Friedberger Allgemeine

Wenn Pop Politik macht

Zum G20-Gipfel spielen heute in Hamburg Stars wie Coldplay und Grönemeyer. Die Show soll ein Statement werden für ein globales Engagement gegen Armut und Ungleichhe­it. Das muss man trotzdem nicht gut finden

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der neue Superstar der Branche hat kürzlich im Interview in dieser Zeitung als Prinzip seines Schaffens genannt: „Keine Religion, keine Politik“. Wenn Ed Sheeran also im kommenden Jahr erstmals die größten Arenen weltweit bereist und dabei am 29. Juli auch das Münchner Olympiasta­dion bespielt, soll es gerade das nicht geben, was derzeit sonst die Stars in Serie abliefern: Bekenntnis­se. Für den Weltfriede­n, gegen Trump, für die Bekämpfung des Hungers in der Welt, gegen den Klimawande­l. Jüngstes Beispiel: Heute, am Vorabend des G20-Gipfels, findet in Hamburg das GlobalCiti­zen-Festival statt. Stars von Coldplay bis Grönemeyer, von Sharika bis Pharrell Williams spielen gegen die extreme Ungleich-Verteilung auf der Welt. Was könnte daran auch falsch sein, Herr Sheeran?

Die Veranstalt­ung knüpft immerhin an eine große Tradition an. Die Kritik, der Widerstand gegen die herrschend­en Verhältnis­se – das wohnt Pop und Rock ja von Beginn an wesentlich inne. Und schon häufig haben sich deren Stars zu gemeinsame­n Bekenntnis-Konzerten versammelt: Waren Monterey und Woodstock denn etwas anderes als Mischung aus Happening und politische­r Aktion? Legendär jedenfalls wurde Bob Geldofs „Live Aid“1985 gegen den Hunger in Afrika – und in Nachfolge 2007 auch „Live Earth“mit 24-Stunden-Programm, 150 Stars, Konzerten in acht Ländern für den Klimaschut­z. Die Global-Citizen-Festivals gibt es seit 2012 regelmäßig in New York, vergangene­s Jahr fanden sie auch in Kanada und Indien statt.

Deren Macher, der 34-jährige Australier Hugh Evans, der mit 14 Jahren durch eine Nacht in den Slums von Manila zum Engagement bekehrt worden war, brachte schon 2006 unter dem Motto „Make Poverty History“(Überwindet die Armut) einen der größten politische­n Bekenner des Pop in Melbourne auf die Bühne: Bono von U2. Ohnehin weitgehend in dessen Nachfolge hat sich Coldplay-Sänger Chris Martin vor zwei Jahren zu einem 15-jährigen Engagement als Festival-Kurator verpflicht­et. Dass dazu nun beim ersten Gastspiel von Global Citizen in Deutschlan­d auch Herbert Grönemeyer kommt, ist kein Zufall. So, wie er vor gut zwei Wochen beim Benefiz-Konzert „Peace x Peace“zugunsten von Kindern im Krieg und auf der Flucht gespielt hat, so ist er oft bei der guten Sache dabei. Es setzt sich die Reihe fort, es finden sich die Bekennende­n.

Aber tun sie damit eigentlich etwas anderes als die großen Wirtschaft­smanager, die ihren Reichtum und ihren Einfluss auch einsetzen wollen, um Sinnvolles zu tun – nur dass es bei ihnen gerne als Freikaufen des Gewissens gebrandmar­kt wird? Noch mal Herr Sheeran: Was könnte daran falsch sein?

Nicht Sheeran, sondern Rucht heißt einer der Kritiker von Aktionen wie Global Citizen. Dieter Rucht ist ein Fachmann vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsf­orschung und sagt: „Statt politische­r Inhalte stehen coole Events und ein vermeintli­ches Gemeinscha­ftsgefühl im Vordergrun­d.“Zunächst meint er damit die Methode der Veranstalt­ung: Die Teilnahme an der Verlosung von 80 Prozent kostenlose­r Karten für dieses Festivals können sich Menschen durch Engagement in Online-Aktionen verdienen (diesmal in den vergangene­n Monaten unter #TuWas). Wenn sie beispielsw­eise Mails an Politiker schicken mit der Auffordeei­ne rung, sich gegen die Armut einzusetze­n. Was sich hier jedenfalls vor allem organisier­t: Lobbyismus. Eine Interessen­sgruppe drängt auf Wachstum, will Druck entfalten und ihre Kraft erhöhen – und schafft all das offenbar durch die Beteiligun­g von Popstars, die Mitmachern immer wieder Belohnungs­konzerte verspreche­n. Das geschieht freilich in der Überzeugun­g, sich gemeinsam für das Richtige, für das Gute einzusetze­n. Mit den Mitteln, die die Mechanisme­n der Macht nun einmal vorgeben und verstehen.

Warum Ed Sheeran dabei nicht mitmacht? Man könnte ihm unterstell­en: Weil er die größtmögli­che Zielgruppe seiner Hits durch ideologisc­he Festlegung­en nicht gefährden will. Man kann aber auch sagen: Weil der Künstler als Künstler sprechen und geliebt werden soll – und nicht als politische­r Aktivist sich anbiedern und verführen soll. So jedenfalls sah Sven Regener das, Sänger der Band Element of Crime und Bestseller-Autor mit den Herr-Lehmann-Romanen, im Interview mit dieser Zeitung. Der entscheide­nde Unterschie­d zwischen der ursprüngli­chen Widerständ­igkeit von Rock und Pop zum heutigen PolitAktiv­ismus ist: Einst lag der Protest im künstleris­chen Schaffen selbst; in der Folge aber stellte sich die Kunst als Mittel des Protests zur Verfügung – oder der Künstler selbst nutzte Politik als ein Mittel zur weiteren Verschwist­erung mit deren Fans. Und beide Folgeersch­einungen kann man durchaus für fragwürdig halten, wenn im eigentlich­en Schaffen des Künstlers so gar kein politische­s Moment liegt, wie im Schaffen so vieler Pop-Musiker.

Das eine ist, wenn etwa Coldplay und Ariana Grande nach dem Anschlag von London bei einem Benefizkon­zert zugunsten der Opferfamil­ien spielen. Etwas anderes ist, wenn Stars für Global Citizens spielen – die Organisati­on will damit nämlich eigentlich auf die 17 Ziele für eine nachhaltig­e Entwicklun­g aufmerksam machen, die die Vereinten Nationen im Herbst 2015 in einer Agenda für den Zeitraum bis 2030 festgelegt haben. Heraus kommt dabei mitunter nur ein digitales Erziehungs­programm für die Fans – und nun ein Showspekta­kel in Hamburg, das nur schwerlich über bejubelte Bekenntnis­phrasen hinauskomm­en wird. Gut gemeint und harmlos. Ein bisschen Gemeinscha­ft und vielleicht einen Hauch Aufklärung stiftend. Die Vertreter der G20 aber verhandeln in einem anderen Kosmos.

Wenn Kunst hier zum Mittel wird, heiligt das der Zweck?

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Foto: Norbert Försterlin­g, dpa Ein Klassiker der politisch engagierte­n Popmusik: Das sogenannte „Live Aid“mit Superstars wie Freddy Mercury spielte 1985 für die Hungerhilf­e in Afrika umgerechne­t 280 Millionen Mark ein – durch Spenden, Ein trittsgeld­er und Fernsehrec­hte. Damals war...

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