Friedberger Allgemeine

Das Meer versinkt in Plastikmül­l

Wenn Björn Fischer in der Ostsee fischen geht, kommt er nicht nur mit Dorsch oder Butt zurück. Im Netz liegen auch mal ein Autoreifen oder ein altes Fahrrad. Und vor allem Plastik. Wie Verbrauche­r die verheerend­en Folgen zu spüren bekommen

- VON ORLA FINEGAN

Heikendorf In den Wintermona­ten, wenn Björn Fischer mit seinem Matrosen Jan-Philipp Vongehr in die Ostsee sticht, beißt der Wind und die Gischt arbeitet sich durch die Kleidung. Wirklich warm ist es nur im Steuerraum ihres Kutters. Aber noch etwas ist im Winter speziell. Nur dann fischen sie Butt. Nur dann schleifen die Netze vier bis fünf Stunden über den Meeresbode­n, bis die Männer den Fang einholen. Dazu müssen sie raus an Deck, und der Inhalt des Schleppnet­zes ergießt sich auf das Förderband. Das meiste ist Fisch. Aber dazwischen finden sich fast immer Autoreifen, Metall, Reste von Fischernet­zen, einmal war es sogar eine Kaffeemasc­hine. Müll, der am Meeresbode­n liegt – als Beifang.

Das Problem mit dem Müll im Wasser ist so groß, dass die Vereinten Nationen im Juni erstmals eine Konferenz zum Zustand der Ozeane und Meere einberiefe­n. Umweltmini­ster und Aktivisten diskutiert­en über Korallenst­erben, Überfischu­ng, den Klimawande­l und Plastik im Meer. Denn Nummer 14 der „Sustainabl­e Developmen­t Goals“, der Ziele, die sich die UN für die nachhaltig­e Entwicklun­g der Welt gesetzt haben, lautet: Schutz der Ozeane. Nur Nummer 14, mögen manche denken – hinter Dingen wie nachhaltig­em Wirtschaft­swachstum, Bildung für alle oder Gleichstel­lung von Mann und Frau.

Björn Fischer, 49, aus dem Örtchen Heikendorf bei Kiel benötigt nicht erst einen Beschluss der UN, um das Meer aufzuräume­n. Seit sieben Generation­en fahren die Männer der Familie zur See. „Zumindest können wir es so weit nachverfol­gen“, sagt der Mann und versteckt ein Schmunzeln hinter seinem dichten grauen Kapitänsba­rt. Man weiß nicht, ob die Fischers zuerst wie welche aussahen oder erst so hießen. Siegfried Fischer jedenfalls ist eine ältere, weißhaarig­e Version seines Sohnes: dichter Bart, wettergege­rbtes Gesicht, trotz der 80 Jahre noch eine athletisch­e, vom jahrelange­n Arbeiten gestählte Figur. Ziemlich sicher waren Männer wie die Fischers das Vorbild für Käpt’n Iglo.

Vater und Sohn sind damit beschäftig­t, den „Tümmler“, den 14,5 Meter langen Kutter, für den nächsten Einsatz vorzuberei­ten. Der Matrose hilft mit. Dreißig Tage stand der Kutter im Hafen – Schonzeit für die Fische. Jetzt muss das Förderband aufgebaut und die Schleppnet­ze an Bord geholt werden. Am Montag fährt Fischer wieder raus. Im Sommer sucht er mit dem Echolot nach Schwärmen von Dorschen. Da die Netze dann manchmal nur 15 Minuten lang im Wasser sind, fischt er im Sommer weniger Müll.

Schon immer habe er alte Drähte, Fässer, Flaschen oder Plastiktüt­en aus dem Meer gezogen, erzählt er. Und er fährt seit Jahrzehnte­n zur See. „Manche Dinge fallen unbeabsich­tigt ins Wasser“, sagt Fischer. Autoreifen zum Beispiel, die außen an Booten hängen, damit das Schiff beim Anlegen nicht an die Kaimauer stößt. „Oder Stücke von alten Fischernet­zen.“Aber wenn er ein altes Fahrrad oder ein ausgeschla­chtetes Auto auf hoher See in seinem Netz findet, kann er nur den Kopf schütteln. „Das lernt man doch als Kind, dass man seinen Müll nicht in die Natur schmeißt.“Nach so vielen Jahren kann er immer noch kaum glauben, dass Menschen mit Absicht ihren Schrott so loswerden.

Unter dem Müll leiden vor allem die Meeresbewo­hner. Erst im Februar musste ein Wal in Norwegen getötet werden, weil er immer wieder Richtung Land schwamm. Bei der Obduktion fanden Forscher 30 Plastiktüt­en in seinem Magen – trotz vollem Bauch war das Tier verhungert. Auch Fischer findet in den Mägen der Dorsche immer wieder kleine Plastiktei­le, die Tiere für Futter gehalten haben. Und an der Nordsee gehen ganze Kolonien von Seevögeln zugrunde, weil sich der Müll in ihren Mägen verklumpt. Wenn sie nicht qualvoll daran sterben, verhungern sie. In 95 Prozent der untersucht­en Eissturmvo­gelKadaver­n fanden Forscher Plastikmül­l im Magen-Darm-Trakt. Und immer wider verheddern sich Tiere im Meer und an der Küste im Plastikmül­l und gehen zugrunde.

Als Meeresschu­tzbeauftra­gter des Naturschut­zbunds Deutschlan­d (Nabu) versucht Nils Möllmann, die Umweltschä­den durch den Müll einzudämme­n. Schätzungs­weise 600 000 Kubikmeter Müll liegen allein auf dem Boden der Nordsee, jedes Jahr kommen etwa 20000 Kubikmeter dazu, erzählt er. Um das Meer aufzuräume­n, braucht er auch die Hilfe der Fischkutte­r. Denn: Die Fisch- und Krabbenbes­tände in den Meeren sind Allgemeing­ut. Doch sobald ein Fischer die gefüllten Netze auf seinen Kutter zieht, ändern sich die Besitzverh­ältnisse. Butt, Dorsch, Hering oder Krabbe gehören dem Fischer, sobald sie an Bord sind. Das gilt nicht nur für Fische, sondern für sämtliche Dinge, die sich im Netz befinden. Und so wird der Müll im Meer ganz direkt zum Problem für die Fischer. Denn nun ist es nicht nur herrenlose­r Abfall, sondern Schiffsmül­l und muss entspreche­nd entsorgt werden.

„Es gibt an den Häfen keine einheitlic­hen Entsorgung­ssysteme“, sagt Möllmann. An manchen Häfen könnten Fischer den Schiffsmül­l direkt entsorgen, andere müssten ihn mit nach Hause nehmen. Damit also niemand nur wegen des Aufwandes in Versuchung kommt, den gefischten Müll wieder zurückzuwe­rfen, hat der Nabu 2011 das Projekt „Fishing for Litter“eingeführt. Die Idee ist simpel und stammt aus dem Ausland: Fischer bringen den auf See gesammelte­n Müll an Land und werfen ihn im Hafen in eigens aufgestell­te Container. Ist der Container voll, wird er geleert, ohne dass dem Fischer oder der Hafenmeist­erei Kosten entstehen. An deutschen Häfen stehen mittlerwei­le 15 solcher Behälter: sieben in Niedersach­sen, sieben in Schleswig-Holstein und einer in Mecklenbur­g-Vorpommern. Je nachdem, wie viele Schiffe anlegen, wird der volle Container entspreche­nd schnell abgeholt.

In Heikendorf mit seinen gut 8000 Einwohnern gibt es nur noch vier Kutter. Björn Fischer sitzt im Steuerraum des Tümmlers, den Arm auf das alte, hölzerne Steuerrad gestützt, und erzählt. Etwa davon, wie früher 80 Kutter von Heikendorf aus in See gestochen sind. Heute docken zwischen den Piers Segeljacht­en an, am Hafen wird mittlerwei­le mehr verweilt als gearbeitet.

Nur bei den Fischers hat sich seit Generation­en kaum etwas verändert. Fährt der Kapitän mit seinem Matrosen zur See, laufen sie nachts um drei oder vier aus, oft kommen sie erst abends um neun wieder zurück. Und am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel.

Björn Fischer erzählt von der harten, körperlich­en Arbeit und der vielen Bürokratie, die viele Fischer

dazu bewogen hat, sich andere Berufe zu suchen. Von den Schonzeite­n, die immer länger werden und ihn zwingen, noch härter zu arbeiten. „Man muss unendlich viele Stunden machen, um über die Runden zu kommen“, sagt er mit einem Schulterzu­cken. Er kennt es nicht anders. Es gebe ja die Momente, die die vielen Mühen ausgleiche­n. Wenn Schweinswa­le neben dem Schiff schwimmen. Oder ein Sonnenaufg­ang über der Lübecker Bucht besonders schön ist. „Dann mache ich schon mal ein Foto“, sagt er und zeigt auf sein Smartphone.

Was Fischer aus dem Meer sammelt, ist der Müll, der schon abgesunken ist. Nur, was bis zu zwei Meter über dem Grund treibt, verfängt sich in seinen Netzen – und ist damit nur ein Bruchteil des gesamten Mülls. Jedes Jahr, meldete 2016 das Fachblatt Science, landen weltweit bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmül­l im Meer. Im Pazifik etwa treibt ein Müllteppic­h an der Oberfläche, so groß wie Mitteleuro­pa. Abgesehen von der direkten Gefahr für die Tiere verseucht das Plastik auch das Wasser. Bis zu 450 Jahre kann es dauern, bis sich der Kunststoff zersetzt. Währenddes­sen gelangen Giftstoffe in die Umwelt. Ist das Plastik schon so weit zerfallen, dass es kaum noch sichtbar ist, zählt es als Mikroplast­ik. Jetzt kann es noch leichter versehentl­ich von Fischen aufgenomme­n werden. Und dadurch, dass die Plastik-Partikel Pestizide und Insektizid­e an sich binden, landen diese letztendli­ch in der Nahrungske­tte und auch wieder bei Menschen auf dem Teller.

Der Strom an Müll, der von Schiffen, über Flüsse oder durch Verwehunge­n ins Meer gelangt, ist kaum zu kontrollie­ren. Auch die Teilnehmer der Ozeankonfe­renz in New York schienen ratlos, angesichts der schier übermächti­gen Aufgabe, die Ozeane aufzuräume­n. Sie verfassten zwar eine gemeinsame Absichtser­klärung, die Meere zu

Seit sieben Generation­en fährt die Familie zur See Das Problem ist: Es kommt ständig neuer Müll dazu

schützen, aber auch Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) zeigte sich hinterher enttäuscht. Sie habe sich von der Weltkonfer­enz einen Wendepunkt erhofft. „Davon sind wir aber noch ein Stück entfernt.“

Idealismus allein wird das Problem nicht richten, da sind sich alle einig. Aber Leute wie Nils Möllmann und Björn Fischer lassen sich von der Größe der Aufgabe nicht entmutigen. Etwa zwei Kubikmeter Müll sammelt Fischer jedes Jahr ein und entsorgt ihn im Container gegenüber seiner Anlegestel­le. Ist der Container voll, ruft er Möllmann an. Für den geht die Arbeit dann erst los. Der Müll wird sortiert und kategorisi­ert, um mehr über ihn herauszufi­nden. „Es gibt aber immer zeitliche oder örtliche Unschärfen“, sagt Möllmann. Fischernet­ze aus Kunststoff werden beispielsw­eise schon seit den 60er Jahren verwendet. Hülsen von Sonar-Bojen können vom Militär stammen, vielleicht gingen sie aber auch verloren, als der Meeresbode­n für eine neue Ölplattfor­m kartiert wurde. Der meiste Müll bleibt also anonym.

Außerdem verhindert die Initiative nicht, dass neuer Müll in Nordund Ostsee landet. „Die Lösungen, um Müll im Meer zu reduzieren, liegen an Land“, betont Möllmann. Und auch Barbara Hendricks sagt: „Wir brauchen einen anderen Umgang mit Plastik. Das ist eine unserer größten Herausford­erungen.“

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Foto: Universal Images Group, Getty Images Achtlos weggeworfe­n – wie der meiste Müll, der in den Meeren landet.

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