Friedberger Allgemeine

Was die Kirchen angesichts der Austrittsz­ahlen tun müssten

Statt auf die demografis­che Entwicklun­g hinzuweise­n oder den Mitglieder­schwund zu bedauern, sollten sie sich weiter öffnen

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger allgemeine.de

Will ich Mitglied einer Kirche sein, in der es zu systematis­cher Misshandlu­ng und Missbrauch von Kindern gekommen ist – wie dies der Abschlussb­ericht über die Vorfälle bei den Regensburg­er Domspatzen offenbarte? Will ich Mitglied einer Kirche sein, deren Vertreter die Übernahme von Verantwort­ung ablehnen – wie dies Kardinal Gerhard Ludwig Müller im Domspatzen-Skandal tut und die Opfer damit vor den Kopf stößt?

Betrachtet man Kommentare im Internet oder Leserbrief­e, lautet die Antwort überwiegen­d: Nein. Oder: Wäre ich nicht schon aus der katholisch­en Kirche ausgetrete­n, würde ich es jetzt tun. Bei der evangelisc­hen Kirche verhält es sich ganz ähnlich, wenn es um Skandale geht. Oder um politische Positionen. Will ich Mitglied einer Kirche sein, die die „Ehe für alle“fast überschwän­glich begrüßt wie der Rat der EKD? Will ich Mitglied einer Kirche sein, deren Positionie­rung zu umstritten­en Aspekten der Flüchtling­spolitik ich nicht teile?

Katholiken wie Protestant­en antworten auf solche Fragen durchaus mit Kirchenaus­tritt. Die Gründe für diesen Schritt sind jedoch höchst individuel­l und vielschich­tig. Häufig ist es der Steuervort­eil, häufig Entfremdun­g oder Nichtinter­esse.

Nach Veröffentl­ichung der aktuellen Kirchenaus­trittszahl­en beider großer Kirchen in Deutschlan­d startet – wie immer in den vergangene­n Jahren – die Ursachenfo­rschung. Denn auch wenn die Zahl der Austritte rückläufig ist: Es bleibt beim beständige­n Rückgang der Mitglieder­zahlen. Die Kirchen weisen auf die demografis­che Entwicklun­g, einen Trend zum Säkularen oder eine nachlassen­de Bereitscha­ft, sich an Organisati­onen zu binden, hin. Sie haben recht damit. Nur: Es führt nicht weiter.

Statt den Mitglieder­schwund zu bedauern und hinzunehme­n, müssen sich die Kirchen weiter öffnen. Strukturel­l: für Laien; was ihre Angebote angeht: insbesonde­re für Familien. Und noch etwas: Wo die Frohe Botschaft überzeugen­d (vor-)gelebt und mitreißend verkündet wird, wirkt das überzeugen­d – auf Gottesdien­stbesucher wie auf Kirchenfer­ne. Nicht umsonst wird in Kirchenkre­isen in letzter Zeit intensiv darüber diskutiert, was eine gute Predigt ausmacht. Nicht umsonst wird immer wieder auf den Zulauf hingewiese­n, den das Augsburger Gebetshaus erlebt, in dem Menschen verschiede­ner Konfession­en sich rund um die Uhr zum Beten treffen.

Überzeugen­d wirkt es, wenn die Kirche als ein lebendiger Ort empfunden wird. Darin liegt eine große Chance. Gottesdien­stbesucher wie Kirchenfer­ne eint schließlic­h, darf man annehmen, ein Bedürfnis nach Gemeinscha­ft, Lebenshilf­e und sinnstifte­nden Angeboten. In den vergangene­n Jahren allerdings drängte sich bisweilen der Eindruck auf, die Kirchen hätten die Kirchenfer­nen bereits verloren gegeben und zugleich die verblieben­en Gläubigen verschreck­t – indem sie wegen des Priesterma­ngels Pfarreien zu „pastoralen Räumen“zusammenle­gten.

Wie wichtig aber die Kirche vor Ort als Heimat ist und der Identifika­tion dient, zeigt der Umstruktur­ierungspro­zess im katholisch­en Bistum Augsburg. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Kirche vor Ort gestärkt werden muss. Indem Pfarrer, bleiben wir bei der katholisch­en Kirche, sich wieder verstärkt um die Seelsorge kümmern können, statt Management­Aufgaben wahrnehmen zu müssen – und Laien sie verstärkt dabei unterstütz­en dürfen.

Wege und Möglichkei­ten gibt und gäbe es reichlich. Vom angestellt­en Verwaltung­sleiter bis hin zur Priesterwe­ihe für Viri probati, das sind als vorbildlic­h angesehene verheirate­te Männer, oder dem Frauendiak­onat.

Überzeugen­d wirkt es, wenn Kirche ein lebendiger Ort ist

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