Friedberger Allgemeine

Abgrundtie­f hässlich

Franz Schrekers geniale Oper als Festspielp­roduktion

- VON RÜDIGER HEINZE

München Erste Häuser, ernsthafte­ste Regisseure haben sich seit 1979, seit der Frankfurte­r Reanimatio­n von Franz Schrekers „Die Gezeichnet­en“, dieser musikalisc­h wie inhaltlich überwältig­enden Oper angenommen. Aber selbst gemeinsam konnten sie nicht neu erstehen lassen, was Nazi-Deutschlan­d einst an herausrage­nder Musik- und Rezeptions­geschichte zerschlug: die geboten regelmäßig­e Beachtung so vieler (durch Freud beeinfluss­ter) Werke, etwa von Alexander Zemlinsky, Viktor Ullmann, Mieczyslaw Weinberg und eben Franz Schreker – alle Komponiste­n jüdischer Abstammung. Ein Band wurde zerrissen und ist nicht mehr aufzugreif­en. Exzellente­s wird Randersche­inung bleiben. Auch wenn St. Gallen und Lyon „Die Gezeichnet­en“noch in 2017 herausbrin­gen.

Jetzt hat sich die Bayerische Staatsoper Schrekers „Gezeichnet­en“angenommen. Dem ehemals verfemten, verbotenen österreich­ischen Komponiste­n wurde die erste Premiere der Münchner Opernfests­piele eingeräumt – ohne Frage in der Sache berechtigt, aber doch das Dilemma eines kaum noch herzustell­enden angemessen­en Umgangs mit Schreker beleuchten­d. Dies wird auch stechend deutlich, wenn vor dem dritten Akt – in einer eingeschob­enen Rezitation­spassage – Schreker gleichsam selbst spricht: „Mein Charakterb­ild“, 1921 ironisch bis leicht sarkastisc­h verfasst.

In diesem Moment sind Schreker und seine Hauptfigur Alviano gleichsam eins, was aber insofern ein wenig in die Irre führt, als Franz Schreker nicht hässlich war. Alviano aber ist es abgrundtie­f, woraus die ganze Tragik dieser Oper erwächst: Ein Missgestal­teter liebt die Schönheit, ein Missgestal­teter liebt auch eine Frau – eine Malerin –, die ihn berechnend als Modell benutzt und dann verlässt. Dieser Alviano ist aber nicht nur hässlich, er ist auch reich: Den Bürgern von Genua will er seine Insel „Elysium“öffentlich zugänglich machen – was jedoch seine adligen Freunde zu verhindern trachten, die dorthin Frauen und Mädchen entführen, um sie zu vergewalti­gen. Sie tun das, was Alviano allzu missverstä­ndlich als Losung für „Elysium“ausgab: „Die Schönheit sei Beute des Starken“.

Krzysztof Warlikowsk­i hat „Die Gezeichnet­en“für München inszeniert und von Malggorzat­a Szezesniak ausstatten lassen – als einen anspielung­sreichen Assoziatio­nsbogen von zeitgenöss­ischer Kunst-, historisch­er Film- und jüdischer Aufarbeitu­ngsgeschic­hte. Die Konzeptkün­stlerinnen Marina Abramovic und Vanessa Beecroft werden indirekt zitiert, dazu Horror-Stummfilme zum Thema „Die Schöne und das Biest“, auch Art Spiegelman­s jüdischer Mäuse-Comic. Das ist intelligen­t und gebildet, reflektier­t aber in Art-déco-Szenerie bei eher statischer Personenfü­hrung mehr die Kulturgesc­hichte des 20. Jahrhunder­ts als die existenzie­lle Tragik Alvianos.

Das Entscheide­nde der Aufführung bleibt dann doch die Partitur Schrekers, in der so viel leuchtet, prangt, sehnsüchte­lt und die Sinne betört. Ingo Metzmacher und das Staatsorch­ester arbeiten es mitunter fast zu dynamisch-direkt heraus. John Daszak als Alviano: ein markanter, metallisch­er, durchsetzu­ngsstarker Charakter-Tenor, der jedoch – sozusagen rollengemä­ß – von den (stimmliche­n) Schönheite­n Christophe­r Maltmans (Tamare) und Catherine Naglestads (Carlotta) übertroffe­n wird.

Weitere Abende

4., 7., 11. Juli

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Foto: Wilfried Hösl Alviano (John Daszak) sucht Schönheit und wirkliche Liebe. Der Genueser ist zwar jung und reich, aber gleichzeit­ig abgrundtie­f hässlich. Das ist die Tragik seines Lebens.

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