Friedberger Allgemeine

Vom Volontär zum Friedbär

Mit einer Aktion verwandelt Rose Maier Haid die Friedberge­r Altstadt in einen Kunstraum. 50 blaue Gestalten ziehen durch die Straßen. Mit dabei: unsere Reporterin Felicitas Lachmayr. Sie erzählt, wie es ist ein Bär zu sein

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Friedberg Kurz bin ich irritiert, als es heißt, ich solle mich zum Friedbären schminken lassen und zehn Minuten wie versteiner­t in der Ludwigstra­ße stehen. Aber nach ein paar Sekunden Kopfkino begeistert mich die Idee. Einmal Teil einer Kunstaktio­n zu sein, die Reaktionen der Leute wahrnehmen, einfach mal still stehen, das klingt verlockend. Mit entspreche­nder Vorfreude radle ich morgens zur Friedberge­r Kunstschul­e. Schon vor der Tür kommen mir die ersten blau geschminkt­en Gestalten entgegen. Drinnen ist der Bär los. Ein Durcheinan­der aus blauen Gesichtern, in der einen Ecke stülpt sich ein kleiner Friedbär schon seine Mütze über den Kopf, wäh- am anderen Ende des Raums noch fleißig gepinselt wird. Ich bahne mir einen Weg durch das Meer an Blau in Richtung Schminktis­ch. Kaum habe ich einen Platz ergattert, tupft mir Maria, die vor mir schon 20 andere zum Bären gemacht hat, mit einem feuchten Schwamm die blaue Farbe ins Gesicht. „Fühlt sich gut an“, finde ich. „Freu dich nicht zu früh, das muss erst mal trocknen“, antwortet sie lachend. Neben mir sitzt Jessica. Sie wirkt im Gegensatz zu mir recht routiniert. „Ich war letztes Jahr schon mal dabei“, erzählt die Achtjährig­e. Rose Maier Haid veranstalt­et die Aktion der Menschensk­ulpturen zum vierten Mal. Sie will damit Menschen aktivieren, selber Kunst zu gestalten. Gespannt sitzt Jessica da und lässt sich schminken. „Ich sehe gruselig aus, mehr wie ein Hase“, ruft sie Blick in den Spiegel. Da streift ihr Maria noch einmal mit dem Pinsel durchs Gesicht. Ein zartes Schnurrhaa­r hier, ein paar Tupfer da – und schon wird Jessica ein zufriedene­r Bär.

„Gleich geht es los“, ruft Rose Maier Haid. Kurzes Gewusel. Noch schnell die Tasche in die Ecke geworfen, die blaue Mütze mit den Bommelohre­n aufgesetzt, und schon marschiere ich mit 50 anderen blauen Bären in Richtung Ludwigstra­ße. Die Blicke, die uns begegnen, reichen von irritiert bis freundlich lächelnd. Leichte Nervosität macht sich in mir breit. Doch viel Zeit für aufgeregte­s Kopfkino ist nicht. In Windeseile verteilen sich die Friedbären in der Straße. Sitzend, stehend, mit Banner oder Bärenfigur. Ich schnappe mir einen cool dreinblick­enden Holzbären und platziere mich neben ihm. Ein schattiges Plätzchen gegenüber der Kirche. Hier lässt es sich gut stehen, denke ich. Da drückt mir Maier Haid plötzlich eine Ratsche in die Hand. „Bring die mal schnell zu den anderend ren dort hinten, damit alle hören, wann es so weit ist“, sagt sie. Noch eine Minute. Ich sprinte los. Auf dem Rückweg rattern schon die Ratschen, da schlägt die Kirchturmu­hr elf.

Mit einem Mal verharren alle Bären regungslos. Ein seltsames Gefühl. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemals so versteiner­t war. Vielleicht mit Fünf, als ich einem grantigen Krampus gegenübers­tand, der mir erklärte, ich sei frech gewesen. Jetzt weiß ich endlich, wie sich all die menschlich­en Skulpturen fühlen, die in Fußgängerz­onen stehen und nur gegen einen kleinen Obolus aus ihrer versteiner­ten Pose schlüpfen. Nach fünf Minuten linse ich auf die Kirchturmu­hr. Ein Haar streift mir übers Gesicht, es juckt, aber ich wahre Haltung. Auf der anderen Straßensei­te stehen Lenny und Tom, die Bärenzwill­inge. Auch sie bewegen sich keinen Zentimeter.

Zahlreiche Menschen laufen an uns vorbei, schauen interessie­rt, bleiben kurz stehen oder gehen verwundert weiter. Ich will mich bewebeim gen, nur einmal kurz den Arm heben. Da ertönt die Ratsche, die zehn Minuten sind um, die menschlich­en Skulpturen erwachen wieder zum Leben.

Einmal kräftig schütteln, ein Eis schlecken, einen Schluck trinken und schon startet die zweite Runde. Diesmal im Sitzen, denke ich und lasse mich auf einer Bank nieder, während der elfjährige Emil meinen Holzbären kapert. Mit einer Spraydose in der Hand kniet er vor der Skulptur. „Das könnte unbequem werden, aber ich bleibe mal so“, sagt er – und schon schlägt es 12 Uhr. Auf einen Schlag sind wieder alle Bären wie versteiner­t. Im Augenwinke­l erkenne ich die skeptische­n Blicke einer Frau, die sich neben mich setzt. Ein kleines Kind winkt mir zu. Zurückwink­en ist nicht, nur ein kurzes Zwinkern gönne ich mir. Schließlic­h bin ich ja jetzt ein erfahrener Friedbär ...

Bilder von der Aktion Bei uns im Internet unter friedberge­r allgemeine.de/bilder

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Vorsichtig­er fah ren, lautete die Bot schaft dieses Friedbärs.

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