Er verstand sich als „Wachhund Gottes“
Joachim Kardinal Meisner war einer der profiliertesten, aber auch umstrittensten deutschen Bischöfe. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hievten ihn auf einflussreiche Posten. Die Lehre von Franziskus griff er offen an
Rom In der Nacht des 13. März 2013, nachdem die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan den unbekannten Argentinier Jorge Bergoglio zum Papst gewählt hatten, stand Joachim Meisner mit einigen Neugierigen unweit des Petersdoms und versuchte sich und den anderen die Überraschung zu erklären. „Der liebe Gott kommt schließlich doch zum Ziel“, sagte der Kardinal und wies darauf hin, dass Bergoglio bereits im Konklave 2005, in dem schließlich Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, viele Stimmen bekommen hatte.
Als Papst Franziskus im Lauf der Jahre die katholische Kirche auf einen Kurs brachte, der dem emeritierten Erzbischof von Köln überhaupt nicht zusagte, hatte Meisner keine Probleme, dies ebenfalls kundzutun. Als einer von vier Kardinälen unterzeichnete der Weihnachten 1933 am Rande Breslaus zur Welt gekommene Prälat vergangenes Jahr einen Brief mit sogenannten Dubia, kaum versteckten Zweifeln am Lehramt von Franziskus.
Vermeintliche Missstände ohne Umschweife anzusprechen, den Kopf hinzuhalten, auch wenn das unangenehme Folgen haben konnte, war wohl die herausragende Charaktereigenschaft eines der profiliertesten, aber auch umstrittensten Kirchenmänner in Deutschland. Am Mittwoch ist Meisner im Alter von 83 Jahren im Urlaub in Bad Füssing in Niederbayern gestorben.
Meisners Lebensweg lässt sich auch an seinem Verhältnis zu den letzten drei Päpsten nachzeichnen. Den Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla lernte Meisner bereits 1975 kennen, beide schätzten sich und blieben zeit ihres Lebens in engem Kontakt. Johannes Paul II. ernannte den DDR-Bischof Meisner 1980 zum Bischof von Berlin. Wie Meisner das DDR-Regime und den ostdeutschen Sozialismus auf Distanz hielt und gleichzeitig katholische Belange vertrat, beeindruckte den polnischen Papst, der den Schlesier 1983 zum Kardinal kreierte.
Es folgte im Wendejahr 1989 die Ernennung zum Erzbischof von Köln, eine folgenreiche Entscheidung auch für die katholische Kirche in Deutschland. Das größte Bistum (2,1 Millionen Gläubige) wurde nie warm mit seinem Hirten. Aber das Gewicht des Hardliners Meisner in der Kirche nahm stetig zu. Immer wieder hat der gestern gestorbe ne Kölner Kardinal Joachim Meisner mit Äußerungen heftige Kritik hervor gerufen. Einige Beispiele:
Oktober 2003 Drogensüchtige, Terroristen und Wissenschaftsgläubi ge würden die europäische Werteord nung gefährden, sagt der Kardinal in Budapest. „Unsere europäische Gegen wart trägt darum auf vielfältige Wei se solche Todeskeime in sich, die den gesunden Organismus vergiften, ja zum Kollabieren kommen lassen.“Indi rekt verurteilt er die Homosexualität, da sie der Schöpfungsordnung wider spreche. Kritiker werfen ihm eine „menschenverachtende Sprache“vor.
Januar 2005 In einer Predigt ver gleicht Meisner Abtreibungen mit dem Holocaust und beleidigt damit nach Ansicht des Zentralrates der Ju den Millionen Holocaust Opfer. Wört lich sagte er: „Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernich ten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millio nenfach umgebracht.“Kurz darauf bedauert er den Vergleich.
September 2007 Bei einer Rede zur Eröffnung eines Museums spricht Meisner von „entarteter“Kultur. „Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, er starrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet“, sagt der Kardinal. Der Zentralrat der Juden kritisiert: „Auf den Nazi Wortschatz zurückzugreifen, vergiftet das gesellschaftliche Kli ma.“Dass die Wortwahl zu „Missver ständnissen“geführt habe, bedauert Meisner später.
Februar 2013 Der Kardinal löst mit Äußerungen zu einer angeblichen „Katholikenphobie“Unmut auch in Kir chenkreisen aus. Zuvor war die Kir che massiv in die Kritik geraten, weil sich zwei katholische Kliniken in Köln geweigert hatten, eine vergewaltigte Frau zu behandeln. (dpa)
Die Kölner Bühne nutzte der erzkonservative Kardinal für zahlreiche Tiraden gegen alles, was aus streng katholischer Sicht verurteilenswert war: Homosexualität genauso wie Abtreibung, Sterbehilfe, Frauenpriestertum oder die Abschaffung des Zölibats. Meisner war der Motor für den Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschaftsberatung in Deutschland. Im Eifer für die amtskatholische Sache schoss der Kardinal immer wieder über das Ziel hinaus. Die Abtreibungspille verglich er mit dem chemischen Massenmord der Nazis. Der CDU empfahl er 1992, das „C“aus ihrem Namen zu streichen, wenn sie nicht mehr fähig sei, ein eindeutiges Votum gegen Abtreibung abzugeben.
Obwohl er nie Leitungsfunktionen in der Deutschen Bischofskonferenz übernahm, prägte Meisner maßgeblich das deutsche Episkopat. 1995 berief ihn Johannes Paul II. in die römische Bischofskongregation. Kaum eine Ernennung eines deutschen Bischofs erfolgte seither ohne Meisners Plazet.
Sein Einfluss auch in der Weltkirche stieg nochmals, als 2005 Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde. Während Benedikt XVI. den Konservativismus seines polnischen Vorgängers fortführte, verstand sich Meisner als „Wachhund Gottes“, wie er sich selbst einmal nannte. Als Höhepunkt seiner Laufbahn bezeichnen viele den Weltjugendtag 2005 in Köln in Anwesenheit des frisch gewählten Papstes Benedikt.
Die von Meisner ausgelösten Polemiken nahmen weiterhin nicht ab. Er untersagte 2006 multireligiöse Feiern an Schulen seines Bistums. Eine seiner letzten umstrittenen Äußerungen im Hinblick auf die meist kinderreichen Familien der Mitglieder des „Neokatechumanelen Wegs“, einer geistlichen Gemeinschaft, lautete: „Eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische.“
2014 nahm Papst Franziskus das formale Rücktrittsgesuch des Kölner Erzbischofs an. Das gab Meisner die Freiheit, schließlich auch den Papst aus Argentinien und dessen umstrittene Ehe- und Familienlehre anzugreifen. Ganz zum Schluss hatte sich der charismatische Kardinal doch noch versöhnlich gegeben. Zum Abschied von den Gläubigen seines Bistums bat er um Vergebung, wenn sein Dienst „nicht Stärkung, sondern vielleicht auch Ärgernis war“.