Zwei Fäuste für ein Halleluja
Die Augsburgerin Nikki Adler ist die erfolgreichste Boxerin der Welt. Und nebenbei trägt sie Post aus. Jetzt mischt sie Amerika auf und steht vor dem schwersten Kampf ihres Lebens. In den USA wartet eine Frau mit einer furchtbaren Lebensgeschichte auf sie
Zurzeit gibt es nur Steaks und Gemüse. Keinen Kuchen
Augsburg Kann diese Frau tatsächlich jemandem körperlich wehtun? Wenn man sie sieht, mag man es nicht glauben. Nikki Adler ist eine hübsche, attraktive Erscheinung. Wenn sie ihre blonden Haare offen trägt, erinnert sie an ein Model aus der Kosmetikbranche. Auch auf Bildern von Promiveranstaltungen, auf denen sie mit der Schauspielerin Veronica Ferres in die Kamera lächelt, mit dem Turner Fabian Hambüchen über den roten Teppich läuft oder mit Ex-Handball-Nationaltrainer Heiner Brand plaudert, wirkt Nikki Adler wie eine Lady, die vor allem auf ein gepflegtes Äußeres Wert legt.
Doch die Frau kann hart sein, brutal hart. Einer ihrer ehemaligen Trainer hat einmal gesagt: „Nikki schlägt zu wie ein Pferd.“
Das muss sie auch. Schließlich ist sie die Weltbeste in ihrem Fach. Wenn die 30-Jährige im Boxring steht, fliegen die Fetzen. Die Augsburgerin ist sechsfache Weltmeisterin. Im Supermittelgewicht hat sie sämtliche Gürtel der vier wichtigsten Box-Verbände gewonnen. Zum Vergleich: Im Männerboxen gelang das bisher nur der bereits gestorbenen Box-Legende Muhammad Ali. Jetzt steht sie vor dem Kampf ihres Lebens und dafür trainiert sie, wenn es nach ihren eigenen Worten geht, wie „eine Blöde“.
Zuletzt war Sparringswoche in Halle an der Saale. Dort, wo sonst die Amateurboxer des örtlichen SV trainieren, stieg Adler in den Ring. Ihre beiden Gegner, der Südamerikaner Lopez-Lopez Litetio und Lisa Cielas, die 17. der Weltrangliste, versuchen nach Sichtung des Videomaterials so zu boxen wie Adlers kommende Gegnerin Claressa Shields. Adler keucht und stöhnt. Die blonden Haare unter ihrem Helm kleben ihr am Nacken fest. Trainer René Friese gibt lautstark Kommandos: „Locker bleiben. Die Rechte oben lassen und immer an die Füße denken.“Adler hockt nach der Trainingseinheit am Rand des Rings und lässt die Beine baumeln.
Ihr Gesicht ist gerötet. Während Lopez-Lopez sie vorwiegend nur leicht touchiert hat, nahm ihre Kollegin Cielas keine Rücksicht. „Es geht an die Substanz. Lisa boxt hart. Schlimmer kann es kaum kommen“, sagt Adler stöhnend und nimmt einen Schluck aus der Trinkflasche. Sie hat bei diesen Trainingskämpfen fast nur die Deckung gesucht. „Eine Gegnerin, die in den ersten Runden immer schnell und hart schlägt, verlässt irgendwann einmal die Kraft“, weiß Adler aus Erfahrung.
In der Woche vor dem Kampf wird das Training zurückgefahren. Dann beginnt die Regenerierungsphase. Die Ernährung – hauptsächlich Steaks und Gemüse – bleibt gleich. Auch deshalb eine schwere Zeit für Adler: „Ich hätte so gerne ein Stück Kuchen.“
Wer Adler kennt, weiß, dass bei allem sportlichen Erfolg ihr immer etwas gefehlt hat. Sie hat im Verlauf ihrer Karriere oft davon gesprochen, dass es für sie noch ein großes Ziel gibt: Amerika. „Da drüben will ich einmal kämpfen. Das ist ein ganz großer Traum von mir“, hat sie sehnsüchtig gesagt. Dieser Wunsch wird ihr spät, aber endlich erfüllt. Nach ihrem sechsten WM-Sieg im März dieses Jahres gegen Jennifer Rancier aus der Dominikanischen Republik kommt ein Anruf, auf den auch Adlers Managerin Jule Schutz gewartet hat. Am anderen Ende der Leitung ist Amerika.
Das Management von Claressa Shields, der zweifachen Olympiasiegerin, hat sich gemeldet. Die bisherige Amateurin ist vor kurzem ins Profilager gewechselt und will dringend einen WM-Kampf für ihre weitere Karriere. Die Wahl fällt auf das Nonplusultra der Frauen-BoxSzene: auf Nikki Adler. Am kom- Freitag steigt Adler in Detroit um 22 Uhr Ortszeit (4 Uhr MEZ) in den Ring. Momentan finden noch Verhandlungen mit deutschen Fernsehsendern statt.
Es war ein langer Weg dorthin. Adler musste viele Hürden überspringen. Sie fiel auf die Nase und sie ist wieder aufgestanden. Rückschläge haben sie stark gemacht. Hinzu kommt, dass Frauenboxen keine Nische ist, in der man finanziell überleben kann. Das gelang in Deutschland lediglich Regina Halmich. Ihre Kämpfe wurden auch im Fernsehen übertragen. Nach Halmich lag das Frauenboxen brach.
Erst jetzt in Amerika bekommt Adler eine halbwegs vernünftige Kampfgage. Von 50000 bis 60000 Euro ist die Rede. Auch deshalb, weil der amerikanische Fernsehsender Showtime, der auch kürzlich den Fight zwischen Wladimir Klitschko und Anthony Joshua übertragen hat, live berichten wird. Das Interesse in Amerika ist groß. Vor allem natürlich wegen Shields. Nicht nur, weil sie zweifache Olympiasiegerin ist.
Sondern wegen ihrer tragischen Lebensgeschichte. Shields kommt aus Flint in der Nähe von Detroit. Ihr Vater sitzt lange Zeit im Gefängnis. Sie wird als Jugendliche von einem Liebhaber ihrer Mutter, die drogensüchtig ist, vergewaltigt. ich in den Ring gehe, dann brauchen sie mich bloß anzuschauen, um zu erkennen, dass ich eine Menge durchgemacht habe. Sie können den Schmerz in meinen Augen sehen und ahnen, dass ich ihn rauslassen werde“, sagt sie einmal in einem Interview.
Aufgrund ihrer Schlagkraft heißt Claressa Shields in den USA nur „T. Rex“. Nach ihrem Olympiasieg im Jahr 2012 macht sie ihren Highschool-Abschluss. Mittlerweile scheint es, dass sie das Trauma ihrer Jugend überwunden hat. Shields schaut auch stark auf ihr Äußeres. „Wenn ich aus dem Ring komme, mache ich mir meine Haare. Da bin ich eine Lady. Im Ring bin ich ein Biest“, sagt die 22-Jährige.
Ganz anders das Leben von Nikki Adler. Das gleicht einem Tanz auf zwei Hochzeiten. Boxen und Beruf. Sie beginnt nach der Schule eine Lehre bei der Post. Dort arbeitet sie noch immer und beliefert als Angestellte die Bewohner in Meitingen (Kreis Augsburg) mit Paketen und Briefen. Ab fünf Uhr ist sie auf den Beinen. Vor einem schweren WMKampf und einer harten Vorbereitung ein Unding.
Wie schon so oft in den vergangenen Jahren wird sie von ihrem Arbeitgeber über sechs Wochen freigestellt. „Wir haben eine gemeinsamenden me Lösung gefunden“, sagt Adler und schiebt gleich hinterher: „Ich habe tolle Arbeitskollegen und einen tollen Chef.“Für Adler ist die Post ein Faustpfand für die Zukunft: „Ich könnte heute gut über die Runden kommen, ohne zu arbeiten, aber das ist mir zu gefährlich. Wenn mir im nächsten Kampf etwas passiert, habe ich gar nichts mehr.“Adler hat einige Kleinsponsoren, die unter anderem ein Auto oder Kosmetikartikel kostenlos zur Verfügung stellen oder sie finanziell unterstützen.
Wer Nikki Adler schon ein paar Jahre kennt, merkt, dass sie reifer, eloquenter, souveräner und taffer geworden ist. Sie lacht viel und oft. Wenn sie sich freut, benützt sie Wörter wie „Wow“, „Yeahh“oder „das ist Bombe“. Vor einigen Jahren wirkte sie noch wesentlich unsicherer. Das hat Gründe. Denn in der Zeit nach Halmich sucht die Boxszene verbissen nach Nachfolgerinnen.
Nikki Adler, die gebürtige Augsburgerin mit kroatischem Hintergrund, ist gerade dabei, sich in Deutschland einen Namen zu machen. Noch unter ihrem bürgerlichen Namen Nikolina Orlovic schickt sie etliche Gegnerinnen auf die Bretter und gewinnt die deutsche Meisterschaft und die Europameisterschaft.
Es dauert nicht lange, da unter„Wenn schreibt sie im Jahr 2007 in Berlin beim Wiking-Boxteam ihren ersten Profivertrag. Alle ihre Wünsche scheinen in Erfüllung zu gehen. Doch Nikki Adler lernt dabei auch das hässliche Gesicht des Boxsports kennen. Versprechen von Seiten des Managements werden nicht eingehalten. Sie fühlt sich „gelinkt“und im Stich gelassen. „Berlin war für mich die Hölle. Mir ging es überhaupt nicht gut. Ich war auf mich allein gestellt und zu weit weg von Augsburg. Damals habe ich sehr viel mit meinen Eltern und meiner Schwester Daniela telefoniert“, erzählt sie einmal.
Apropos Familie: Für die 30-Jährige ein Hort der Geborgenheit. Sie wohnt zusammen mit ihren Eltern und der Labradorhündin Jacky im Augsburger Stadtteil Pfersee. Einen festen Freund hat sie nicht. „Dafür habe ich momentan keine Zeit“, sagt Adler lächelnd. Von Mutter und Vater wird sie unterstützt. Schon als Mädchen ist die kleine Nikki anders als andere. Barbiepuppen sind ebenso wenig ihr Ding wie Ballett oder irgendwelche Prinzen in Märchenschlössern. Am liebsten sieht sie sich mit ihrem Vater Boxkämpfe der Brüder Klitschko im Fernsehen an. Beide hinterlassen großen Eindruck bei ihr. „Ich habe immer zu meinem Vater gesagt, das will ich auch einmal machen“, erzählt sie lachend.
Es dauert dennoch bis zu ihrem 15. Lebensjahr, bis sie mit dem Kickboxen anfängt. Das Mädchen ist mit einer Portion Talent ausgestattet. 2004 wird sie bayerische Meisterin. Doch Kickboxen macht sie nicht so richtig glücklich. Sie verdreht die Augen und sagt: „Mit den Füßen zu schlagen, dazu war ich immer zu faul.“
Ihrer Karriere tut das keinen Abbruch. Wer Adler trainieren sieht und dabei ihre muskulösen Oberarme betrachtet, kann sich in etwa vorstellen, wie eine rechte Gerade von ihr schmerzen kann. Mit drei verschiedenen Trainern hat sie bisher alle ihre 16 Profikämpfe gewonnen. Für ihren derzeitigen Coach René Friese, der sie seit ihrem sechsten WM-Sieg betreut, ist Adler ein Phänomen: „Sie lebt nur für diesen Sport, weil sie diesen Sport liebt. Das macht sie einzigartig.“
Friese muss es wissen. Der frühere Jugend-Vizemeister, der in der ehemaligen DDR auch für die Junioren-Nationalmannschaft boxte, hat bisher einige renommierte Boxer trainiert. Wie Robert Stieglitz den Weltmeister im Supermittelgewicht, Europameister Robin Krasniqi oder die fünffache Weltmeisterin Christina Hammer.
Neben ihrem Trainer René Friese gehört vor allem Jule Schutz, ihre Managerin, zu ihren Vertrauten. Seit knapp vier Jahren kümmert sich die Programmdirektorin von Antenne Thüringen um die Augsburgerin. Seit Schutz die Dinge in die Hand genommen hat, ist einiges passiert. Unter dem Slogan „Nikki muss heißer sein als jede Frau und härter als jeder Mann“, versucht sie die Boxerin zu vermarkten. Schutz hat ein Gespür dafür. Sie bringt Adler nicht nur auf Promi-Partys wie dem Wiener Filmball unter. Durch ihre beharrliche Art schafft sie es auch, dass Fernsehsender auf die Augsburgerin zukommen. Adler wird nicht nur für die RTL-Soap „Gute Zeiten,
Sylvester Stallone alias Rocky gibt sie einen Korb
schlechte Zeiten“gebucht. Sie darf auch bei der ARD im „Tigerentenclub“den Kids das Boxen erklären oder bei Vox in „Das perfekte Dinner“zeigen, dass sie neben Boxen auch kochen kann. Vom Bezahlsender Sky wird sie ab und zu in der Halbzeitpause bei einem Fußballspiel des FC Augsburg zu einem Statement gebeten.
Manche Einladungen muss sie schweren Herzens absagen. Zum Beispiel jene von Hollywood-Star Sylvester Stallone, der die Hauptrolle im Kino-Blockbuster „Rocky“spielte. Der will Nikki Adler für die amerikanische Fernsehshow „Beastmaster“anwerben. In dieser Sendung messen sich 20 weibliche und männliche Teilnehmer in Martial Arts (Kampfkünsten), Krafttraining und Boxen. Doch aufgrund eines WM-Kampfes in Saarbrücken gibt Nikki Adler Rocky einen Korb.
Fast ein Jahr nach dieser Absage ist der Traum von Amerika dennoch wahr geworden. Deutsche Boxer standen in den USA übrigens bisher fast ausnahmslos auf verlorenem Posten. Max Schmeling war im Jahr 1936 der letzte Deutsche, der damals gegen Joe Louis einen Kampf gewonnen hat. Selbst Regina Halmich hat 1994 verloren. Halmich hat Adler via Facebook längst Mut gemacht: „Endlich mal ein guter Frauenboxkampf. Das fehlt in Deutschland komplett. Viel Glück, Nikki.“
Trainer Friese beziffert die Chancen gegen Shields auf 50:50: „Es wird schwierig. Ich hoffe vor allem auf ein faires Kampfurteil.“Für Adler selbst wird es der Kampf ihres Lebens. Am Sonntag fliegt sie über den Großen Teich. Es ist ihre schwerste – und zugleich ihre schönste Reise: „So eine Chance bekomme ich nie mehr. Ich werde alles geben.“
Nikki Adler ist bereit für Amerika.