Man könnte, wenn man wollte
Was die Fahrradstadt 2020 heute Neues schafft, fühlt sich oft an wie von gestern. Ein bisschen mehr Mumm wäre schön
2017. Er und ich sind momentan 5 Prozent der Verkehrsteilnehmer, die aus Lechhausen kommen und Richtung Innenstadt wollen. Aber diese 5 Prozent sind schon doppelt so viele Radfahrer, wie die brandneue Radinfrastruktur hier zu fassen vermag. Er und ich. Wenn wir schon im Jahr 2020 wären, würden sich also rechnerisch noch acht Radler zu uns gesellen. Wir würden also mit zehn (10!) Linksabbiegern dort stehen und die anderen 50 Radfahrer, die nach rechts wollen, blockieren. Das Phänomen kennt man vom Autofahren: Man nennt es „Verkehrskollaps“.
So sieht also die Vision der Fahrradstadt 2020 aus: Verkehrskollaps auf Augsburgs Radwegen? Das klingt mir dann doch zu chaotisch! Ich frage mich, warum wir immer noch Radinfrastruktur für
bauen, wenn wir für ein ambitioniertes Ziel haben. Wenn man diese Frage stellt, bekommt man immer dieselben Antworten: Das Geld ist zu wenig, der Platz sowieso, und dann ist da noch der bequeme Status quo!
Derzeit interessiert es ja noch keinen. Daher muss man keine innovativen Ideen ersinnen. Man kann schön im Gedankenkasten brüten. Die spärlichen Lösungen für die heutigen Verkehrsprobleme findet man dann über die gesamte Stadt verstreut. Dass diese Lösungen auch gleich am sich ändernden (und geplanten) Mobilitätsverhalten des Jahres 2020+ ausgerichtet werden, kann man als Bürger scheinbar nicht erwarten. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es muss ja nicht gleich der tolle Bahnhofstunnel sein, der a) über eine Zufahrt zum neuen Fahrradparkhaus verfügt und b) eine alternative Radroute zwischen Zentrum und Thelottviertel/Pfersee bietet. Oh Gott, nein! Mir würde es schon reichen, wenn ich beim Befahren der Radwege heute schon ein wenig 2020 fühlen könnte. Doch leider klebt da das Gefühl 2000 an meinen Reifen. Ein bisschen mehr Mumm, dem Radverkehr von morgen seinen Platz zu reservieren, wäre wünschenswert. Ein wenig Über-denTellerrand-gucken wäre fein. Man muss nur ein wenig rechnen, mitdenken und Mut haben, etwas zu ändern. Wenn man diesen Mut ein wenig trainiert hat, fällt es leichter, die wirklichen Innovationen, welche die Radlobby in Augsburg fordert, umzusetzen. Es muss ja auch hier nicht gleich Tempo 30 in der ganzen Innenstadt sein. Ich kann verstehen, dass es da zu Widerständen kommt. So ein Tempolimit gilt ja auch für Fahrräder und mir wäre das auf dem Rad auch oft zu langsam. Man könnte aber zum Beispiel den „Grünpfeil“für Radfahrer testen. Den gibt es in deutschen Pilotprojekten, wo er Radler vor unsinnigem Im-Regen-Stehen, vor Abgasen und Rechtsabbiegerunfällen bewahrt.
Ja, man könnte – wenn man nur wirklich wollte. Aber man bleibt lieber bei Radparkhäusern mit völlig chaotischen Zufahrten und bei Radwegen, die heute schon nicht genug Fassungsvermögen haben. Denn da muss man nicht drei Jahre in die Zukunft sehen. Die schüttelt man aus dem Hemdsärmel.