Friedberger Allgemeine

„Ich konnte mich schon immer gut quälen“

Andreas Hellmann nahm als Schwimmer an Olympia 1972 teil. Heute arbeitet er als Lungenarzt. Dabei hing seine Karriere noch als Jugendlich­er am seidenen Faden / Serie (Teil 6)

- VON FLORIAN EISELE Foto: Ulrich Wagner

In seiner Praxis im Augsburger Diako erinnert nur wenig an die sportliche Vergangenh­eit von Andreas Hellmann: In einem der Sprechzimm­er des Lungenarzt­es hängt ein Plakat der Olympische­n Spiele 1972 in München. Hellmann war als Schwimmer Teil der deutschen Mannschaft. Über 100 und 200 Meter Brust schwamm er als 20-Jähriger um Medaillen. Er erlebte mit, wie Mark Spitz mit sieben Goldmedail­len olympische Geschichte schrieb, wurde ebenso Zeuge des Olympia-Attentats. Die einzigen Dinge, die ihm aus dieser Zeit geblieben sind, sind das Plakat und ein blauer Bademantel. „Der hängt in meinem Ferienhaus und löst sich allmählich auf“, sagt Hellmann.

Den Rest der Garderobe – unter anderem hellblaue und knallorang­e Jacketts vom Ausgehanzu­g des deutschen Teams – schmiss Hellmann

„Irgendwann habe ich mir gedacht: Weg mit dem alten Zeug.“Andreas Hellmann über die Olympiakle­idung

komplett weg. „Irgendwann hab ich mir gedacht: Weg mit dem alten Zeug. Dabei wäre das heute wahrschein­lich total modern“, lacht der 65-Jährige. Sonderlich wehmütig wirkt Hellmann 45 Jahre später nicht, wenn er über diese Zeit spricht. Vielmehr macht er Witze über sich selbst – etwa, wenn er über seine Bilanz bei den deutschen Meistersch­aften spricht: „Ich bin 17 Mal Dritter geworden und einmal Zweiter. Als ich Zweiter wurde, habe ich Bestzeit geschwomme­n – das hat mir nichts genützt, weil Walter Kusch auf der anderen Bahn einen Weltrekord aufgestell­t hat.“

Warum er überhaupt zum Schwimmen gekommen ist? „Das war wegen meines großen Bruders. Der ist wegen eines Mädchens in den Schwimmver­ein gegangen. Ich habe das gemacht, was kleine Brüder tun und bin auch mit.“Seine Mutter habe nie verstehen können, was er mit dem Sport will.

Vielleicht wirkt Hellmann deswegen so entspannt. Weil er weiß, wie sehr seine damalige Sportlerka­rriere, ja sogar sein Leben, am seidenen Faden hing: 1969, als 16-Jähriger, verschlepp­te er über Wochen einen Infekt und fing sich eine Enzephali- eine Gehirnentz­ündung, ein. „Ich bin nach einem Wettkampf einfach bewusstlos geworden und bin wochenlang nicht mehr aufgewacht.“Letztlich erholte sich Hellmann wieder komplett von der Krankheit – keine Selbstvers­tändlichke­it. Mehr noch: Die Floskel mancher Sportler, nach einer Verletzung stärker als zuvor zurückzuko­mmen, traf auf ihn zu. „Ich musste danach zwar ein Jahr Pause machen, aber ich bin in dieser Zeit um 20 Zentimeter gewachsen.“Die unglaublic­he Wendung: Nur zwei Jahre nach der Erkrankung wurde Hellmann bayerische­r Meister, ein Jahr später nahm er an Olympia teil.

Und noch eine Sache nahm Hellmann aus dieser Zeit mit: Der Arzt, der ihn damals auf der Kinder- und Jugendstat­ion behandelt hatte, gilt wegen dessen Einfühlsam­keit immer noch als Vorbild. Dass er Mediziner werden würde, war ihm immer klar gewesen: Als Arzt übernahm er die Augsburger Praxis seines Vaters und zog damit vor drei Jahren von der Grottenau ins Diako. Von seiner Zeit als Leistungss­portler habe er fürs Studium vor allem eine Sache mitnehmen können: die Fähigkeit, den inneren Schweinehu­nd zu überwinden.

„Ich konnte mich schon immer gut quälen“, sagt Hellmann. Ohne diese Bereitscha­ft wäre es mit der Doppelbela­stung mit Studium und Training wohl auch nicht machbar gewesen. „Zu meiner Studienzei­t in Würzburg habe ich mit der Mannschaft sechs Stunden am Tag trainiert.“Die ersten beiden Stunden im Wasser standen noch vor der erstis, ten Vorlesung an, der Rest über den Tag verteilt.

Vor allem vor den Morgeneinh­eiten grauste es ihm: „In aller Frühe in das kalte Wasser springen – das war so grässlich“, erinnert er sich. Das Studium wiederum bestand daraus, sich den Inhalt ins Gedächtnis zu pauken.

Ein Frühaufste­her ist Hellmann bis heute geblieben: Sein Tag beginnt um halb sechs Uhr morgens. Im hauseigene­n Fitnessstu­dio steigt er erst einmal eine gute halbe Stunde auf das Laufrad, um die Zeitung zu lesen. Schwimmen? Das ist nichts mehr für ihn. Das letzte Mal ging er vor zwei oder drei Jahren ins Becken: „Ich weiß ja noch, wie’s geht und habe auch den Anspruch an mich, das möglichst gut zu machen. Dann bin ich 50 Meter geschwomih­m men – und war halb tot.“Und mit entspannte­m Planschen will sich der ehemalige Olympia-Teilnehmer eben nicht begnügen.

Sein neues Hobby ist das Radfahren. Mit den Mitglieder­n seiner Praxis nimmt er jedes Jahr am Dolomiten-Marathon, einem Radrennen in Südtirol, teil. „Die Jüngeren fahren mir da natürlich auch da davon“, sagt er und fügt mit einem Grinsen hinzu: „Aber sobald es auf die Berge hin zugeht und es darauf ankommt, sich durchzubei­ßen – da schlägt meine Stunde.“

In unserer Serie stellen wir erfolgrei che Sportler vor, die nach dem Ende ih rer Laufbahn nicht im Fach bleiben und Trainer oder Manager werden, sondern in einem anderen Bereich Karriere machen. Mit Andreas Hellmann endet die Serie.

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Andreas Hellmann war früher Schwimmer aus Leidenscha­ft und schwamm bei Olympia 1972. Heute ist er Arzt aus Leidenscha­ft.

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