Textile Vergangenheit
Das Fabrikschloss blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Heute ist es ein gefragter Standort für Einzelhändler und Dienstleister
Augsburg ist seit dem frühen Mittelalter eine Textilstadt. Im Jahre 1389 wurde von der Weberzunft das heute noch vorhandene Weberhaus als Repräsentationsbau der Weberzunft am Moritzplatz gebaut. Im Jahre 1837 herrschte in Deutschland und somit auch in Augsburg eine Aufbruchsstimmung: Die Eisenbahngesellschaft München-Augsburg wurde gegründet sowie am 22. April 1837 die Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei AG. Das Kapital von 1,2 Millionen Gulden wurde mit fünf Prozent verzinst, bei vier Prozent Abschreibung und war innerhalb von 18 Tagen gezeichnet. Gründungsväter waren insbesondere der Bankier Baron von Schaezler und der Gründer der neuen Augsburger Kattunfabrik, Karl Forster, sowie Persönlichkeiten wie Gustav von Froelich, W. v. Hoeslin, von Stettin, van Schach und andere. Die Satzung der neuen AG verfasste der Oberbürgermeister der Stadt Augsburg Caron du Val. Für den Betrieb war eine königliche Konzession erforderlich, die erteilt wurde mit der Auflage, die neue Fabrikanlage entschädigungslos abzureißen im Fall eines Krieges, um von der Festung Augsburg in Richtung Osten freies Schussfeld zu haben.
Erfolg und Erweiterung
Das Werk I entstand am Proviantbach in der Johannes-HaagStraße. Das Gebäude wurde im 2. Weltkrieg komplett zerstört und ist heute Sitz der Stadtwerke Augsburg. 1887 erfolgte die erste Erweiterung mit dem Bau der „Rosenau“an der Oblatterwallstraße. Dieses Gebäude wurde 1972 abgerissen, heute ist es Sitz der Textil-Berufsgenossenschaft. 1889 wurde das Werk III zwischen Proviantbachstraße und Reichenberger Straße gebaut, das heutige Fabrikschloss. Die letzte Erweiterung erfolgte 1910 mit dem Werk IV, genannt Aumühle, heute Glaspalast. Nun zum Fabrikschloss: Schon kurz nach der Fertigstellung des Werkes Rosenau wurde eine erneute Erweiterung der Produktionsstätten erwogen und in einer außerordentlichen Generalversammlung vom 21. November 1895 beschlossen. An den bereits bestehenden Shedbau am Proviantbach sollte ein Spinnerei-Hochbau mit circa 35000 Spindeln und eine Weberei mit rund 600 Webstühlen errichtet werden. Das Werk III „Proviantbach“wurde von einem der bedeutendsten Architekturbüros Europas geplant, nämlich dem Schweizer Büro Séquin & Knobel. Sie gehörten zu den führenden Architekten des Industriebaus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Eine Spezialität der Architekten war der Wechsel von Natur und Ziegelstein sowie die kontrastierende Wirkung gelber und roter Klinkersteine als gestalterisches Element. Sie wollten ihre Fabrikbauten durch architektonisch aufwendig gestaltete Fassaden nicht nur als reine Nutzbauten errichten, sondern ästhetisch anspruchsvolle Gebäude erstellen. In den 3-geschossigen Sälen waren die Webmaschinen untergebracht, die ihrerseits nicht nur einen Höllenlärm machten, sondern auch die Decken permanenten Schwankungen aussetzten. Die geniale Idee war, diese riesigen schwankenden und vibrierenden Körper nicht auf die umgebenden Außenmauern zu übertragen. Die Außenmauern waren vom Skelettbau statisch getrennt mit der Folge, dass die Fassade nach künstlerischen und nicht nach statischen Gesichtspunkten gestaltet werden konnte. Mit dem Bau wurde die noch junge Firma Thormann & Stiefel beauftragt. Bei der vollen Inbetriebnahme des Fabrikschlosses 1898 waren 42 000 Spindeln und 640 Webstühle im Fabrikschloss. In der Zeit um 1900 war die SWA das bedeutendste Textilunternehmen im Deutschen Reich und beschäftigte circa 2750 Menschen. Mit den Bauformen des Fabrikschlosses, die aus der Renaissance und dem Barock entlehnt waren, zeigten die Firmeninhaber, die zum Teil Adelstitel führten, den Stolz auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ihren hohen Rang in der Stadtgesellschaft. Mit einem Bau wie dem Fabrikschloss befriedigten die Fabrikherren ihr Repräsentationsbedürfnis und zeigten an, dass sie gleichrangig waren mit den Patrizier Geschlechtern der alten Zeit und deren Palais. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Fabrikschloss bei mehreren Bombenangriffen beschädigt. Nach dem Krieg kam es 1950 zur Neugründung der Aktiengesellschaft. Der Hauptaktionär der SWA, die Hypo Vereinsbank, verkaufte 1972 ihre Anteile an den Unternehmer Hans Glöggler. Mit ihm ging die SWA 1976 in Konkurs. Aus Mitteln eines Sozialplans gelang 1984 eine Wiedergründung der Firma. Das endgültige Aus für die SWA kam schließlich 1986.
Abriss und Aufbruch
Im Jahr 1987 erließ die Stadt Augsburg einen Bauvorbescheid für einen OBI-Markt. Daraufhin wurde das Objekt von der Fachmarktzentrum Proviantbach GdbR erworben. Die Stadt Augsburg zog ihren Vorbescheid jedoch zurück. Der jahrelange Rechtsstreit endete mit einer kompletten Niederlage der Stadt Augsburg und einer Schadensersatzzahlung in Millionenhöhe. Nun wurde der OBI-Markt gebaut und auf der Grundlage des 20-jährigen Mietvertrages konnte die aufwendige Sanierung des Fabrikschlosses finanziert werden. Der OBI-Markt schließt Ende 2017, die Gebäude werden komplett abgerissen und auf dem Gelände von circa 40000 Quadratmetern entsteht ein neuer Stadtteil. Entsprechende Beschlüsse hat der Bauausschuss der Stadt Augsburg am Donnerstag, 20. Juli 2017, genehmigt.
Das Fabrikschloss heute