Zeigt dieser Schwamm, was bei uns schiefläuft?
Ein riesiger Spülschwamm steht als Kunstwerk vor der City-Galerie. Spielende Kinder zerlegen ihn in kurzer Zeit. Der Künstler sieht das als Zeichen für den Niedergang der Gesellschaft. Das ist übertrieben
IVON JÖRG HEINZLE st das Kunst? Ein großer gelber Spülschwamm? Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Denn der Kunstbegriff ist weit. Und es ist ja ein schöner Gedanke, den der Künstler Michel Abdollahi mit seinem Werk vor der City-Galerie verbindet: Es soll ein Anti-HassSchwamm sein, der das Böse aufsaugt. Ein Zeichen gegen Hass und Rassismus. Der Künstler schreibt dazu: „Niemand kann sich dran verletzen oder stoßen, er federt alle Einwirkungen ab, er gibt nach, behält aber stets seine Form.“Nun, das mit der Form war wohl eher ein Trugschluss. Er sieht ziemlich zerrupft aus. So wie ein Schwamm, der sich nach häufigem Scheuern und Schrubben eben langsam in seine Einzelteile zerlegt.
In Augsburg waren es Kinder, die den überdimensionalen Schwamm als Spielobjekt für sich entdeckt haben und ihn dabei auch beschädigten. Der Künstler macht den Kindern keine Vorwürfe. Er findet es sogar schön, dass sie damit spielen, schreibt er in einem langen Brief an die Augsburger. Dennoch wertet er es als „Vandalismus“und Sachbeschädigung“, dass der Schwamm beim Spielen ziemlich ramponiert worden ist. Ein Widerspruch.
Wer einmal auch zutiefst friedliebende Kinder beim Spielen beobachtet hat, der weiß, wie zerstörerisch so ein Spiel sein kann. Eine von Kindern mühsam aufgebaute Lego-Stadt kann nach dem Spiel schon mal so aussehen, als ob eine Naturkatastrophe von biblischem Ausmaß darüber hereingebrochen wäre. Natürlich rechtfertigt das nicht die bewusste Zerstörung eines Kunstobjekts. Aber der Vergleich zeigt: Die Grenze zwischen Spiel und Zerstörung ist fließend. Und kleinere Kinder sind noch nicht mal in der Lage, das zu unterscheiden.
Bleibt noch die Frage: Hätten die Eltern eingreifen müssen? Der Künstler schildert tief betroffen, wie Eltern sich lieber ihrem Handy oder dem Rauchen widmen, anstatt sich um das destruktive Treiben ihrer Kinder zu kümmern. Um die Diskussion auf eine pragmatische Ebene herunter zu ziehen: Ja, es gibt Eltern, die sich zu wenig dafür interessieren, was ihre Kinder so anstellen. Und ja, es gibt auch Eltern, die ihren Kindern zu wenig Grenzen setzen und meinen, ihr kleiner Prinz dürfe sich alles erlauben. Aber ja: Es gibt auch Eltern, die genau das Gegenteil davon tun.
Michel Abdollahi schreibt, die teilnahmslosen Augsburger Eltern und der Schwamm ließen sinnbildlich „tief in die Seele unserer Gesellschaft“blicken: „Und die sieht momentan ignorant bis düster aus.“Er irrt sich. Es mag manches in unser Gesellschaft schief laufen. Es mag Dinge geben, die sich zum Negativen verändern. Was einen aber beruhigen kann: Kulturpessimismus gab es schon immer. Und der Gedanke, dass es mit der Jugend bergab geht, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Das Tröstliche: So schlimm, wie es mancher Schwarzmaler prophezeit hat, ist es dann meist doch nicht gekommen. Der Künstler fragt, ob die Eltern auch dann nicht einschreiten würden, wenn ihre Kinder „Sieg Heil rufen oder in Hamburg vor brennenden Autos Selfies machen“. Es ist richtig, über Missstände zu diskutieren und genau hinzuschauen. Aber das ist übertrieben.
Und er widerlegt sich mit seinen Beobachtungen zum Teil selbst. Kinder aller Hautfarben und Nationalitäten hätten auf dem Schwamm friedlich miteinander gespielt, schreibt er. Viele hätten gar nicht verstanden, warum ein Symbol gegen Hass nötig ist. Und einige Kinder räumten sofort auf, als der Künstler sie ansprach. Müssen wir für diese Generation also wirklich schwarz sehen?
Ja, es gibt Eltern, die sich zu wenig interessieren