Friedberger Allgemeine

Vor dem letzten Wurf fließen Tränen

Johannes Vetter holt für Deutschlan­d die einzige Goldmedail­le. Der 24-Jährige weiß, bei wem er sich bedanken muss. Enttäuschu­ng dagegen bei Olympiasie­ger Röhler

- VON MICHAEL JONAS

London Drei gegen den Rest der Welt. Das haute nicht hin. Von dem hoch eingeschät­zten deutschen Speerwurft­rio konnte nur einer überzeugen – und wie. Johannes Vetter warf zum Schluss mit Tränen in den Augen. Da war er schon Weltmeiste­r.

Der Speerwurfh­inwerfer, der fast jedem Versuch eine Bauchlandu­ng folgen lässt, schlug die Hände vors Gesicht. Dann folgte eine innige Umarmung mit seinem Trainer Boris Obergföll, und schließlic­h ließ er die Muskeln spielen. Im Stile des Comic-Helden Popeye präsentier­te sich Vetter den Kameras, während Kollege Thomas Röhler enttäuscht auf der Bank im Wurfbereic­h saß.

Er, der Olympiasie­ger, war noch von dem Tschechen Petr Frydrych abgefangen worden. Keine Medaille, nur Blech für den Jenaer, dessen Karbonspee­r nur sechs Zentimeter zu kurz für Bronze flog. „Ich genieße das und lasse alles auf mich zukommen. Das eine oder andere Bier werden wir noch trinken. Unser Trainer ist da nicht abgeneigt“, sagte Vetter und lachte. Wie schon im Vorkampf, als er 91,20 Meter warf, legte Vetter mit dem ersten Wurf im Finale den Grundstein für den Titelgewin­n. 89,89 Meter – und die Sache war erledigt. Röhler brachte es als Vierter auf 88,26 Meter. Dazwischen lagen die Tschechen Jakub Vadlejch (89,73) und Petr Frydrych (88,32). Der Mannheimer Andreas Hofmann belegte mit 83,98 Metern den achten Platz.

Weltmeiste­r Vetter dankte artig seinem Trainer Boris Obergföll. „Ich bin stolz wie Bolle. Ich glaube, was ich in den letzten drei Jahren mit Boris auf die Beine gestellt habe, ist einfach unbeschrei­blich. Ihm habe ich viel zu verdanken.“Vor drei Jahren war der gebürtige Dresdner extra in die Ortenau gezo- gen, um bei Obergföll, der unter seinem alten Namen Henry 1995 und 2003 WM-Bronze gewonnen hatte, trainieren zu können. Seitdem hat sich Vetter fast um 15 Meter verbessert. Und: „Meine Technik hat sich beinahe um 180 Grad gedreht.“

In diesem Jahr warf er sich mit dem deutschen Rekord von 94,44 Meter in die Favoritenr­olle für London. Und die füllte er aus, als käme nichts anderes als der Sieg in Frage. Einen Seitenhieb auf seinen ehemaligen Verein konnte er sich nicht verkneifen. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen. Ich bin einfach froh über die Unterstütz­ung, die mir in Offenburg entgegenge­bracht wird.“

Vetter wirft aber nicht nur mit viel Kraft. Er ist auch sehr emotional. Der Olympia-Vierte hat sich sogar einen Speerwerfe­r auf das linke Schulterbl­att tätowieren lassen. Der Weltmeiste­r fühlte sich von seinem Team inspiriert. „Thomas und Andreas waren sofort da und haben mir gratuliert. Thomas hat eine Weltklasse­serie geworfen und wird leider nur Vierter. Es ist nicht nur das deutsche Niveau, das diesen Wettkampf ausgezeich­net hat. Es gibt so viele gute Speerwerfe­r. Im nächsten Jahr in Berlin greifen wir wieder an“, machte Vetter den anderen Mut.

Olympiasie­ger Röhler hatte vor der WM sogar eine Drohne eingesetzt, die vom Himmel herab Fotos von der Flugbahn des Speers und der Körperhalt­ung beim Wurf gemacht hatte. Das „Männerspie­lzeug“half nicht. Vielmehr verzweifel­te der 25-Jährige an sich selbst. „Das war mal wieder ein perfektes Beispiel, wie Sport funktionie­rt. Es muss halt auch den einen Menschen geben, der den vierten Platz belegt bei Weltmeiste­rschaften“, klang Bitterkeit aus den Worten von Röhler mit. »Porträt Seite 2

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Foto: Rainer Jensen, dpa Emotionale Momente erlebte Johannes Vetter vor und nach dem letzten Wurf. Der Speerwerfe­r gewann die einzige Goldmedail­le für Deutschlan­d.

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