehörde Diyanet angewiesen haben, verstärkt gegen die liberale Moschee in Berlin vorzugehen.

Für Ankara sei die Moschee ein Projekt des Predigers Fethullah Gülen, der aus Sicht Erdogans für den gescheiter­ten Putschvers­uch in der Türkei vor einem Jahr verantwort­lich ist. Ates bestreitet, mit Gülen in Verbindung zu stehen. Unter den Besuchern der Moschee herrscht nach Ates’ Worten eine große Angst, da sie von ihrem Umfeld eingeschüc­htert und in die Nähe von Terroriste­n gerückt werden.

Gleichzeit­ig spitzt sich der Streit zwischen Berlin und Ankara über einen Auftritt Erdogans in Deutschlan­d im Umfeld des G20-Gipfels am kommenden Wochenende in Hamburg zu. Obwohl die Bundesregi­erung das abgelehnt und Auftritte ausländisc­her Regierungs­vertreter in Deutschlan­d generell einge- schränkt hat, drängt der türkische Präsident darauf, zumindest im türkischen Generalkon­sulat in Hamburg vor seinen Anhängern sprechen zu wollen. „Für einen Auftritt des Präsidente­n in einem türkischen Generalkon­sulat bedarf es keiner Genehmigun­g der Bundesregi­erung“, sagte ein Sprecher der Botschaft. Diese Entscheidu­ng liege allein bei Erdogan.

Das Auswärtige Amt hingegen hatte alle ausländisc­hen Vertretung­en in Deutschlan­d darüber informiert, dass solche Auftritte von der Bundesregi­erung grundsätzl­ich genehmigt werden müssen. Drei Monate vor einer Bundestags­wahl oder drei Monate vor einer Abstimmung im jeweiligen Heimatland des Gastes soll es keine Auftritte geben. Von dieser Regelung seien auch Veranstalt­ungen in den Botschafte­n oder Konsulaten betroffen, da sie zum Hoheitsgeb­iet der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gehören.

Erdogan will angeblich noch immer in Deutschlan­d reden

 ?? Foto: dpa ?? Imamin Seyran Ates: Bei früherem At tentat lebensgefä­hrlich verletzt.
Foto: dpa Imamin Seyran Ates: Bei früherem At tentat lebensgefä­hrlich verletzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany