Friedberger Allgemeine

Die Rache der Hinterbänk­lerin

Die Abgeordnet­e Elke Twesten hatte bei den Grünen keine Perspektiv­e mehr. Ihr Wechsel zur CDU verändert die Mehrheiten im Landtag. Das wird Konsequenz­en haben

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Hannover/Berlin Als die Landtagsab­geordnete Elke Twesten vor die Mikrofone tritt, ist sie sich ihrer Sache sicher. Sie habe ihren Austritt bei den Grünen erklärt, ein Schritt, der ihr nicht leichtfall­e, sagt die 54-Jährige am Freitag in Hannover. „Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU“, fährt sie mit ruhiger Stimme fort und erläutert ihre Beweggründ­e. Selbstbewu­sst redet die blonde Frau im dunkelblau­en Hosenanzug, die so kurz vor der Bundestags­wahl eine Regierungs­krise in Niedersach­sen ausgelöst hat.

Mit Twestens Wechsel ist die rotgrüne Landesregi­erung nach mehr als vier Jahren ihre Ein-StimmenMeh­rheit los. Die CDU/FDP-Opposition könnte versuchen, an die Macht zu kommen. Statt zur ursprüngli­ch am 14. Januar 2018 anstehende­n Landtagswa­hl müssen die Niedersach­sen nun wohl früher an die Urnen.

Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) reagiert erbost. „Wenn eine Abgeordnet­e des niedersäch­sischen Landtags aus ausschließ­lich eigennützi­gen Gründen die Fraktion wechselt und damit die von den Wählern gewollte Mehrheit verändert, halte ich das persönlich für unsäglich und ich halte das für sehr schädlich für die Demokratie“, schimpft er. Tritt er nun zurück? Nein, sagt Weil: „Ich stelle mich jederzeit gerne dem Wählerwill­en. Aber ich werde einer Intrige nicht weichen.“Sein Plädoyer: eine Selbstaufl­ösung des Parlaments und dann eine schnelle Neuwahl.

Für die Frauenpoli­tikerin Twesten, die als Abgeordnet­e seit 2008 eher in den hinteren Reihen agierte, brachte der Streit um ihre Wiederaufs­tellung als Kandidatin „das Fass zum Überlaufen“– so sagt sie es. Die Grünen hatten an ihrer Stelle im Frühsommer eine neue Direktkand­idatin im Wahlkreis Rotenburg gewählt. Ein Grund dafür war wohl, dass sich Twesten in den Augen etlicher Grüner zu offen für eine Koalition mit der CDU gezeigt hatte. Sie selbst spricht von einem „längeren Entfremdun­gsprozess“.

Nachdem ausgemacht­e Stolperste­ine, kleinere Zänkeleien zwischen den Koalitions­partnern und mehrere Untersuchu­ngsausschü­sse RotGrün in Hannover nicht erschütter­n konnten, hatte mit einem Wanken der Regierung wohl kaum noch jemand gerechnet. Umschifft hatten SPD und Grüne ihre konträren Ansichten etwa beim Autobahnba­u. Auch Opposition­skritik am Ökokurs des Agrarminis­ters oder an einem angeblich laschen Vorgehen des Innenminis­teriums gegen Islamisten hinterließ kaum Schaden. Für diesen sorgt nun mit Twesten jemand aus den eigenen Reihen.

Und was bedeutet das Niedersach­sen-Debakel für die Bundespart­eien? Die CDU ereilt die unverhofft­e Steilvorla­ge für den Wahlkampf noch halb im Sommermodu­s. Am Montag will Generalsek­retär Peter Tauber Großplakat­e präsentier­en. Nun macht er sich daran, das Drama von Hannover umzumünzen. Die Stoßrichtu­ng: Rot-Grün kann es nicht, und zwar auch nicht als solide Regierungs­option für Berlin. „Jetzt auch in Niedersach­sen: #schulzeffe­kt“, twittert Tauber in Anspielung auf den verpufften Umfrage-Höhenflug von SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz.

Für die SPD kommt das Manöver in Niedersach­sen maximal ungelegen. Schulz tut sich ohnehin schon extrem schwer gegen Angela Merkel. Die Umfragewer­te der SPD sind mies, die Koalitions­optionen mehr als mau. Dass die Union nun neue Munition an die Hand bekommt, um gegen Rot-Grün zu wettern, ist für die Genossen extrem ungünstig. Führende SPD-Leute schäumen, das Wechselman­över sei unanständi­g und nur von verletzten Eitelkeite­n und persönlich­em Karrierede­nken einer einzelnen Abgeordnet­en getrieben.

Twestens Verhalten sei „nicht nur Verrat an den Wählerinne­n und Wählern, sondern auch Verrat an Rot-Grün“, postet Schulz bei Facebook. Und SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil – selbst ein Niedersach­se – schimpft in Berlin in die Kameras: „Es ist ein Skandal, dass die CDU in Niedersach­sen dieses schmutzige Intrigensp­iel mitmacht und versucht, daraus politische­s Kapital zu schlagen.“Auch für die Bundesgrün­en ist der Fall Twesten mehr als ärgerlich. Zuletzt gelang es der Parteispit­ze halbwegs erfolgreic­h, die alten Flügelkämp­fe unterm Deckel zu halten – jetzt haben beide Seiten neue Argumente.

Nun könnte es sein, dass in Niedersach­sen noch parallel zur Bundestags­wahl ein neuer Landtag gewählt wird. Den Wahlkampf mischt das ordentlich auf.

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Foto: Peter Steffen, dpa Für die grüne Landtagsab­geordnete Elke Twesten steht fest: Ihre neue Heimat wird die CDU.

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