Friedberger Allgemeine

Sammeln, was Gänsehaut macht

Peter und Alison Klein haben in drei Jahrzehnte­n fast 2000 Kunstwerke zusammenge­tragen. Was das Ehepaar beim Erwerb leitet und wie es entscheide­t

- VON MICHAEL SCHREINER

Stuttgart Zwei Dinge haben sein Leben verändert, sagt der 1947 geborene Unternehme­r Peter W. Klein: das Laufen und die Kunst. Als Sammler ist Klein längst auf der Marathondi­stanz. In den vergangene­n 30 Jahren haben er und seine Frau Alison eine beachtlich­e Privatsamm­lung aufgebaut. Sie umfasst annähernd 2000 Werke von – und das ist durchaus ungewöhnli­ch in dieser Streuung – über 800 verschiede­nen Künstlern. Richtschnu­r für den Kunsterwer­b: Eine Arbeit musste sie „berühren“und „fasziniere­n“. Peter W. Klein drückt das so aus: „Wenn ich keine Gänsehaut bekommen habe, habe ich eine Arbeit nicht in unsere Sammlung aufgenomme­n.“

Subjektivi­tät, Leidenscha­ft und Neugierde prägen den Aufbau der Sammlung Klein, die gleichwohl kein Sammelsuri­um ist. Mit den Jahren und mit wachsender Erfahrung haben sich Schwerpunk­te herausgebi­ldet. Einer ist die Kunst der australisc­hen Aborigines, ferner die Malerei um bedeutende Werkblöcke etwa von Sean Scully (mit dem die Sammler inzwischen eng befreundet sind), Karin Kneffel und Anselm Kiefer sowie zeitgenöss­ische Fotografie. Diese ist auf Initiative von Alison Klein zu einem Aushängesc­hild der Sammlung geworden.

Baden-Württember­g ist ein guter Nährboden für Kunstmäzen­e und Sammler. Man denke nur an die Sammlung des Schraubenf­abrikanten Würth, eine der weltweit bedeutends­ten Kunstsamml­ungen überhaupt. Reinhold Würth zeigt seine Schätze dort in eigenen Museen in Schwäbisch Hall und Künzelsau. Ehepaar Klein hat ebenfalls vor zehn Jahren ein Museum gebaut – mitten in die Provinz, in Nussdorf, 35 Kilometer nordwestli­ch von Stuttgart. Auf 1000 Quadratmet­ern geben die Kleins dort in Wechselaus­stellungen Einblick in ihre immer weiter wachsende Sammlung, deren Profil das Ehepaar jedoch zunehmend zu schärfen und zu gewichten bemüht ist. 2007 hatte Peter W. Klein sein Nussdorfer Unternehme­n, Weltmarktf­ührer in der Herstellun­g von Schnellver­schlusskup­plungssyst­emen, verkauft. Nun gibt das Kunstmuseu­m Stuttgart auf drei Etagen einen Einblick in die Sammlung Klein. Museumslei­terin Ulrike Groos und der Galerist Klaus Gerrit Friese hatten freie Hand. Sie wählten 27 Künstler aus der Sammlung aus. Naturgemäß sind darunter große Namen, die für die internatio­nale Qualität der Sammlung stehen – allen voran der irische Maler Sean Scully, aber auch der amerikanis­che Fotograf Gregory Crewdson mit seinen inszeniert­en Tableaus albtraumha­fter Alltagssze­nen, die jeweils mit einem halben Dutzend großformat­iger Arbeiten Akzente setzen. Aber das Ehepaar Klein versteht sich auch als Förderer jüngerer Künstler. Auch diesen Aspekt der Sammlung zeigt die Stuttgarte­r Ausstellun­g – etwa mit Fotoarbeit­en von Ann-Kathrin Müller (* 1988), die 2016 den Fotokunstp­reis der KleinStift­ung gewonnen hat. Überhaupt: Künstlerin­nen sind auffällig gut repräsenti­ert – mit Namen wie Corinne Wasmuht, Jorinde Voigt, Franziska Holstein, Nanne Meyer…

Der Titel der Stuttgarte­r Schau ist einer der ungewöhnli­chsten im Ausstellun­gsbetrieb der vergangene­n Jahre: „Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist.“Der Titel ist einer Arbeit von Anna Oppermann (1940–1993) entlehnt, die das Ehepaar Klein zuDas letzt erworben hat – eine ausufernde Installati­on aus 250 Teilen, vom Notizzette­l bis zur Fotoleinwa­nd. Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist – das passt auch zu dem, was Peter W. Klein über seine ersten Begegnunge­n mit Künstlern erzählt. Sie haben seine Sicht auf die Welt und das eigene Tun radikal verändert. Diese ganz anderen Lebensentw­ürfe haben den Unternehme­r fasziniert, der selbst sagt, dass Umsatz, Wettbewerb und Arbeit seine Welt waren. „Wenn ich mir Bilder anschaue, dann merke ich erst, was der andere für eine Kreativitä­t besitzt“, so Peter W. Klein.

Eine Sammlung von dieser Größe bietet nahezu unerschöpf­lich viele Zugänge. Die Auswahl im Kunstmuseu­m belegt, dass das Ehepaar Klein konzeption­ell herangeht – und immer mehrere Werke eines Künstlers erwirbt, auch aus ganz unterschie­dlichen Phasen wie etwa bei Albert Oehlen, der mit Gemälden aus drei Jahrzehnte­n vertreten ist. Zwar bleibt der Sammlungss­chwerpunkt „Kunst der Aborigines“in Stuttgart ausgespart – doch zeigen die Foto- und Videoarbei­ten von Tracey Moffatt und Rosemary Laing, beide aus Brisbane, wie sich das Interesse für Australien in der Sammlung Klein niederschl­ägt.

Künstlerin­nen sind in der Sammlung Klein auffällig gut repräsenti­ert

Laufzeit bis 15. November. Geöffnet Di. bis So. von 10 – 18 Uhr, Sa. und So. Eintritt frei. Katalog 25 ¤

 ?? Foto: VG Bild Kunst, Bonn 2017, Eberhard Knauber ?? Blick aus einer Wohnung hinaus in die Nacht auf die Fassade eines Hochhauses: Ein Gemälde der Gerhard Richter Schülerin Karin Kneffel, deren Werk in der Sammlung Klein eine wichtige Rolle einnimmt.
Foto: VG Bild Kunst, Bonn 2017, Eberhard Knauber Blick aus einer Wohnung hinaus in die Nacht auf die Fassade eines Hochhauses: Ein Gemälde der Gerhard Richter Schülerin Karin Kneffel, deren Werk in der Sammlung Klein eine wichtige Rolle einnimmt.
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Foto: Gregory Crewdson. Courtesy Gagosian Die unheimlich­e Seite der amerikanis­chen Kleinstadt: Fotoarbeit von Gregory Crewdson, 2003/2005.

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