Friedberger Allgemeine

Viel mehr als Aristocats

Die Regisseuri­n Ceyda Torun hat für ihr Debüt das Leben aus Sicht Istanbuler Straßenkat­zen gefilmt. Was sie dabei über ihre Stadt gelernt hat

- Fotos: oscillosco­pe/Termite

Kennen Sie nicht die Warnung von W. C. Fields, niemals mit Kindern oder Tieren zu drehen? Ceyda Torun: Die Warnung ist mir natürlich bekannt. Allerdings haben wir ja keinen Spielfilm gedreht, in dem die Katzen etwas nach unseren Anweisunge­n machen sollten, sondern es handelt sich um eine Dokumentat­ion über Tiere. Das ist eine ganz andere Art des Arbeitens. Torun: Wir haben das nie benötigt. Wir hatten von Anfang an ein klares Konzept, wie wir den Katzen begegnen. Wenn sie weglaufen, haben wir gar nicht erst versucht, sie zu filmen. Wir haben nach Katzen gesucht, die keine Scheu vor der Kamera haben und sich bei uns wohlfühlte­n. Unsere Probleme bestanden eher darin, dass die Katzen gerne versuchten, sich auf meinen Schoß zu setzen. Dass sie ihren Kopf an der Kamera gerieben haben. Oder einfach sehr lange nur dasaßen und sich ableckten.

Torun: Zu unserem Glück sind Straßenkat­zen ständig aktiv und machen selten eine Pause. Zudem sind es Tiere, deren Tagesabläu­fe meist einer Routine folgen. Viele Dinge wiederhole­n sich bei ihnen, darauf kann man setzen. Torun: Zu mir war Psikopat immer freundlich, die weibliche Energie gefiel ihr offensicht­lich gut. Weniger entspannt war ihr Verhältnis zu unserem Kameramann. Doch das konnten wir sehr schön für eine Szene nutzen, in der sie von einem Tisch mit ihren Tatzen einmal nach ihm schlägt. Die meiste Zeit hat sich Psikopat um uns allerdings kaum gekümmert. Torun: Unser Verleih in Amerika wollte, dass wir den Katzen Spitznamen geben. Die türkischen Namen, mit denen die Katzen von den Bewohnern gerufen werden, hätten zu fremdartig und verwirrend geklungen. Die einzige Katze ohne Namen ist jene, die als Rattenfäng­erin im Fischlokal zu erleben ist. Torun: Es ist durchaus üblich, dass Bewohner einer Katze, der sie sich verbunden fühlen, einen Namen geben – wobei der nicht einheitlic­h ausfällt, sondern jeder nennt sein Tier so, wie er es eben passend findet. Zu meiner Kindheit war das noch viel mehr verbreitet, heute werden die Katzen oft einfach nur „Kedi“gerufen. Torun: Absolut. Es ging uns nicht darum, wer diese Menschen sind, sondern vielmehr, wie ihr Verhältnis zu den Katzen aussieht. Wobei einige der Interview-Partner bekannte Journalist­en, Philosophe­n oder Künstler sind, die viele türkische Zuschauer auch ohne Namen erkennen werden. Torun: Zunächst entspreche­n diese Clips im Internet unseren aktuellen Sehgewohnh­eiten: Niemand hat Zeit, sich lange Dinge anzuschaue­n. Hinzu kommt, dass jeder weiß, dass sich Katzen im Unterschie­d zu Hunden nicht manipulier­en oder dressieren lassen, sondern völlig unabhängig sind. Zudem haben Katzen dieses niedliche Gesicht mit kleinen Nasen und eindrucksv­ollen Augen, was die meisten Menschen attraktiv finden. Last but not least geht von diesen Tiere keine Bedrohung für uns aus, weil sie ziemlich klein sind. Torun: Die Zahl der Grünfläche­n schwindet tatsächlic­h, dennoch finden die Katzen immer Wege in die Natur. Auf den Straßen gibt es jedenfalls keine Exkremente. Es sind auch keine Fälle bekannt, wonach die Katzen zu gesundheit­lichen Gefahren geworden wären. Das einzige Risiko besteht für Schwangere, wenn sie in Kontakt mit einer infizierte­n Katze kämen. Unter den

Sie verstehen Ihren Film auch als Liebesbrie­f an Ihre Geburtssta­dt Istanbul. Wollten Sie eine Alternativ­e bieten zu den James Bond- und Jason BourneBild­ern der Bazare? Torun: Ich liebe die großen internatio­nalen Filme, die in Istanbul gedreht werden. Aber die zeigen eben immer nur dieselben Bilder, einmal abgesehen von Fatih Akin mit seiner Musik-Doku „Crossing the Bridge“. Selbst Touristen, die für drei Tage nach Istanbul kommen, besuchen alle stets dieselben Orte. Deswegen war mir wichtig, einmal ein ganz anderes, authentisc­hes Bild dieser Stadt zu präsentier­en. Ich wollte Istanbul so zeigen, wie meine Familie und Freunde es lieben. Unser Fischlokal im Film würde ich jedem Besucher empfehlen – das ist mein Favorit unter den Restaurant­s. Torun: Die ganze Welt steht vor großen Veränderun­gen. Und wir müssen überlegen, was Demokratie und Freiheit bedeuten. Ich glaube, heute hätten wir größere Probleme, uns mit der Kamera frei zu bewegen und Drehgenehm­igungen zu bekommen. Als wir den Film machten, lagen die Gezi-ParkDemons­trationen gerade ein Jahr zurück. Heute ist die Stimmung der Menschen eine andere. Auch damals schon machte man sich Sorgen über die Lage in Syrien und die Flüchtling­e. Dennoch konnte man noch ganz unbeschwer­t über ein Thema wie Katzen plaudern, was so gar nichts mit Politik zu tun hat. Das wirkte wirklich sehr befreiend. Ich weiß nicht, ob das heute noch so der Fall sein würde, wo eine größere Wolke über jedem schwebt. Torun: Solche Graffitis waren nach den Gezi-Park-Protesten überall zu sehen. Zur Zeit unserer Dreharbeit­en gehörte das zum Straßenbil­d von Istanbul, das wollte ich nicht ignorieren. Gleichwohl ging es mir nicht darum, einen politische­n Film zu machen. Ich wollte eine zeitlose Dokumentat­ion jenseits der aktuellen Politik. Wenn man sich den Film in 30 Jahren anschaut, sollen die Zuschauer eine Seite von Istanbul erleben, die sie in üblichen Archivbild­en nicht sehen.

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