Friedberger Allgemeine

Der Reporter mit dem Kohlestift

Der Pressezeic­hner Emil Stumpp porträtier­te die Größen der Weimarer Republik. Eine Ausstellun­g erinnert an den einzigarti­gen Künstler, der sich seine Bildnisse signieren ließ

- VON MICHAEL SCHREINER

Er war ein manischer Arbeiter, ein Genie des Augenblick­s und ein Menschenfr­eund, ein Reporter mit dem Kohlestift, der sein Gegenüber in staunenswe­rter Präzision und Sensibilit­ät erfassen konnte. Emil Stumpp war als Künstler ein Autodidakt. Er arbeitete als Pressezeic­hner, war überzeugte­r Pazifist und leidenscha­ftlicher Kosmopolit. Seine große Zeit waren die 1920er Jahre, alle berühmten Köpfe der Weimarer Republik hat er in persönlich­en „Sitzungen“gezeichnet – mit einzigarti­gem Gespür für Psychologi­e und Physiognom­ie.

Wenn er nur 15 Minuten hatte, genügten ihm 15 Minuten. Seine Porträts wurden regelmäßig in den großen Blättern gedruckt. Zeichnunge­n waren begehrte Illustrati­onen, denn damals waren Fotografie­n in Zeitungen nur unzulängli­ch druckbar. Stumpp hatte sie wirklich alle – Staatsmänn­er, Künstler, Schriftste­ller, Journalist­en, Wissenscha­ftler, Schauspiel­er, Sportler. Ein Who is who wie aus dem Lexikon: Thomas Mann, Bert Brecht, Käthe Kollwitz, Albert Einstein, Hans Albers, Kurt Tucholsky, Heinrich Zille, Max Liebermann …

Etwa 15 000 Porträts hat der 1886 geborene Emil Stumpp gezeichnet in seinem rastlosen Leben, das elend endete in Nazihaft, wo er 1940 an Hunger und Schwäche starb. Es waren zwei wenig schmeichel­hafte Zeichnunge­n von Adolf Hitler, die – veröffentl­icht 1932 und 1933 im linksliber­alen Dortmunder

damals die größte Zeitung außerhalb Berlins und Stumpps fester Auftraggeb­er – das erfolgreic­he Berufslebe­n des Künstlers jäh zerstörten. Die Nazis wandelten das Blatt 1933 in ein Parteiblat­t um.

Emil Stumpps Leben und sein einzigarti­ges Werk als Chronist seiner Zeit beleuchtet nun eine aufschluss­reiche und fein gestaltete Ausstellun­g im Grafischen Kabinett der Kunstsamml­ungen. Im Mittelpunk­t stehen 40 Lithografi­en, die zeigen, wie differenzi­ert und individuel­l Stumpp porträtier­te und zeichnete – und welche berührende Lebendigke­it von diesen Menschenbi­ldern ausgeht. Kuratiert und aus eigenen Beständen bestückt wurde die Präsentati­on von Martin Welke, dem enthusiast­ischen Privatfors­cher, und seiner Stiftung Deutsches Zeitungsmu­seum. Deren einzigarti­ge Sammlung zum Zeitungswe­sen ist in Augsburg eingelager­t. Welke kämpft noch immer um einen Ort, um seine Zeitungssa­mmlung zu präsentier­en – am liebsten in Augsburg.

Christof Trepesch, Leiter der Kunstsamml­ungen und seit Jahren ein Fürspreche­r Welkes, vergleicht ihn mit Stumpp: Wie jener, der einst seine Stelle als Gymnasiall­ehrer aufgegeben hatte, um freier Künstler und Zeitungsze­ichner zu werden, habe Welke vor Jahrzehnte­n seine Stelle an der Universitä­t Bremen aufgegeben, um sich seiner Passion zu widmen – der Sammlung für ein Deutsches Zeitungsmu­seum.

Lange war Emil Stumpp, abgesehen von einem „überschaub­aren Verehrerkr­eis“, ein „unverdient Vergessene­r“, sagt Welke. Seit in den 1980er Jahren zwei Bücher über Stumpp erschienen, gilt das nicht mehr – auch wenn sein Name in Bayern noch immer den wenigsten etwas sagt. Der größte Teil seines Nachlasses wird im Emil-StumppArch­iv in Gelnhausen aufbewahrt; es finden sich aber auch viele seiner Zeichnunge­n im Deutschen Historisch­en Museum und in der Sammlung des Bundestage­s.

Stumpp war eine Doppelbega­bung. Er lieferte zu seinen Zeichnunge­n auch Texte für die Zeitung – der schickte ihn damals um die Welt, auch zu den Olympische­n Spielen 1932 in die USA. Die Überfahrt auf dem Schiff war für einen wie Stumpp ein Traum: Er hatte Zeit und Muße, die besten Sportler zu porträtier­en. Ganze zehn Minuten dagegen gewährte ihm der damalige Präsident- schaftskan­didat der Demokraten, Roosevelt, zu dem Stumpp sich hartnäckig vorkämpfte. Das meisterhaf­te Porträt ist in Augsburg zu sehen. Stumpp war immer selbst aktiv, machte sich nicht abhängig von Aufträgen. Auf eigene Faust fuhr er zum Maler Edward Munch und belagerte ihn so lange, bis ihm eine Porträtsit­zung gewährt wurde. Stumpps Markenzeic­hen war auch sein Türöffner: Er ließ die von ihm gezeichnet­en Berühmthei­ten stets das Blatt signieren – Beglaubigu­ng und Zustimmung gleicherma­ßen. Dass der Künstler nie schmeichel­te, sondern unbeirrt zeichnete, was er im Gegenüber sah, beeindruck­te. Der ernste, oft melancholi­sche Ausdruck der Porträtier­ten fällt auf.

Emil Stumpp hat seine Arbeit lebenslang als Tagebuchsc­hreiber begleitet, weshalb die Ausstellun­g wunderbare kleine Erzählunge­n aufbieten kann. 1925 schrieb Stumpp zu seiner Sitzung mit Brecht: „Schon das erste bei weitem das Beste, was von ihm gemacht worden sei. Will 10 Drucke, wird Bücher dafür schicken.“Nicht immer hatte es der Zeichner leicht. „Am wenigsten haben mir die Schauspiel­er gefallen. Unpünktlic­hkeit, Unzuverläs­sigkeit in der Verabredun­g, launische Anwandlung­en, keine Rücksichtn­ahme auf Zeit und Nerven anderer…“Die einzigarti­ge Qualität seiner Porträts hat darunter aber nie gelitten. Auch darin zeigt sich Emil Stumpps Größe.

Dauer

bis 12. November. Eintritt frei

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Käthe Kollwitz, einmal nicht als Mater Dolorosa wie auf vielen Selbstbild­nissen.
 ??  ?? Junger Mann mit struppigem Haar und Zigarre: Bert Brecht 1925.
Junger Mann mit struppigem Haar und Zigarre: Bert Brecht 1925.
 ??  ?? Franklin D. Roosevelt gewährte Stumpp 1932 ganze zehn Minuten. Das genügte.
Franklin D. Roosevelt gewährte Stumpp 1932 ganze zehn Minuten. Das genügte.

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