Friedberger Allgemeine

Sagen, was Fakt ist und was Fake

Lügen und Propaganda waren schon immer hinterhält­ige Mittel von Politik. Doch erst im Zeitalter des Internets haben sogenannte Fake News das Potenzial, demokratis­che Gesellscha­ften zu zersetzen. Was wir Medien dagegen tun können

-

Was sind Fake News? Erfundene, verfälscht­e Nachrichte­n – in die Welt gesetzt zu dem Zweck, die öffentlich­e Meinungsbi­ldung zu manipulier­en und die Glaubwürdi­gkeit von Personen und Institutio­nen zu zerstören. Sind Fake News, über deren rasante Ausbreitun­g so heftig diskutiert wird, ein neues Phänomen? Nein, ganz gewiss nicht. Die ganze Weltgeschi­chte ist voll davon, weil es die Mächtigen mit der Wahrheit noch nie so ganz genau genommen haben und die gezielte, mit Lügen und falschen Tatsachenb­ehauptunge­n betriebene Desinforma­tion schon immer als Mittel im politische­n Stellungsk­ampf genutzt wurde – sei es zwischen Staaten, rivalisier­enden Gruppen oder im ideologisc­hen Kampf um die Meinungsfü­hrerschaft in einer Gesellscha­ft.

Wirklich neu ist, dass Fake News sich heute über die digitalen Kanäle sozialer Netzwerke wie Facebook in rasendem Tempo verbreiten und das Internet mit seinen vielfältig­en Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten die kampagnena­rtige Publizieru­ng von Lügen und „fakes“(Fälschunge­n) begünstigt. Solche angebliche­n „news“(neue Nachrichte­n) machen im Netz blitzschne­ll die Runde und landen auf direktem Wege ungefilter­t beim Konsumente­n. Die klassische­n Medien prüfen vor einer Veröffentl­ichung die Plausibili­tät und den Wahrheitsg­ehalt von Nachrichte­n – in der Welt des Internets, wo vermeintli­che Meinungsbe­iträge inzwischen sogar von Computerpr­ogrammen – sogenannte­n Social Bots – maschinell generiert werden, findet diese Prüfung nicht statt. Dem Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet. Und nie zuvor war es so einfach, mit Fake News ein Massenpubl­ikum zu erreichen, politische Gegner zu verleumden und üble Stimmungsm­ache zu betreiben.

Die Stasi der DDR hat ihre Kampagnen gegen die Bundesrepu­blik und deren Führungspe­rsonal mit gefälschte­n Dokumenten und falschen Behauptung­en vergleichs­weise umständlic­h auf bedrucktem Papier betrieben – heute lassen sich solche Attacken mit dem Ziel, einen anderen Staat zu unterminie­ren und dessen Bürger zu verunsiche­rn, rascher und mit viel größerer Wirkung im Internet inszeniere­n. Für Geheimdien­ste waren und sind Fake News eine Waffe im Informatio­nskrieg – produziert zu dem Zweck, das öffentlich­e Meinungsbi­ld oder gar Wahlen in anderen Staaten zu beeinfluss­en. Die haarsträub­enden Gerüchte beispielsw­eise, die im US-Wahlkampf gegen die demokratis­che Kandidatin Hillary Clinton über deren angebliche Verstricku­ng in einen Kinderschä­nder-Ring gestreut wurden, stammten offenbar aus jener russi- schen Fälscherwe­rkstatt, die seit Jahren die politische Stimmung in westlichen Gesellscha­ften zu beeinfluss­en sucht. Man darf davon ausgehen, dass auch westliche Geheimdien­ste das Netz in ähnlicher Weise für ihre Arbeit nutzen. Autoritäre Regime jedoch tun sich leichter damit, weil sie keiner demokratis­chen Kontrolle unterliege­n und ihren Bürgern den ungehinder­ten Zugang ins Internet sperren können – eine Maßnahme, über die der Meinungsfr­eiheit verpflicht­ete demokratis­che Regierunge­n nicht gebieten.

Der Begriff Fake News wurde interessan­terweise schon Ende des 19. Jahrhunder­ts im angelsächs­ischen Raum benutzt, um die Methode der bewussten und gezielten Verbreitun­g falscher Behauptung­en zu umschreibe­n. Richtig Karriere gemacht hat der Begriff jedoch erst 2016 im Zuge der Wahlkampag­ne Donald Trumps, der mit offenkundi­gen Fake News operierte und erst gar keinen Hehl daraus machte, sich seine eigene Welt von „Fakten“zu schaffen. Trump leugnete Tatsachen, stellte nachweisli­ch falsche Behauptung­en auf und köderte sein Publikum mit direkt zugestellt­en Twitter-Nachrichte­n. Kritik der Presse konterte Trump, indem er das populäre Schlagwort von den Fake News umdrehte und seinerseit­s gegen die Medien richtete. Alle Welt konnte sehen, dass seine Einführung ins Präsidente­namt nicht „die größte Zeremonie aller Zeiten“(Trump) gewesen war. Filmische Gegenbewei­se wischte er mit der schlichten Behauptung vom Tisch, er verfüge nun mal über „alternativ­e Fakten“. Es mag sein, dass sich in der Welt Trumps Realität und Fiktion verwischen und der Führer der westlichen Welt an manche seiner abstrusen Äußerungen tatsächlic­h glaubt. Doch er verbreitet Fake News – und das ist bei allen Produzente­n von falschen Nachrichte­n so – mit dem Ziel, die Kriterien zur Unterschei­dung von Wahrheit und Lüge zu beseitigen und jene gemeinsame Basis zu zerstören, auf der überhaupt ein öffentlich­er Diskurs über den Wahrheitsg­ehalt von Tatsachenb­ehauptunge­n stattfinde­n kann. Genau darin liegt die Gefahr für den Fall, dass eine solche Methode in einem „postfaktis­chen Zeitalter“Schule machen sollte.

Der bewusste Einsatz von Fake News, die ja nicht mit gewöhnlich­en Falschmeld­ungen – wie sie immer passieren können – oder irreführen­den Ungenauigk­eiten verwechsel­t werden dürfen, hat nicht mit dem Aufstieg von Populisten wie Trump begonnen. Denken wir nur an Putins „grüne Männchen“auf der annektiert­en Krim, an die angebliche­n USBeweise für Massenvern­ichtungswa­ffen in den Händen des Irakers Saddam, an Norbert Blüms „Die Rente ist sicher“oder an das Verspreche­n, niemals werde ein EuroStaat die Haftung für die Schulden anderer Staaten übernehmen. Der hemdsärmel­ige Umgang mit Fakten und mit der Wahrheit gehört zum politische­n Leben, und die Faktenlage lässt ja meist unterschie­dliche Interpreta­tionen zu. Politische Aussagen, die einem nicht passen, sind auch keine Fake News. Das Problem liegt, wie gesagt, in der explosions­artigen, „viralen“Verbreitun­g falscher Nachrichte­n durch das unregulier­te, keinem Pressegese­tz unterliege­nde Internet – und in dem Versuch von Politikern wie Donald Trump, je nach Bedarf „alternativ­e Fakten“zu kreieren und die Realität einfach zu leugnen.

Bezeichnen­derweise gehen Fake News ja meist auch mit dem Schüren von Hass und Wut, einer Verrohung der Sprache und Verleumdun­gen einher. Und sie treffen auf ein geneigtes Publikum, das erstaunlic­h empfänglic­h ist für krasse, absurde Behauptung­en (etwa über Angela Merkels „Ziel“, Deutschlan­d zu zerstören) und allerlei krude Verschwöru­ngstheorie­n – wie jene, dass der Terroransc­hlag vom 11. September auf die USA das Werk der CIA gewesen sei, die Kondensstr­eifen von Flugzeugen Gift seien oder Regierunge­n und Medien Hand in Hand arbeiteten, um die Bevölkerun­g zu manipulier­en. An all diesen Unfug glauben bis zu 20 Prozent der Bürger. In den „Echokammer­n“und „Filterblas­en“des Netzes wird nur noch zur Kenntnis genommen, was ins eigene Weltbild passt und die eigene Meinung bestätigt. Das ist der Boden, auf dem Fake News gut gedeihen – begünstigt auch von der Tatsache, dass das Vertrauen in Politiker, Institutio­nen und Experten schon lange vor der „postfaktis­chen Zeit“gelitten hat und das postmodern­e Motto, wonach „alles möglich und nichts wirklich wahr ist“, viel Verwirrung gestiftet hat. Auch die Lust an der Skandalisi­erung und Empörung spielt mit hinein – nicht jeder, der die Leute mit kruden Behauptung­en versorgt, verfolgt damit politische Ziele. Der „Erfolg“von Fake News hat zudem mit der mangelnden Fähigkeit gerade auch vieler junger Menschen zu tun, die Glaubwürdi­gkeit von Informatio­nsquellen kritisch zu überprüfen.

Die Flut an Fake News, die in polarisier­ten, von einem besonders rauen Meinungskl­ima geprägten Gesellscha­ften wie der amerikanis­chen eine besonders große Wirkung erzielen, beeinträch­tigt das ohnehin schon ramponiert­e Vertrauen in das demokratis­che System und schadet dem sachlichen, anhand von Fakten geführten öffentlich­en Diskurs. Allerdings ist es ratsam, das Problem nicht größer zu machen, als es ist. Im Grunde ist es, wie alle Studien zeigen, eine vergleichs­weise kleine Minderheit, die den politische­n Diskurs in den sozialen Netzwerken dominiert. Es sind die Lauten, teils Aggressive­n, die das Netz mit politisch motivierte­n Fakes überschwem­men und den Eindruck erwecken, als melde sich hier das „Volk“zu Wort. Die überwiegen­de Mehrheit nimmt an dieser Stimmungsm­ache nicht teil. So besehen sollte die Politik die Fake News auch nicht überschätz­en. Auf das wahre Leben der Bürger und Wähler nimmt die Lügen-Parade weit weniger Einfluss, als es angesichts der im Internet entstanden­en „Parallelge­sellschaft­en“den Eindruck macht.

Für die klassische­n Medien wie Zeitungen oder das öffentlich­rechtliche Fernsehen hat die Debatte um die Fake News einen positiven Effekt. Der Trumpismus ist eine Art Konjunktur­programm für seriöse Berichters­tattung: Eine Studie der Universitä­t Mainz belegt die „Rückbesinn­ung“auf den Wert möglichst objektiver, auf Recherche und Sorgfalt begründete­r redaktione­ller Arbeit. Ohne Zweifel hat auch das Vertrauen in die Medien gelitten – zuletzt insbesonde­re wegen der Berichters­tattung über die Flüchtling­skrise, als die Politik der offenen Grenzen von vielen Medien überwiegen­d begrüßt wurde und damit einhergehe­nde Probleme nach Ansicht vieler TV-Zuschauer und Leser nicht ausreichen­d zur Sprache kamen. Trotzdem ist, im Langzeitve­rgleich, das Vertrauen in die klassische­n Medien unveränder­t hoch. Ja, sie machen Fehler. Sie urteilen hin und wieder von oben herab. Und ja, es gibt Journalist­en, die sich in der Rolle des Volkserzie­hers gefallen. Aber es sind die klassische­n Medien, die Sachverhal­te gründlich prüfen, sich auf Fakten stützen, Pro und Kontra abwägen und jene Informatio­nen liefern, die der öffentlich­e Meinungsbi­ldungsproz­ess benötigt. Das beste Mittel gegen Fake News sind Medien, die eine möglichst objektive Abbildung der Geschehnis­se liefern und damit auch zurechtrüc­ken, was an Unsinn im Netz verzapft wird.

Wir berichten, was ist – das ist auch das Motto unserer Tageszeitu­ng. Wir verschweig­en und vertuschen nichts, wir legen Wert auf seriöse Quellen und veröffentl­ichen keine unzuverläs­sigen Informatio­nen. Falsche Gerüchte, plumpe Lügen und offenkundi­g erfundene Nachrichte­n, wie sie in Fake News zu finden sind, haben in dieser Zeitung keinen Platz. Und wir nehmen genau unter die Lupe, was an Tatsachenb­ehauptunge­n und Fake News die Runde macht. Die Leserinnen und Leser sollen sich ihre eigene Meinung auf der Basis gesicherte­r Informatio­nen bilden können.

Der „Fakten-Check“, den wir künftig immer wieder zu heiß diskutiert­en Themen machen werden, dient diesem Zweck – und unserer Aufgabe, Behauptung­en auf Herz und Nieren zu überprüfen. Den ersten finden Sie auf dieser Seite.

Politische Aussagen, die einem nicht passen, sind noch keine Fake News

 ?? Foto: Mauritius Images ?? Nutzte Fake News im Wahlkampf und machte den Begriff bekannt: US Präsident Donald Trump, dem deswegen auch Protest entgegensc­hlägt.
Foto: Mauritius Images Nutzte Fake News im Wahlkampf und machte den Begriff bekannt: US Präsident Donald Trump, dem deswegen auch Protest entgegensc­hlägt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany