Friedberger Allgemeine

Das Gesetz der Kabine

Fahrer dürfen nicht mehr länger im Lkw übernachte­n. Das soll Rastplatz-Chaos verhindern, sorgt aber für Ärger

- VON JÜRGEN HAUG PEICHL, JONAS KECK UND MICHAEL KERLER

Würzburg/Augsburg Eigentlich ist es für Barsaw Ioaw ein Wochenende wie viele andere. Doch etwas ist anders als sonst, und dennoch bleibt alles beim Alten. Zwischen der Bordwand des Lastwagens und den ersten Paletten im Heck sind noch knapp zwei Meter Platz. Hier hat der Lkw-Fahrer seinen Campingstu­hl aufgestell­t und eine improvisie­rte Küche eingericht­et. Auf dem Gaskocher brät sich der Rumäne ein Steak. Dazu Kartoffeln und eingelegte Gewürzgurk­en.

Damit verstößt Ioaw gegen geltendes Recht. Denn seit im Mai das Fahrperson­algesetz überarbeit­et wurde, erfüllen Lkw-Fahrer die vorgeschri­ebene Wochenruhe­zeit von 45 Stunden nur dann, wenn sie nicht im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmögl­ichkeit verbracht wird. Die neue Vorschrift soll dafür sorgen, dass die wilden Zustände auf den Rastplätze­n aufhören. Außerdem sollen sich die Fernfahrer besser ausruhen können, damit ihre Fahrtaugli­chkeit gesichert ist.

Der Landesverb­and Bayerische­r Spediteure und die Gewerkscha­ft ver.di begrüßen grundsätzl­ich die neue Ruhezeiten-Regelung. Doch sie scheint an der Realität vorbeizuge­hen. Denn für Ioaw und seine Kollegen kommen Hotels oder Pensionen kaum infrage – es sei denn, der Chef bezahlt die Rechnung. Deshalb hat der Fernfahrer in der vergangene­n Nacht trotzdem im Lastwagen auf dem Parkplatz des Rasthofs Würzburg-Süd geschlafen. „Niemand weiß, was passiert“, meint Ioaw und zuckt gelassen mit den Schultern.

Bisher kann der Fernfahrer auch noch gelassen sein. Denn „in den ersten drei Monaten gilt eine Schonfrist, in der das Gesetz noch nicht in voller Härte angewandt wird“, erläutert Horst Roitsch, Pressespre­cher des Bundesamts für Güterverke­hr. So lange werden nur Verwarnung­en gegenüber den Fahrern ausgesproc­hen. Als weitere Schwachste­lle des Gesetzes gilt, dass es bisher nicht auf europäisch­er Ebene durchgeset­zt werden konnte. Nach Angaben des Landesverb­andes Bayerische­r Spediteure gibt es eine ähnli- che Regelung zur Wochenruhe­zeit wie jetzt in Deutschlan­d nur in Frankreich und Belgien. Es sei damit zu rechnen, dass nun Fernfahrer auf grenznahe Rastplätze zum Beispiel in Polen oder Tschechien ausweichen, um die Regelung zu umgehen. Damit werde „dieses Nomadentum“allenfalls verschoben.

Dazu kommt: Da das Gesetz nur für Fahrzeuge ab einem zulässigen Gesamtgewi­cht von 2,8 Tonnen gilt, verbessern sich die Arbeitsbed­ingungen für Fahrer von sogenannte­n Sprinterfl­otten gar nicht. Einer dieser Fahrer ist Emil Goidyn. Er sitzt auf dem Trittbrett seines Sprinters. „Bei der Hitze in der Kabine zu schlafen, ist die Hölle! Es klingt merkwürdig, aber der Winter auf dem Rastplatz ist mir lieber“, sagt der Pole. In einer Sprinterko­lonne, zusammen mit zwei Kollegen, fährt er morgen Richtung Nürnberg.

Lenkzeiten Wie lange am Stück Lkw Fahrer hinterm Steuer sitzen dürfen und wie lange sie Pause ma chen müssen, ist in einem Dickicht aus Vorschrift­en geregelt. Ein Fahrer darf pro 24 Stunden höchstens neun Stunden unterwegs sein (Tageslenkz­ei ten), zweimal pro Kalenderwo­che höchstens zehn Stunden. Pro Woche darf ein Fahrer maximal 56 Stunden fahren (Wochenlenk­zeiten).

Ruhezeit Auch bei der Ruhezeit un terscheide­n die Gesetze zwischen Dort laden sie Autoteile auf und bringen sie nach Italien.

Neben den Temperatur­en quält ihn vor allem die Langeweile. „Ausruhen, essen und trinken – mehr machen wir hier nicht“, meint er. Plötzlich winkt Goidyn den Fahrer eines 7,5-Tonners herbei, den er am Abend zuvor kennengele­rnt hat. Dieser möchte namentlich nicht genannt werden. Er weiß von dem neuen Gesetz und hat die Nacht in Tag und Woche. Elf Stunden Pause sind es generell pro Tag, wobei sie in bestimmten Fällen auf neun Stunden verkürzt werden kann. Besondere Regelungen gelten, wenn die Lastwa gen Besatzung aus zwei Fahrern besteht. Die Wochenruhe­zeit beträgt grundsätzl­ich 45 Stunden – am Stück zu nehmen spätestens nach sechs Ta gen. Auch hier gibt es die Möglich keit, die Ruhezeit zu verkürzen. Fahrer müssen dann aber die nicht ge nommene Ruhezeit nachholen. (aug) seiner Kabine verbracht. Wie sonst auch. „Wenn kümmert es? Sollen sie mich doch kontrollie­ren“, meint er und zieht an seiner Zigarette. Solange nicht genauer geregelt ist, wo sich die Fahrer tatsächlic­h aufhalten sollen, hat die Polizei keine Handhabe.

„Wenn wir mitbekomme­n, dass ein Fahrer mehrere Wochen nicht zu Hause war, sprechen wir die Speditione­n darauf an – wenn der Fahrer das möchte“, sagt Polizeiobe­rkommissar Martin Knobloch. Er ist für die Verkehrspo­lizeiinspe­ktion Würzburg-Biebelried auf Autobahnen und Rastplätze­n im Einsatz. Und wie soll die Polizei die Einhaltung kontrollie­ren? Sollen die Fahrer Hotel-Quittungen vorzeigen?

Im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord befindet sich zum Beispiel nördlich von Augsburg die A8. Auch hier wird noch nicht systematis­ch überprüft, ob die Regelung eingehalte­n wird. „Das neue Gesetz ist uns bekannt“, berichtet Thomas Rieger, Leiter der Pressestel­le. „Es finden aber noch keine gezielten Kontrollen auf den Rastplätze­n statt.“Der Grund sei, dass für die Polizisten noch die „praktische Handlungss­icherheit“fehle. Erst müsse man sich mit den anderen Regierungs­bezirken abstimmen.

Der Bekannte des Sprinter-Fahrers Goidyn wurde in den vergangene­n drei Jahren nur einmal von der Polizei kontrollie­rt, ob er die Ruhezeiten einhielt. Damals musste er rund 150 Euro bezahlen, weil er zu lange hinter dem Steuer gesessen hatte. Das neue Gesetz hält er nicht für realisierb­ar. „Wo sollen wir denn hin? Wenn mir mein Chef in Zukunft ein Hotel bezahlt, gerne!“

Dass Ioaw von dem Gesetz profitiert, glaubt er nicht. Am nächsten Tag wird er sich mit seiner Ware auf den Weg nach Dettelbach im Kreis Kitzingen zu einem Discounter machen. Keine halbe Stunde vom Rastplatz entfernt. Was er genau geladen hat, weiß er nicht. „Aber alles ab einem Euro!“, scherzt er und zeigt auf die Paletten hinter sich. Zwischen zwei und drei Monate ist er am Stück unterwegs. So lange ist sein Fahrzeug sein Zuhause und die Laderampe seine Küche. Dann kehrt er für zwei Wochen zu seiner Frau nach Rumänien zurück, ehe er wieder weiterfähr­t und seine Ruhezeiten auf Rasthöfen verbringt.

Wie oft und wie lange Lkw Fahrer sich ausruhen müssen

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Fotos: Jonas Keck Barsaw Ioaw aus Rumänien macht am Rasthof Würzburg Süd Pause. Eigentlich verstößt er damit gegen geltendes Recht. Denn Lastwagenf­ahrer dürfen ihre Ruhezeit einem neuen Gesetz zufolge nicht im Fahrzeug verbringen.
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Ein zweites Zuhause: Ioaw kocht auch di rekt am Lastwagen.

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