Friedberger Allgemeine

„Fast hätte ich ihn umgebracht“

Der Sänger Alice Cooper spricht über die Kunstfigur Alice Cooper, seine überwunden­e Drogenund Alkoholsuc­ht und die Reunion mit der Band

- Interview: Olaf Neumann

Mr. Cooper, Sie haben Ihr Album in den Anarchy-Studios in Nashville aufgenomme­n. Herrschte im Studio kreative Anarchie? Alice Cooper: Zuerst einmal ist Nashville keine reine Country & Western-Stadt mehr, dort wird heute viel Rock ’n’ Roll gespielt. Fast jeder Rockproduz­ent arbeitet mittlerwei­le in Nashville. Als ich bei meiner letzten Platte nach einem geeigneten Gitarriste­n suchte, stellte ich fest, dass Vince Gill in der Stadt war. Alle verbinden mit ihm CountryMus­ik, aber er war auch mal in einer Rockband. Also bat ich ihn, auf einem meiner Songs Gitarre zu spielen. Und wissen Sie was: Er spielte wie der Teufel! Country-Musiker und Rocker haben viel mehr gemeinsam als man denkt. Nashville ist die neue Rock-Hauptstadt. Mein Produzent Bob Ezrin arbeitet dort. Cooper: Eigentlich sollte es gar kein Konzeptalb­um werden. Wir hatten ein gutes Dutzend Songs fertig geschriebe­n, und als ich sie mir noch einmal zu Gemüte führte, stellte ich fest, wir hatten unbeabsich­tigt ein Konzeptalb­um geschriebe­n. Denn jeder Charakter in jedem Song hatte irgendwelc­he übersinnli­chen oder abnormalen Probleme. Es geht hier aber nicht um Geisterjäg­er oder so, sondern um Dinge jenseits des Normalen. Genau wie meine Karriere. Cooper: Mir passieren ab und zu Dinge, die ich beim besten Willen nicht erklären kann. Ich war mal mit Joe Perry (Aerosmith, die Red.) in einem Haus oben in New York. Ich weiß noch, wie ich meine Diätcola auf dem Tisch abstellte und in den Nebenraum ging. Als ich dort ankam, war meine Cola schon da. Und Joes Gitarrensa­iten waren verschwund­en. Das passierte nicht nur einmal, sondern jeden Tag. Später fanden wir heraus, es war das Haus, in dem der Geisterrom­an „The Amityville Horror“geschriebe­n wurde. Cooper: Ich bin mir ziemlich sicher, das da noch irgendeine andere Dimension existiert. Ich denke da eher an Engel und Dämonen als an Geister. Aber bis jetzt haben sie mir nichts Schlimmes angetan. Ich kenne eigentlich niemand, der je von einem Geist verletzt wurde. Im Rockzirkus gibt es viele durchgekna­llte Existenzen. Hilft die Musik Ihnen, nicht durchzudre­hen? Cooper: Oh ja, denn Musik ist ein kreativer Prozess. Wenn du etwas erschaffst, arbeitet dein Gehirn auf Hochtouren und dein Blut kommt in Wallung. Kreativitä­t ist der Gipfel des Menschsein­s. Diese Platte hier existierte letztes Jahr noch gar nicht, inzwischen aber sind Ideen zu Songs geworden, die jeder sich anhören kann. Songschrei­ber und Künstler bringen Dinge zur Welt, ob nun gut oder schlecht. Ja, dieses Album war eine Schöpfung. Aus mir hätte auch ein Maurer werden können, dann würde ich heute Häuser bauen. Aber Musik zu kreieren ist viel obskurer. Cooper: Mit dieser Band schrieb und spielte ich jetzt wieder zwei Songs. Das Tolle an ihr ist, dass wir uns damals nicht im Streit getrennt haben. Normalerwe­ise bricht eine Band auseinande­r und die Musiker beginnen sich gegenseiti­g zu hassen. Zwischen uns gab es jedoch keine Wut, wir blieben die ganze Zeit über in Kontakt. Jeder entwickelt­e seine eigenen Projekte und ich machte seitdem als Alice Cooper weiter. Als ich die Jungs jetzt wieder anrief und vorschlug, ein paar Songs zusammen zu schreiben, waren sie nicht überrascht. Sie haben dann auch einen wirklich guten Job gemacht. Cooper: Ja, ich schreibe immer für Alice in der dritten Person. Denn er ist schließlic­h nur eine Figur, die ich darstelle. Alles, was ich singe, gibt seine Meinung und nicht meine wider. Er tickt schon ein bisschen anders als ich, aber wir haben den selben Humor. Alice bringt Dinge anders ans Publikum heran als ich. Cooper: Es war wohl eher so, dass ich ihn um ein Haar umgebracht hätte. Als ich noch Alkohol trank und Drogen nahm – damals in den späten 60ern und frühen 70ern – habe ich das Monster Alice erschaffen. Anfangs dachte ich, er sei daran Schuld gewesen, dass ich zu einem Süchtigen wurde. Bis mich eines Tages mein Therapeut fragte: „Wie viel trinkt Alice auf der Bühne?“Ich antwortete: „Alice trinkt nicht auf der Bühne“. Mein Therapeut fuhr fort: „Welche Drogen nimmt Alice auf der Bühne?“Ich: „Alice nimmt keine Drogen auf der Bühne“. Er ließ nicht nach: „Und wie viel trinkt Alice im Studio?“Ich: „Nichts“. Dann sagte mein Therapeut: „Alice ist nicht das Problem. Sie sind es! Alice ist nämlich niemals high. Aber Sie sind es immer“. Deswegen habe ich ihn fast umgebracht und nicht er mich. Andernfall­s wäre ich nämlich nie clean geworden. (lacht) Cooper: Nun, ich musste Alice neu erfinden. Vor meiner Therapie war Alice der Prügelknab­e der Gesellscha­ft, ein Ausgestoße­ner. Deswegen habe ich ihn auf der Bühne auch immer geköpft. Wenn du trinkst und Drogen nimmst, fühlst du dich psychologi­sch als Opfer. Als ich dann aber als cleaner Künstler ins Rampenlich­t zurückkehr­te, war ich durch und durch positiv eingestell­t. Doch wie sollte ich Alice fortan spielen? Irgendwann beschloss ich, ihn als arroganten Bösewicht zu spielen. Er sollte fortan für alles, was er tut, selbst verantwort­lich sein, weshalb er heute kein Prügelknab­e mehr ist. Ich bin ja auch kein Opfer mehr. Ich kann es kaum erwarten, aufzutrete­n und ihn zu spielen. Cooper: Ich brauche zum Schreiben weder Kaffee noch Coca Cola, ich habe ein kreatives Gehirn. Wenn mir jemand sagt, es wird wieder Zeit, eine Platte zu machen, kann ich mich hinsetzen und unmittelba­r Songs schreiben. Ich brauche keine Inspiratio­n von außen. Wenn Sie jetzt einen Song über eine Giraffe und einen Elefanten auf der Spitze des Empire State Buildings bei mir in Auftrag geben würden, würde ich Ihnen antworten: „Okay! Soll es ein Liebeslied werden oder eher etwas Lustiges? Hardrock oder Pop?“Ich kann alles schreiben. Cooper: Ich mache dies jetzt seit 50 Jahren. Ich glaube, ich wurde für die Bühne geboren. Ich kenne Musiker, die haben Zeit ihres Lebens Angst vorm Publikum. Für mich hingegen ist die Bühne der Ort, wo ich mich am wohlsten fühle.

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