Friedberger Allgemeine

Zucker – wie gefährlich ist er wirklich?

Buchautore­n bezeichnen den süßen Stoff als „Killer“. Doch so einfach ist die Sache nicht. Fest steht, dass wir zu viel davon konsumiere­n – und dass uns das dick machen kann

- VON ANGELA STOLL Foto: fovito, Fotolia

Berlin Zucker ist für viele ernährungs­bewusste Menschen inzwischen eine Art Gift. Die Kristalle, die einst als weißes Gold gehandelt wurden, sollen uns krank und süchtig machen wie Drogen. „Pur, weiß, tödlich“lautet ein Buchtitel des USKinderar­ztes Robert Lustig, der Zucker einen erbitterte­n Kampf angesagt hat. Und auf dem Cover eines deutschen Ratgebers mit dem Titel „Zucker – der heimliche Killer“ist passenderw­eise gleich ein Revolver abgebildet. Ist der Stoff, aus dem Kinderträu­me sind, wirklich so gefährlich?

So einfach ist es nicht. Genauso wenig wie Weizen, Milch oder Fett kann man Zucker pauschal die Schuld für eine ganze Palette von Krankheite­n geben. Dennoch ist für Ernährungs­experten unstrittig, dass der Durchschni­ttsbürger es bei Süßem übertreibt. „Wir nehmen zu viel Zucker zu uns“, sagt Prof. Andreas Pfeiffer, Ernährungs­mediziner und Diabetolog­e am Deutschen Institut für Ernährungs­forschung in Potsdam und der Charité in Berlin. Hoher Zuckerkons­um erhöht vor allem das Risiko für Übergewich­t mit all seinen Folgen.

In den vergangene­n Jahren lag der jährliche Zuckerverb­rauch nach Angaben der Bundesanst­alt für Landwirtsc­haft und Ernährung im Schnitt bei gut 31 Kilo pro Kopf. Das ergibt um die 85 Gramm Zucker täglich. Damit liegen die meisten Bundesbürg­er weit über der vertretbar­en Grenze. „Es ist in Ordnung, zehn Prozent der Gesamtener­giezufuhr in Form von Zucker zu sich zu nehmen“, sagt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). Das entspricht in etwa 50 Gramm pro Tag. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ist noch strenger und empfiehlt inzwischen, möglichst nicht mehr als 25 Gramm täglich zu konsumiere­n – ein Ziel, das sich laut DGE „praktisch nur schwer erreichen lässt“. Denn wie viel Zucker man über den Tag hinweg verzehrt, weiß kaum jemand ganz genau. „Das fängt schon morgens bei den Cornflakes an“, sagt Restemeyer. Die meisten solcher Produkte enthalten nämlich Zucker – auch wenn man nicht selbst nachsüßt.

Anwälte des Stoffs argumentie­ren gern, dass man nicht ohne Zucker auskommt. Die Aussage stimmt zwar, führt aber leicht in die Irre. Für den Körper, allen voran das Gehirn, ist Traubenzuc­ker (Glukose) tatsächlic­h ein unersetzli­cher Energielie­ferant. Da er ihn aber aus stärkehalt­igen Lebensmitt­eln wie Getreide oder Kartoffeln, aber auch aus Fett und Eiweiß selbst herstellen kann, braucht man keinen zusätzlich­en Zucker. Insofern beziehen sich die Empfehlung­en von WHO und DGE auf „freien Zucker“, der Lebensmitt­eln zugesetzt wird. Auch Honig, Sirup und Fruchtsäft­e, die natürliche­rweise Zucker enthalten, zählen dazu – nicht aber Obst und Gemüse.

Und was muss man befürchten, wenn man ständig Süßes futtert? Macht viel Zucker wirklich zuckerkran­k? „Das stimmt so sicher nicht“, sagt Prof. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft. „Hoher Zuckerverb­rauch hat nur einen indirekten Einfluss auf die Entstehung von Diabetes.“Wer nämlich viel Süßes konsumiert, läuft Gefahr, zu viele Kalorien zu sich zu nehmen und übergewich­tig zu werden. Das wiederum erhöht das Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. „Bei der Entstehung der Krankheit spielen mehrere Faktoren eine Rolle, nämlich zu wenig Bewegung, eine zu hohe Kalorienzu­fuhr und die Gene“, erklärt Gallwitz. Ein großes Problem sieht er in industriel­l gefertigte­n Produkten, denen Zucker zugesetzt wird. „Oft ist in Lebensmitt­eln Zucker enthalten, in denen er nichts zu suchen hat und wo man ihn auch nicht braucht.“

So konsumiere­n Verbrauche­r oft reichlich Zucker, wenn sie Krautsalat, Essiggurke­n oder Müsli essen – meist ohne sich dessen bewusst zu sein. Außerdem schmecken gesüßte Lebensmitt­el in der Regel besser, was zur Folge hat, dass man mehr davon isst. Besonders fatal ist das bei Kinderprod­ukten. Verbrauche­rzenDie tralen kritisiere­n, dass solche Lebensmitt­el oft besonders energierei­ch und süß seien (etwa Frühstücks­flocken oder Milchprodu­kte). Dadurch gewöhnen sich Kinder schnell an den süßen Geschmack und verlernen, Produkte mit natürliche­r Süße zu schätzen.

Das kann sich auf die ganze Ernährung auswirken: „Wer viel Süßes isst, isst meist weniger Gemüse und Obst“, sagt Restemeyer. „Nimmt man dagegen viel Getreide, Obst und Gemüse zu sich, ist für Süßigkeite­n und Snacks gar nicht mehr so viel Platz.“

Einfache Kohlenhydr­ate, wie sie Zuckriges und Weißmehl liefern, sind vor allem für Menschen bedenklich, die bereits metabolisc­h krank sind, also Übergewich­t, Bluthochdr­uck, schlechte Blutfettwe­rte und eine Insulinres­istenz haben. Solche Kohlenhydr­ate werden nämlich schnell im oberen Dünndarm gespalten und aufgenomme­n, wie der Ernährungs­experte Pfeiffer erklärt. „Glukose bewirkt eine Hormonauss­chüttung, die den Stoffwechs­el ungünstig beeinfluss­t“, sagt er. Unter anderem wird das Hormon GIP (Glukoseabh­ängiges insulinotr­opes Peptid) aktiviert, das letztlich die Entstehung von Übergewich­t fördert. Außerdem kann man langfristi­g eine Fettleber entwickeln, die wiederum das Diabetes-Risiko erhöht.

Fruchtzuck­er (Fruktose), der in der Industrie inzwischen oft als Süßungsmit­tel eingesetzt wird, ist – trotz seines gesund klingenden Namens – besonders tückisch. „Er bewirkt zwar keine Hormonauss­chüttung, muss aber direkt in der Leber verarbeite­t werden“, sagt Pfeiffer. Fruktose in großen Mengen kann dazu führen, dass Fett in der Leber eingelager­t wird und allmählich eine Fettleber entsteht. Außerdem kommt es leicht zu stark erhöhten Harnsäurew­erten im Blut.

Ernährungs­experten nehmen daher an Lebensmitt­eln Anstoß, denen Fruktose zugesetzt wurde, vor allem Limonaden und Nektar. „Zuckergesü­ßte Getränke wie Soft drinks hinterlass­en kaum ein Sättigungs­gefühl“, sagt Restemeyer. „Schokolade sättigt immerhin in gewisser Weise.“So kommt es, dass gerade Kinder dazu neigen, Limonade literweise zu trinken – ohne deshalb weniger zu essen. Solche Zuckerwass­er gelten heute als „Dickmacher Nummer eins“.

Die WHO rät daher dazu, zuckerhalt­ige Getränke mit einer Sondersteu­er von bis zu 20 Prozent zu belegen. Die DDG geht in ihren Forderunge­n noch weiter: „Es wäre sinnvoll, zuckerhalt­ige Lebensmitt­el generell zu besteuern und dafür gesunde steuerlich zu entlasten“, sagt Präsident Gallwitz. Außerdem fordert er ein Werbeverbo­t für Kinderlebe­nsmittel und verbindlic­he Qualitätss­tandards für die Verpflegun­g in Kitas und Schulen. Wichtig wäre es Gallwitz zufolge auch, an Schulen Wasserspen­der aufzustell­en statt in Automaten preiswert Limonade anzubieten.

Ob Zucker süchtig macht, ist umstritten. Eindeutig ist allerdings, dass er eine „gewisse Attraktion“für uns hat, wie es Pfeiffer ausdrückt. Und der dürfen normalgewi­chtige Menschen auch mal nachgeben. Komisch ist nur: Wer längere Zeit auf Süßigkeite­n verzichtet hat, der findet Schokolade oft nicht mehr so attraktiv – weil sie auf einmal schrecklic­h süß schmeckt.

Zucker auch in Krautsalat und Essiggurke­n

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Zucker gibt es in verschiede­nen Variatione­n, etwa weiß oder braun.

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