Friedberger Allgemeine

Der Nabel der Welt

Ohne sie gerät das Leben schnell aus dem Lot. Vor den großen Ferien: Betrachtun­gen zur Pause, die eine Säule unseres Daseins ist

- / Von Michael Schreiner

wenn dies ein gesprochen­er Text wäre, würde sich an dieser Stelle eine Kunstpause anbieten ... Pause. Mehr noch: Manchmal retten wir uns geradezu in die Pause, leben auf die Pause zu, ersehnen sie. In Theater-Inszenieru­ngen von Frank Castorf zum Beispiel, die gerne fünf oder sechs Stunden dauern. Beim Seminar in Arbeitsgru­ppe 3 über „Workflow-Optimierun­g in internen Digitalisi­erungsproz­essen“.

Pausen gliedern das Dasein. Weshalb Sie hier einen Absatz finden.

Wir brauchen Pausen, viele Pausen. Und noch viel mehr Päuschen. Pausen sind Ruhezonen. Sie sind wie Dehnungsfu­gen zwischen Anstrengun­gen und Anforderun­gen, Zumutungen und Zudringlic­hkeiten. Pausen erlösen und erleichter­n uns, lassen uns durchschna­ufen. Als Werbeversp­rechen ist die Pause immer populär gewesen. Im deutschen Nachkriegs-Wirtschaft­swunderrau­sch des Schuftens lockte CocaCola mit dem schlichten eisgekühlt­en Imperativ: Mach mal Pause! In der Ära Kohl dann hieß es schokoladi­g-neckisch: Die schönsten Pausen sind lila.

Was wäre der Mensch ohne Verschnauf­pause, bzw., das klingt ruhiger: Atempause? Ein sich abstrampel­nder Zappler ohne Bewusstsei­n, ausgeliefe­rt der Monotonie. Jeder Pausenclow­n erschiene dagegen als ein weiser Mann.

Damit das Gehetze und der Stress, die Lebensgier und das Getriebens­ein, die Pechsträhn­en und die Berufswege uns nicht umhauen, haben wir die Pause kultiviert, überall. Schon das Baby an der Mutterbrus­t nimmt sich gelegentli­ch eine Trinkpause, Schulkinde­r stürzen mit Begeisteru­ng in die große Pause wie ins Freibad im Sommer. Bloß das Pausenbrot… na ja, anderes Thema.

Auf dem Zahnarztst­uhl dehnt sich die Leidenszei­t unendlich – und wenn ER den Bohrer absetzt und dem Gemarterte­n eine Pause gönnt, ist das ein herrlicher Moment. Die Mittagspau­se im Büro ist nicht nur ein Ritual. Es gibt Behörden, da hat sie den Status eines Menschenre­chts. „Der ist zu Mittag“oder „Der ist in Mittag“heißt dann so viel wie: Verschwund­en, unerreichb­ar, not available!

Fußball ohne Halbzeitpa­use? Unvorstell­bar. Ein Spiel dauert eben nicht 90 Minuten, sondern zweimal 45! Dazwischen: Kabine. Pause. Trainerans­prache. Werbung …

Die Pause (französisc­h: la pause) ist die wichtigste Säule in der Statik des zivilisier­ten Lebens. Pausen geben Gelegenhei­t, unsere dringendst­en Bedürfniss­e zu befriedige­n. Pinkelpaus­e. Kaffeepaus­e. Zigaretten­pause. Brotzeitpa­use. KnusperPau­se. Wo das nicht möglich ist, wo es also pausenlos weitergeht und über alle Wünsche hinweg nicht anhält, wird es zur Qual. Macht dieser Typ am Presslufth­ammer da draußen nie Pause? Das Schreikind im zweiten Stock? Der Chef, der in Minute 37 seiner launigen Begrüßungs­rede angekommen ist, aber noch nichts gesagt, ja nicht mal eine schöne Kunstpause untergebra­cht hat? Augenrolle­n im Auditorium, jetzt passt mal wieder Nietzsche: „Denn viele Menschen ... sind sel- Intervalle und Pausen in der Symphonie des wirklichen Lebens.“

Man könnte die Pause als eine Maßeinheit des Menschlich­en verstehen. Ohne Pause gibt es kein Davor und kein Danach. Pausen würzen den Einheitsbr­ei. Sie machen Musik erst zu Musik. Pausen rhythmisie­ren das Lebenstemp­o. Das ist hoch, weshalb zum Beispiel selbst in der Politik gelegentli­ch Denkpausen gefordert werden. Ist damit eigentlich gemeint – und diese Tücke gilt semantisch für viele Pausen – man solle mal mit dem Denken aufhören? Oder vielleicht doch eher das Gegenteil: die Pause nutzen zum Nachdenken? Zeitlich wird die Denkpause oft nicht genauer definiert, was zum Problem werden kann, weil die Pause manchmal schon beendet ist, bevor das Denken – je nach Lesart – so richtig ausgesetzt bzw. in Gang gekommen ist. Es gilt so oder so, was der Dramatiker Christian Friedrich Hebbel klug eingeworfe­n hat: „Doch sind die Pausen, wo der Geist ruht, wohl nicht ganz zu verachten.“

Pausen können kurz sein, wie die Kunstpause und die Verlegenhe­itspause, oder verdammt lang, wie die Winterpaus­e in der Bundesliga oder die Sommerpaus­e früher bei Harald Schmidt. Als Tätigkeit ist das Pausieren eine zweischnei­dige Sache. Einerseits klingt es verlockend, sich in einer länger währenden Pause zu befinden und diesen Zustand als Aktivität zu begreifen. Ich pausiere – und was machst du so?

Manchmal gehören zum Pausieber ren ja auch zwei – in der Beziehungs­pause beispielsw­eise, die zu den neuen Segnungen der Pausenbesc­hwörung zu gehören scheint. Anderersei­ts kann es eine große Belastung sein zu pausieren, weil dies auch eine Form der Verurteilu­ng zur Untätigkei­t ist. Leistungss­portler wissen das, wenn sie „pausieren müssen“. Pausen, die andere einem verordnen, sind nicht sehr beliebt.

Womit wir an einem sensiblen Punkt sind. Die meisten Pausen stellen sich nicht von selbst ein – man muss sie bewusst machen, muss sie sich nehmen, muss eine Unterbrech­ung herbeiführ­en – gleichsam die Pausentast­e drücken wie am CD-Player, damit die Musik nicht ewig weiterspie­lt.

Das gilt übrigens auch für den Fernseher. Die Zeiten der nächtliche­n Sendepause sind lange vorbei – es flimmert around the clock. Stopp, halt: Darüber muss der Einzelne gebieten, es gibt in einer Welt des 7/7 mal 24 Stunden immer weniger Pauseninst­anzen.

Dazu braucht es Einsicht und Vernunft – was nicht immer jedem in jeder Situation gelingt. Etwa den Durchbrett­erern, die am liebsten in einem Rutsch an den Gardasee rasen und Pinkelpaus­en von Mitfahrern als persönlich­e Niederlage begreifen. Pausen sind für diese Typen Flausen im Kopf. Oder die Workaholic­s, die mit Kaffee und Aufputschm­itteln bis in die Nacht weitermach­en, taub und unempfängl­ich für den inneren Pausengong, als wäre eine Pause ein schwarzes Loch,

Dies ist fortlaufen­der Text, der über eine Makrotaste eingegeben wurde. Er braucht somit nicht gelesen zu werden. PD

kommt das da oben raus. Kurios, oder? Noch mal?

An dieser Stelle beginnt der aufmerksam­e Leser zu ahnen: Da kündigt sich eine notwendige Schaffensp­ause an, jetzt kommt nicht mehr viel, wir sind in der 29. Etage, da rettet sich einer in die große Pause, oder aufs Dach, am Ende sogar in die großen Ferien, diese größte aller gemeinsame­n Pausen.

Dafür noch zwei polarisier­ende Lektüreemp­fehlungen: „Aktive Pause: Plädoyer für einen neuen Zeitbegrif­f“von G. Dellbrügge­r und „Donald macht Pause“, Micky Maus Taschenbuc­h Nr. 04.

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