Der Herr der Berge
Seinem „Basislager“Adelsried hält Günter Haas seit 57 Jahren die Treue. Doch wenn der Berg ruft, wird er zum Globetrotter. Vier der jeweils höchsten Gipfel eines jeden Kontinents hat er bereits bezwungen
Adelsried Die magische Zahl Sieben fasziniert Bergsteiger. „Seven Summits“werden sie genannt, die höchsten Gipfel der sieben Erdteile. Vier dieser Naturwunder hat Günter Haas bereits erklommen. Sein Debüt als Jäger des Höhenrausches feierte der 57-jährige 2009 in Südamerika. Der 6962 Meter hohe Aconcagua in den argentinischen Anden machte dem abenteuerlustigen Mann aus Adelsried Lust auf mehr. 2015 folgte der 5895 Meter hohe Kibo im Kilimandscharo-Massiv in Tansania, Afrika. Ein Jahr später eroberte Haas den vertikalen Superlativ Europas – den 5642 Meter hohen Elbrus im Kaukasus. Im Mai 2017 führte die Abenteuerlust den Schwaben nach Nordamerika. Ziel: die 6190 Meter hohe Spitze der Alaskakette, der Denali. Das bisher intensivste Bergerlebnis für den Weltenbummler. Die Rucksäcke inklusive Verpflegung, Zelt und restlicher Ausrüstung wogen über 35 Kilogramm. Dazu kamen noch Skier und Stöcke. Diesen Ballast auf eine Höhe von 5000 Meter zu schleppen, ist ohne intensive Vorbereitung mit Kraft- und Ausdauertraining unmöglich. Bevor es auf den Berg geht, muss der Körper sich dann noch vor Ort an die immense Höhe akklimatisieren. „Am Denali haben wir die ganze Zeit von gefriergetrockneter Nahrung gelebt, Tage und Nächte im Zelt verbracht und immer dieselben Klamotten getragen“, berichtet Haas. Dazu kommt die psychische Belastung. Zehn Tage bangten er und sein Bergkamerad Alex im Zelt, ob das vom Wetterbericht angekündigte Zeitfenster noch kommen würde, während draußen minus 30 Grad herrschten, der eisige Sturm mit Windgeschwindigkeiten über 100 Stundenkilometern noch wütender wurde oder es über Nacht einen halben Meter schneite. Der Berg nahe dem nördlichen Polarkreis machte seinem Ruf in Sachen Wetterkapriolen alle Ehre: Nachdem die beiden Bergsteiger zehn Tage im Camp auf 4300 Metern festgesessen waren, kam das Wetterfenster in letzter Sekunde. Innerhalb eines Tages legten die Bergsteiger 2 000 Höhenmeter zum Gipfel zurück. Sie hätten keinen Tag länger oben bleiben können, weil ihnen die Lebensmittel ausgingen. Für den Laien, der sich im Urlaub nach Ruhe und Komfort sehnt, stellt sich die Frage, warum man sich so etwas antun sollte. „Jedes Erlebnis macht uns reicher an Erfahrungen. Diese verändern und bereichern uns. Und die Summe der Erfahrungen ist es, was uns als Mensch ausmacht.“Das klingt nach einsamem Wolf, doch das stimmt nicht: „Man braucht jemanden an seiner Seite, dem man blind vertrauen kann“. Daher ist der befreundete Bergführer Alex die erste Wahl als Bergkamerad. Am Kilimandscharo war die Gruppe größer. Die Kameradschaft hat Haas nie vergessen.
Falls er die Seven Summits irgendwann allesamt erobern will, fehlen Haas noch drei Berge. Der Mount Vinson in der Antarktis, die Carstensz Pyramide in Australien und der Mount Everest in Asien. „Die sind alle nur mit einem Riesenaufwand zu meistern. Ob man das angeht, muss man sich sehr gut überlegen“, so Haas. Als Jäger und Sammler von Superlativen will Günter Haas ohnehin nicht gesehen werden. „Was ich sammle, sind schöne Erlebnisse und persönliche Erfahrungen“, erklärt er.
Derzeit betreibt der Globetrotter freiberuflich einen Gewerbepark in Adelsried. „So kann ich mir meine Zeit relativ gut einteilen, auch für meine sportlichen Herausforderungen“, erklärt er. Dazu zählen neben den hohen Bergen auch Sportarten wie Triathlon, Ultracycling oder Laufen. Die aktuelle Herausforderung dagegen ist Fitness fürs Gehirn. 2013 fing Haas ein Studium der klinischen Psychologie an - „im Alter von 54 Jahren doch etwas ungewöhnlich“, gibt er zu. „Aus den Erfahrungen aus dem Sport heraus weiß ich: In den Grenzbereichen erfährt man viel über sich selbst.“Die Mischung aus sportlichen Erfahrungen und psychologischen Kenntnissen will er nach dem Studium in den beruflichen und privaten Coachings einbringen, die er anbietet. Sein Ziel ist, das Studium im kommenden Jahr abzuschließen. Bis dahin sind sportliche Ambitionen erst mal auf Eis gelegt. „Danach sehen wir weiter“, sagt Haas tiefenentspannt. Ein Mann wie er weiß eben: Manchmal liegt selbst für einen Abenteurer in der Ruhe die Kraft.
Mehr im Internet: www.ghaas.de
Sommerserie In loser Folge stellen wir auf „Region Augsburg“Menschen vor, die im Urlaub keine Souvenirs sam meln, sondern Erlebnisse – und Ge schichten erzählen können. Wenn auch Sie Erinnerungen – also Alpenpässe, Kul turhauptstädte, Pilgerwege, Sonnenauf gänge oder was auch immer – sam meln, dann schreiben Sie uns: region@augsbruger allgemeine.de