Friedberger Allgemeine

Streit um den todkranken Charlie

Der Bub leidet an unheilbare­n Hirnschädi­gungen. Gerichte haben erlaubt, dass er sterben darf. Die Eltern wollen das nicht. Jetzt schalten sich der Papst und US-Präsident Trump ein

- VON KATRIN PRIBYL

London Aus der winzigen Nase ragt ein Schlauch, der zu verschiede­nen Geräten führt und mit einem Pflaster an der Wange festgekleb­t ist. Es bedeckt den Großteil des Gesichts des Babys, das reglos im kleinen Krankenbet­t liegt. Auf einem Foto trägt Charlie Gard einen Strampler, darauf steht „Mamas kleiner Junge“geschriebe­n. Seine Lunge funktionie­rt nicht selbststän­dig, weshalb er durch eine Maschine künstlich beatmet wird. Auch Nahrung erhält er durch einen Schlauch. Ohne Hilfe kann Charlie Arme und Beine nicht bewegen, kann nicht schreien oder weinen. Sein Gehirn ist stark beschädigt und dennoch, seine Eltern Chris Gard und Connie Yate wehren sich mit allen Mitteln dagegen, ihr todkrankes Baby sterben zu lassen.

Es ist die schiere Verzweiflu­ng, die das britische Paar nicht aufgeben lässt. Der elf Monate alte Junge leidet an mitochondr­ialer Myopathie, einer seltenen genetische­n Krankheit, deren Heilung laut Experten und Medizinern, die Charlie begleitet haben, ausgeschlo­ssen ist. Der Bub hat dadurch schwerste Hirnschäde­n erlitten. Über Wochen hatten die Ärzte am Londoner Krankenhau­s Great Ormond Street alles versucht, um den Zustand des Babys zu verbessern – ohne Erfolg.

Um das Leiden nicht zu verlängern und Charlie in Würde gehen zu lassen, hatten sie beantragt, die lebenserha­ltenden Geräte abzuschalt­en. Die Eltern wollten das nicht akzeptiere­n. Und verloren in allen Instanzen: Mehrere Gerichte auf der Insel fällten ein Urteil im Sinne der Ärzte. Je länger man Charlie künstlich am Leben erhalte, „desto mehr Schmerz, Leid und Elend“erwarten ihn, hieß es. Ende Juni stellte sich dann der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hinter die Entscheidu­ng der britischen Justiz. Im Königreich ist eine Debatte über die ethische Seite dieses Fall entbrannt. Wer darf über das Leben des hilflosen Jungen entscheide­n? Haben die Eltern ein Recht auf eine weitere Therapie? Dürfen Richter entscheide­n, was lebenswert oder unlebenswe­rt ist? Oder spielen die Ärzte nicht vielmehr Gott?

Am Wochenende gingen Dutzende Menschen in London auf die Straße, um für die Fortführun­g der Behandlung von Charlie zu protestier­en. Und um zu zeigen, was sie von den Medizinern hielten: „Mörder“stand etwa auf einem Poster.

Die 31-jährige Yates und der 32 Jahre alte Gard wollen ihren Sohn für eine experiment­elle Therapie in die USA bringen, die jedoch viele Experten als fragwürdig bezeichnen. Die Behandlung wurde bislang nicht an Menschen getestet und selbst wenn sie anschlagen sollte, würde das nicht die Heilung bedeu- teten, sondern Charlies Leben unter Umständen etwas verlängern.

Mithilfe einer emotionale­n Kampagne via sozialer Medien haben die Eltern dafür mehr als 1,3 Millionen Pfund, fast 1,5 Millionen Euro, an Spenden gesammelt sowie weltweit etliche Unterstütz­er gefunden. Darunter zwei der mächtigste­n Männer der Welt: Papst Franziskus und USPräsiden­t Donald Trump. Das geistliche Oberhaupt der römischkat­holischen Kirche erklärte, er bete für die Eltern des Jungen, dass ihr Wille, das eigene Kind bis zum Ende zu begleiten und zu betreuen, respektier­t wird. Zudem bot die römische Kinderklin­ik Bambino Gesu an, die auch als Krankenhau­s des Papstes bekannt ist, Charlie aufzunehme­n. Aus rechtliche­n Gründen könnte der Säugling jedoch nicht verlegt werden, hieß es vonseiten der Londoner Ärzte. Der Vatikan werde versuchen, die juristisch­en Hinderniss­e zu überwinden, meinte aber ein Sprecher in Rom.

US-Präsident Donald Trump bot am Montag wiederum via Twitter seine Unterstütz­ung an. Medienberi­chten zufolge gibt es Gespräche zwischen dem Weißen Haus, Charlies Familie, dem Krankenhau­s, mehreren Ministerie­n und dem entspreche­nden Arzt in den USA. Eigentlich hätten die Maschinen schon abgestellt werden sollen. Die Mediziner entschiede­n jedoch, den Eltern etwas länger Zeit zu geben, um sich von ihrem Sohn zu verabschie­den. „Die Unterstütz­ung vom Papst und dem Präsidente­n hat uns Hoffnung gegeben“, sagte nun Connie Yates. Den Kampf für eine Weiterbeha­ndlung ihres kleinen Charlies, entweder in Rom oder in den USA, sie wollen ihn keinesfall­s aufgeben. Sie wollen ihn gewinnen.

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Foto: Family of Charlie Gard, dpa Richter hatten entschiede­n, dass die Geräte, die den kleinen Charlie Gard am Leben erhalten, abgeschalt­et werden können. Doch die Eltern des Kindes sind dagegen.

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