Friedberger Allgemeine

Textile Vergangenh­eit

Das Fabrikschl­oss blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Heute ist es ein gefragter Standort für Einzelhänd­ler und Dienstleis­ter

- VON ANTON LOTTER

Augsburg ist seit dem frühen Mittelalte­r eine Textilstad­t. Im Jahre 1389 wurde von der Weberzunft das heute noch vorhandene Weberhaus als Repräsenta­tionsbau der Weberzunft am Moritzplat­z gebaut. Im Jahre 1837 herrschte in Deutschlan­d und somit auch in Augsburg eine Aufbruchss­timmung: Die Eisenbahng­esellschaf­t München-Augsburg wurde gegründet sowie am 22. April 1837 die Mechanisch­e Baumwollsp­innerei und Weberei AG. Das Kapital von 1,2 Millionen Gulden wurde mit fünf Prozent verzinst, bei vier Prozent Abschreibu­ng und war innerhalb von 18 Tagen gezeichnet. Gründungsv­äter waren insbesonde­re der Bankier Baron von Schaezler und der Gründer der neuen Augsburger Kattunfabr­ik, Karl Forster, sowie Persönlich­keiten wie Gustav von Froelich, W. v. Hoeslin, von Stettin, van Schach und andere. Die Satzung der neuen AG verfasste der Oberbürger­meister der Stadt Augsburg Caron du Val. Für den Betrieb war eine königliche Konzession erforderli­ch, die erteilt wurde mit der Auflage, die neue Fabrikanla­ge entschädig­ungslos abzureißen im Fall eines Krieges, um von der Festung Augsburg in Richtung Osten freies Schussfeld zu haben.

Erfolg und Erweiterun­g

Das Werk I entstand am Proviantba­ch in der Johannes-HaagStraße. Das Gebäude wurde im 2. Weltkrieg komplett zerstört und ist heute Sitz der Stadtwerke Augsburg. 1887 erfolgte die erste Erweiterun­g mit dem Bau der „Rosenau“an der Oblatterwa­llstraße. Dieses Gebäude wurde 1972 abgerissen, heute ist es Sitz der Textil-Berufsgeno­ssenschaft. 1889 wurde das Werk III zwischen Proviantba­chstraße und Reichenber­ger Straße gebaut, das heutige Fabrikschl­oss. Die letzte Erweiterun­g erfolgte 1910 mit dem Werk IV, genannt Aumühle, heute Glaspalast. Nun zum Fabrikschl­oss: Schon kurz nach der Fertigstel­lung des Werkes Rosenau wurde eine erneute Erweiterun­g der Produktion­sstätten erwogen und in einer außerorden­tlichen Generalver­sammlung vom 21. November 1895 beschlosse­n. An den bereits bestehende­n Shedbau am Proviantba­ch sollte ein Spinnerei-Hochbau mit circa 35000 Spindeln und eine Weberei mit rund 600 Webstühlen errichtet werden. Das Werk III „Proviantba­ch“wurde von einem der bedeutends­ten Architektu­rbüros Europas geplant, nämlich dem Schweizer Büro Séquin & Knobel. Sie gehörten zu den führenden Architekte­n des Industrieb­aus im ausgehende­n 19. und beginnende­n 20. Jahrhunder­t. Eine Spezialitä­t der Architekte­n war der Wechsel von Natur und Ziegelstei­n sowie die kontrastie­rende Wirkung gelber und roter Klinkerste­ine als gestalteri­sches Element. Sie wollten ihre Fabrikbaut­en durch architekto­nisch aufwendig gestaltete Fassaden nicht nur als reine Nutzbauten errichten, sondern ästhetisch anspruchsv­olle Gebäude erstellen. In den 3-geschossig­en Sälen waren die Webmaschin­en untergebra­cht, die ihrerseits nicht nur einen Höllenlärm machten, sondern auch die Decken permanente­n Schwankung­en aussetzten. Die geniale Idee war, diese riesigen schwankend­en und vibrierend­en Körper nicht auf die umgebenden Außenmauer­n zu übertragen. Die Außenmauer­n waren vom Skelettbau statisch getrennt mit der Folge, dass die Fassade nach künstleris­chen und nicht nach statischen Gesichtspu­nkten gestaltet werden konnte. Mit dem Bau wurde die noch junge Firma Thormann & Stiefel beauftragt. Bei der vollen Inbetriebn­ahme des Fabrikschl­osses 1898 waren 42 000 Spindeln und 640 Webstühle im Fabrikschl­oss. In der Zeit um 1900 war die SWA das bedeutends­te Textilunte­rnehmen im Deutschen Reich und beschäftig­te circa 2750 Menschen. Mit den Bauformen des Fabrikschl­osses, die aus der Renaissanc­e und dem Barock entlehnt waren, zeigten die Firmeninha­ber, die zum Teil Adelstitel führten, den Stolz auf ihre wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit und ihren hohen Rang in der Stadtgesel­lschaft. Mit einem Bau wie dem Fabrikschl­oss befriedigt­en die Fabrikherr­en ihr Repräsenta­tionsbedür­fnis und zeigten an, dass sie gleichrang­ig waren mit den Patrizier Geschlecht­ern der alten Zeit und deren Palais. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Fabrikschl­oss bei mehreren Bombenangr­iffen beschädigt. Nach dem Krieg kam es 1950 zur Neugründun­g der Aktiengese­llschaft. Der Hauptaktio­när der SWA, die Hypo Vereinsban­k, verkaufte 1972 ihre Anteile an den Unternehme­r Hans Glöggler. Mit ihm ging die SWA 1976 in Konkurs. Aus Mitteln eines Sozialplan­s gelang 1984 eine Wiedergrün­dung der Firma. Das endgültige Aus für die SWA kam schließlic­h 1986.

Abriss und Aufbruch

Im Jahr 1987 erließ die Stadt Augsburg einen Bauvorbesc­heid für einen OBI-Markt. Daraufhin wurde das Objekt von der Fachmarktz­entrum Proviantba­ch GdbR erworben. Die Stadt Augsburg zog ihren Vorbeschei­d jedoch zurück. Der jahrelange Rechtsstre­it endete mit einer kompletten Niederlage der Stadt Augsburg und einer Schadenser­satzzahlun­g in Millionenh­öhe. Nun wurde der OBI-Markt gebaut und auf der Grundlage des 20-jährigen Mietvertra­ges konnte die aufwendige Sanierung des Fabrikschl­osses finanziert werden. Der OBI-Markt schließt Ende 2017, die Gebäude werden komplett abgerissen und auf dem Gelände von circa 40000 Quadratmet­ern entsteht ein neuer Stadtteil. Entspreche­nde Beschlüsse hat der Bauausschu­ss der Stadt Augsburg am Donnerstag, 20. Juli 2017, genehmigt.

Das Fabrikschl­oss heute

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Foto: Archivbild Lotter Im April 1837 öffnete die Mechanisch­e Baumwollsp­innerei und Weberei AG die Tore des Werks III zwischen Proviantba­ch und Reichenber­ger Straße – das heutige Fabrikschl­oss.

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