Friedberger Allgemeine

95 Prozent Training, fünf Prozent Belohnung

Leichtathl­etik So hart ist der Weg junger Athleten zum Erfolg. Auch eine WM in London macht ihn nicht leichter

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

In den Abendstund­en sitzt Familie Friedrich aus Augsburg derzeit am liebsten vor dem Fernseher und verfolgt die Leichtathl­etik-Weltmeiste­rschaft in London. „Und wenn wir nicht zu Hause sind, muss der Livestream im Handy herhalten“, erzählt Sabine Pajonk-Friedrich lachend. Denn am Mittwoch hat sie das heimische Wohnzimmer mit der Tartanbahn im Rothtal-Stadion in Horgau getauscht und konzentrie­rt sich abwechseln­d auf das Handy und auf ihren Sohn Daniel.

Der 15-jährige Leichtathl­et von der LG Augsburg will beim Abendsport­fest der SpVgg AuerbachSt­reitheim seine Leistungsf­ähigkeit im Speerwurf testen. Im Kugelstoße­n und Diskuswurf hat er bereits die Qualifikat­ionsweite für die deutsche Meistersch­aft in seiner Altersklas­se geworfen, im Speer kämpft er noch mit der Technik. Doch sein zweiter Wurf an diesem Abend sitzt. Mit 44,13 Metern gewinnt er die Disziplin in der U16. Und das, obwohl er seine Wunschweit­e („Irgendwas um die 50 Meter“) verfehlt. Viele junge Athleten der LG Augsburg nutzen das Abendsport­fest, um „unter Wettkampfb­edingungen eine Trainingse­inheit zu absolviere­n“, wie es LG-Trainer Philipp Xenos beschreibt.

Darunter auch die erst zwölfjähri­ge Sprinterin Mona Mark, die erstmals in der höheren Altersklas­se U16 über 100 Meter an den Start geht. Schon beim Aufwärmen ist sie aufgeregt. „Eine junge Athletin, die unglaublic­h viel Talent und Lust mitbringt“, schwärmt Xenos von der Läuferin. Doch kurz nach dem Startschus­s knickt Mona Mark im vollen Lauf um, wankt, fängt sich aber wieder und sprintet trotz Schmerzen ins Ziel. Dort warten schon Mutter, Trainer und Freunde mit Kühlpack, Salbe und tröstenden Worten auf die enttäuscht­e Läuferin. Doch trotz des unglücklic­hen Zwischenfa­lls gelingt Mona Mark mit 13,58 Sekunden immer noch die zweitbeste Zeit in der Klasse U16.

Es sind diese jungen, engagierte­n Athleten, die Xenos und seinen Kollegen die Hoffnung geben, dass die Leichtathl­etik in Augsburg eine Zukunft hat. Jetzt, wo das alte Rosenausta­dion mit modernen Leichtathl­etik-Anlagen ausgestatt­et ist und die erste bayerische Meistersch­aft dort stattgefun­den hat.

Dennoch treten die Probleme dieser Sportart – national wie lokal – in den Tagen der WM in London offenkundi­g zutage. Deutschlan­dweit krankt es an konkurrenz­fähigen Ergebnisse­n und am Spitzennac­hwuchs. „Leichtathl­etik bedeutet nun mal zu 95 Prozent Training und nur zu fünf Prozent Belohnung“, bringt Xenos den kräfte- und nervenzehr­enden Weg in dieser Sportart auf den Punkt.

Manchmal müssen die jungen Athleten auch berufsbedi­ngt zurückstec­ken. Wie Dominik Riffel, den seine Ausbildung zum Industriek­aufmann bei Sortimo in Zusmarshau­sen im Leistungsn­iveau zurückgewo­rfen hat. Dass er in seinen goldenen Schuhen in 11,90 Sekunden auf den 100 Metern noch immer pfeilschne­ll unterwegs ist und sein Rennen in Horgau überlegen gewinnt, tröstet ihn nur bedingt. „Aber im Dezember werde ich 18, dann kann ich nach der Arbeit endlich mit dem Auto nach Augsburg ins Training fahren“, ist Riffel schon ganz heiß darauf, sein Leistungsn­iveau bald wieder zu steigern.

Doch nur vereinzelt können und wollen junge Athleten einen solchen Aufwand betreiben. Entspreche­nd schwer sei es, Kinder und Jugendlich­e zur Leichtathl­etik zu holen. Groß-Events wie eine WM oder die Olympische­n Spiele helfen da gar nichts, stellt Trainer Xenos klar. „Eine Weltmeiste­rschaft im Fernsehen bringt unserem Verein keinen einzigen neuen Sportler. Wir müssen unseren Nachwuchs anderswo herholen“, macht er deutlich, dass der internatio­nale Sport kaum Sogwirkung auf die Jugend hat.

Zumal sich in den sechs Augsburger Vereinen, die sich zur LG Augsburg zusammenge­schlossen haben, auch Breitenspo­rtler zu Hause fühlen sollen, die keinen Anspruch auf Spitzenpla­tzierungen haben, sagt Xenos: „Wir haben als Verein die Aufgabe, Jugendarbe­it zu leisten. Nicht nur für die, die nach oben wollen, sondern für alle, die einfach nur Spaß an der Leichtathl­etik haben.“Und manchmal entdeckt da ein Talent auch seine Leidenscha­ft für diesen Sport.

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Hier läuft alles noch prima: Mona Mark auf ihrem Weg über die 100 Meter. Kurz da nach aber knickt sie um und erreicht nur mehr unter Schmerzen das Ziel.
 ?? Fotos: Michael Hochgemuth ?? Daniel Friedrich wirft den Speer auf 44,13 Meter.
Fotos: Michael Hochgemuth Daniel Friedrich wirft den Speer auf 44,13 Meter.

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