Die Aufgabe diese Woche:
Mit einem Schlauchboot auf der Schmutter bis zur Donau fahren. Maskottchen Herbert wohlbehalten zurückbringen. Ihn mit einem Brückenheiligen fotografieren und mit einem Fremden ein Seemannslied singen. Na dann los! Unterwegs in Folge 3: Michael Schreiner
Das Boot ist Made in China, es ist knallrot, zugelassen für maximal 200 kg Besatzung. Vier Luftkammern! Weltniveau. Auf dem Karton steht auch „Bateau pneumatique“, was doch fast schon wie Romantik klingt. Die beiden putzigen Paddel zum Zusammenschrauben sind etwas größer als die bunten Plastiklöffelchen, die es in der Eisdiele gibt. Sie werden sich später aber nicht nur auf der trägen Schmutter, sondern auch in der Uferböschung bewähren – als Macheten im Brennnesseldschungel.
Schlauchboote haben etwas Lächerliches, Klappfahrradmäßiges – irgendwie vermuten die Leute gerne Dilettanten, Freizeitclowns und Blauäugige darin. Und genau das sind wir: ahnungslose Amateure, die auf der Schmutter bis zur Donau fahren wollen. Einstieg auf Höhe Kloster Holzen ca. 10.45 Uhr. Ungefähr 15 Flusskilometer liegen vor uns, haben wir am Computer sehr grob über den Daumen gepeilt…
Aus der Wundertüte Internet haben wir auch unser übriges Wissen über die Schmutter: Gewässer zweiter Ordnung (was auch immer das heißt), 76 oder 96 Kilometer lang (die Angaben schwanken), Quelle in den Stauden (irgendwo zwischen Mindelheim und Schwabmünchen); vor allem aber: Pegelstand Druisheim seit einer Woche ständig über 40 Zentimeter – schiffbar! Dass dieses Abenteuer in nicht wenigen Abschnitten eine Wanderung werden wird, ein Schlauchbootgeschleppe und -gezerre neben dem Wasser, an Maisfeldern vorbei, durch Dörfer und über Wiesen: Das war da noch nicht abzusehen. Vielleicht war es ein Fehler, dass unsere Vorbereitung im Wesentlichen darin bestand, als Ziel der Reise den Biergarten Gumpp auszuwählen. Aber dazu später mehr. Zum Gumpp, wie wir dahin gelangt sind und weshalb wir überm Bier fast eingeschlafen sind.
Jetzt gilt es erst einmal, dieses signalrote Stück Plastik zu dreidimensionaler Form aufzupumpen. Vier Kammern, haben wir das schon erwähnt? Danach ist die Lust groß, gleich ohne Boot ins Wasser zu springen. Heiß! Aber wer weiß schon, was noch kommt. Und dann gleich am Anfang nasse Klamotten? Stattdessen also den Einstieg ins Abenteuer gesucht, das hinter einer Mauer aus Brennneseln, Stauden und Dornen lockt. Zwischen zwei Bäumen, bei Kilometer 16 gleitet das Boot schließlich ins Wasser. Aber wie kommt man jetzt hinein? Es geht, irgendwie – und geht später immer besser. Die Schuhe sind schon nass, aber das ist egal. Nichts hält uns jetzt auf. Leinen los!
An der Schmutter aber, das erweist sich bald in der gelebten Schlauchbootrealität, gibt es etwa dreimal so viele Wehre wie Graureiher – und wir haben alleine sechs gesehen, wie sie majestätisch davonfliegen. Großartiger Anblick. Überhaupt: Wäre alles so prächtig wie die Tierwelt an diesem Tag, wir hätten am Ende keinen Grund, uns wie Versager zu fühlen. Es gibt schöne blaue Libellen, auch grüne. Habicht, Buntspecht und eine Wild- gans mit roter Brille lassen sich blicken. Sogar ein Eisvogel stürzt sich, wie ein irisierend leuchtender Edelstein, vor uns aus dem Uferdickicht – um Sekunden später wieder von ihm verschluckt zu werden. All diese Herrlichkeiten sieht man, wenn man auf der Schmutter dahinfährt. Also in unserem Falle: Immer wieder mal, kurzzeitig, abschnittsweise. Das sind die Euphorie-Kapitel Geschichte. Die anderen handeln zum Beispiel davon, dass das 12-Uhr-Läuten von der Klosterkirche Holzen noch immer sehr, sehr nah klingt. Sie handeln von Matsch, Bremsen, Ratten unter einer Brücke und der Hilflosigkeit gegenüber dem Material Made in China.
Wir könnten erzählen von einem Elektrozaun, den wir sicher überqueren – autsch! Doch nicht. Und dann kommt, wenn die Schmutter keinen Lauf hat und wir Schmutterfahrer zwangsläufig ebenfalls nicht, auch noch Pech dazu. Wir stehen in Druisheim mit unserem Schlauchboot an der „Kapelle zur schmerzhaften Muttergottes“vor verschlossenen Türen. Unter der Nummer, die man anrufen soll, um die Deckengemälde von Matthäus Günther bewundern zu können, hebt niedieser mand ab. Die Schmutter, schiffbar? Wir fühlen uns klappradmäßig, irgendwie. Einmal, es regnet und Insektenzeug krabbelt auf der feuchten Haut, wir mit dem roten Schlauchboot mal wieder neben der Schmutter an Land unterwegs, denken wir an Klaus Kinski, der in Fitzgeraldo einen Wahnsinnigen spielt, der ein Schiff durch den Dschungel ziehen lässt ... Schmerzhaft.