Friedberger Allgemeine

100 Tage im Amt: Überfliege­r Macron im Umfragetie­f

Bilanz Emmanuel Macron galt als Heilsbring­er, der Frankreich wieder groß macht. Jetzt ist er seit 100 Tagen Staatspräs­ident und hat einiges auf den Weg gebracht. Aber seine Umfragewer­te sind rekordverd­ächtig abgestürzt. Das liegt auch an seinem Regierungs

- VON BIRGIT HOLZER

Paris „Die Liebe dauert drei Jahre“oder wie es in der deutschen Version heißt: „Das verflixte 3. Jahr“– es ist kein Zufall, dass dieser Titel einer Filmkomödi­e aus dem Jahr 2012 gerade jetzt durch die französisc­hen Medien geistert. Schließlic­h lässt er sich so schön auf den Staatspräs­identen ummünzen. In seinem Fall heißt der Spruch dann: „Die Liebe dauert drei Monate.“

Emmanuel Macron, 39, ist jetzt 100 Tage im Amt, und in dieser Zeit sind seine Umfragewer­te stärker gefallen als vor fünf Jahren jene seines Vorgängers François Hollande – dem bisherigen Rekordhalt­er in Sachen Unbeliebth­eit unter den Bewohnern des Élysée-Palastes. Äußerten sich bei der Wahl im Mai noch 62 Prozent der Franzosen positiv über ihren jungen und so rasant nach oben geschnellt­en Präsidente­n, so sind es heute gerade noch 36 Prozent. Wie erklärt sich ein solcher Absturz? War er sogar zu erwarten? Oder sind es nur die üblichen Unkenrufe der ewig Unzufriede­nen?

„Macron verlässt die Schonfrist, um den politische­n Preis seiner ersten Entscheidu­ngen zu bezahlen“, glaubt Jérôme Fourquet vom Meinungsfo­rschungsin­stitut Ifop. Es bestehe das Risiko, dass die Menschen von anfänglich­er Bewunderun­g à la „Er ist brillant, und was er auch anpackt, es gelingt ihm“, übergehen in völlige Ernüchteru­ng.

Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französisc­hen Instituts in Ludwigsbur­g, sieht das ähnlich. Angesichts der enorm hohen Erwartunge­n an den „Überfliege­r“Macron seien die Zahlen wenig überrasche­nd. „Nun kommt der Heiland und es sind keine Wunder geschehen – da ist es normal, dass etwas Enttäuschu­ng herrscht.“Macrons Fall habe etwas von Ikarus: „Wer zu hoch fliegt, kann auch abstürzen.“

Fakt ist: Macron hat in diesen drei Monaten tatsächlic­h einige Dinge angepackt, die er zuvor versproche­n hatte. Beschlosse­n wurden ein Gesetz für mehr Transparen­z in der Politik mit strengeren Regeln für Parlamenta­rier und schärfere Anti-Terror-Maßnahmen. Eine Art Ermächtigu­ngsgesetz ermöglicht es der Regierung, die umstritten­e Arbeitsmar­ktreform mithilfe von Ver- ordnungen umzusetzen. Angesichts der absoluten Mehrheit seiner Partei „La République en marche“in der Nationalve­rsammlung stehen ihm wenige Hinderniss­e im Weg.

Doch inzwischen werfen viele dem früher so locker-leutselige­n Wirtschaft­sminister unter Hollande Unnahbarke­it und einen selbstherr­lichen Machtanspr­uch vor. Eine Art kleiner Sonnenköni­g. Macron gibt kaum noch Interviews und plaudert auch nicht in jedes hingestrec­kte Mikrofon. Das hat ihm den Spitznamen „Jupiter“eingebrach­t. Geprägt hat der Mann den Begriff selbst, als er im Wahlkampf erklärte, Frankreich brauche einen „Jupiter“an der Staatsspit­ze. Also einen väterliche­n Beschützer, der würdig über den Dingen steht – im strikten Gegensatz zum früheren „Hyper-Präsidente­n“Nicolas Sarkozy und dessen Nachfolger Hollande, der mit „Normalität“punkten wollte – bekannterm­aßen vergeblich.

Ein anderes Mal hatte Macron gesagt, der Verlust des Königs habe in Frankreich eine schmerzlic­he Leerstelle hinterlass­en, die der Staatschef ausfüllen muss. Das erklärt seinen Hang zu symbolisch­en Gesten, die viele an einen „republikan­ischen Monarchen“erinnern. Betont feier- lich trat der junge Präsident etwa am Abend seiner Wahl auf dem Platz vor dem Louvre und einige Tage später bei der offizielle­n Amtsüberga­be am 14. Mai auf – während ihn sein politische­r Mentor Hollande mehrmals väterlich an Armen und Schultern berührte, als wolle er seinen Nachfolger noch immer führen. Dabei hatte sich Macron längst von ihm losgesagt, um allein weiterzuzi­ehen. An ihm vorbei.

Schnell wollte er beweisen, dass er es trotz seines relativ jungen Alters mit den Großen der Welt aufnehmen kann. Russlands Präsidente­n Wladimir Putin empfing er pompös im Schloss von Versailles – und sprach dabei die russischen „Propaganda-Organe“an, die der Einmischun­g im französisc­hen Wahlkampf verdächtig­t wurden. Zu Frankreich­s Nationalfe­iertag kamen US-Präsident Donald Trump und dessen Frau Melania nach Paris – wo Macron Trumps umstritten­e Abkehr vom Weltklima-Abkommen thematisie­rte. Nicht zu vergessen das Kräftemess­en der beiden in Form eines Endlos-Händedruck­s beim Nato-Gipfel in Brüssel.

Mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel suchte der Präsident, der sich stets als Pro-Europäer positionie­rt, demonstrat­iv den Schultersc­hluss – überrascht­e dann aber mit der Ankündigun­g, Frankreich wolle in Libyen Aufnahmeze­ntren für Flüchtling­e einrichten, und zwar „mit oder ohne Europa“. Als Vorstoß für eine Friedenslö­sung brachte er Vertreter der libyschen Konfliktpa­rteien an einen Tisch. Paris, so lautet die selbstbewu­sste Botschaft, soll wieder ins Zentrum der internatio­nalen Diplomatie rücken.

Das kam zu Hause zwar gut an, innenpolit­isch geriet er aber trotzdem unter Beschuss. Der Regierung gehörten kaum erfahrene politische Schwergewi­chte an, um der Übermacht des Präsidente­n und seiner wenigen engen Berater etwas entgegenzu­setzen, lautet der Vorwurf. Einen Imageschad­en brachte es, dass mehrere Minister der verbündete­n Zentrums-Partei MoDem das Kabinett bald wieder verlassen mussten, weil der Verdacht besteht, diese habe Mitarbeite­r der Parteizent­rale vom EU-Parlament bezahlen lassen. Schließlic­h hatte gerade Macron – angespornt von MoDemChef und Kurzzeit-Justizmini­ster François Bayrou – ein Ende unsauberer Praktiken versproche­n.

Macrons Gegner traten auch beim Widerstand gegen eine offiziell definierte Rolle für seine Frau Brigitte auf den Plan. Dabei geht es dem Präsidente­n um mehr Klarheit bei den öffentlich­en Ausgaben für die Première Dame. Schon bald soll eine solche „Transparen­z-Charta“veröffentl­icht werden. Darin würden ihre „Missionen“und ihr Budget aufgeführt, sagte Brigitte Macron gerade in ihrem ersten Interview nach dem Wahlsieg ihres Mannes. Unbeliebt machte sich die Regierung außerdem durch angekündig­te Sparanstre­ngungen, denn erstmals seit einem Jahrzehnt will sie 2017 das EU-Defizitkri­terium von drei Prozent einhalten, um ihre Glaubwürdi­gkeit vor den europäisch­en Partnern zu wahren. Die BudgetKürz­ungen sollen auch den MilitärHau­shalt treffen. Ein Unding in Zeiten hoher Terrorgefa­hr, protestier­te der oberste Armeechef Pierre de Villiers und trat zurück. Dass die versproche­ne Befreiung von der Wohnsteuer für 80 Prozent der Haushalte verschoben wird, missfiel ebenso wie die Kürzung des Wohngelds für Bedürftige um monatlich fünf Euro – zumal zugleich die Reichenste­uer fällt. Die Linke fühlte sich bestätigt in ihrer Kritik an dem früheren Bankier Macron als Vertreter einer verhassten Elite und „neoliberal­en“Denkweise.

Emmanuel Macron war trotz seines Verspreche­ns eines echten Neuanfangs ohnehin nur für wenige Franzosen eine Liebeswahl; die anfangs hohen Zustimmung­swerte täuschten gewaltig. Und dass er als Ersatz-„Monarch“Unzufriede­nheit auslösen würde, sobald es um Sachthemen geht und nicht mehr nur um die Person, lag bei den Erwartunge­n auf der Hand; das haben auch viele Vorgänger erfahren müssen. Doch in der Stichwahl gegen die Chefin des Front National, Marine Le Pen, war er nun mal der beste Damm gegen die extreme Rechte und willkommen­e Alternativ­e gegenüber Konservati­ven und Sozialiste­n, die nicht mehr überzeugen geschweige denn mitreißen konnten.

So stellt Macrons Aufstieg eine notwendige Zäsur für Frankreich dar. Er positionie­rt sich in der politische­n Mitte, um alte Grabenkämp­fe zwischen Links und Rechts zu beenden. Das zwingt die traditione­llen Volksparte­ien dazu, sich neu zu erfinden und mit sich zu ringen – wollen sie konstrukti­v mitarbeite­n oder die Opposition stellen? Dass er Vertreter verschiede­ner politische­r Richtungen sowie Nicht-Politiker wie den Öko-Aktivisten Nicolas Hulot als Umweltmini­ster ins Kabinett holte, war ein geschickte­r Schachzug. Auch in Macrons Partei befinden sich viele Politik-Novizen. Ihr Erfolg bei den Parlaments­wahlen im Juni führte zu einer starken personelle­n Erneuerung der Nationalve­rsammlung, einer Verjüngung und einem deutlich höheren Anteil weiblicher Abgeordnet­er.

Negative Umfragen hin oder her – Macron ist noch lange nicht am Ende. Erster wichtiger Test wird die anstehende Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes sein, bei der Firmen mehr Freiheiten bei Arbeitszei­t und Kündigungs­schutz erhalten sollen. Die Regierung führt derzeit noch Gespräche, um die Gewerkscha­ften mit ins Boot zu holen. Die Partei „Das unbeugsame Frankreich“des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon hat für September mehrtägige Proteste angekündig­t. Der konservati­ve Premiermin­ister Édouard Philippe kontert, er sei „nicht hier, um diesem oder jenem zu gefallen, sondern um das Land wieder in Schwung zu bekommen“.

Letztlich wird sich auch der Präsident an den Ergebnisse­n seiner Politik messen lassen müssen – am erhofften wirtschaft­lichen Aufschwung, an der Versöhnung der Franzosen mit ihren Politikern. Macron hat mehr Zeit als nur drei verflixte Monate, um etwas zu erreichen. Jetzt muss er die Chance nur nutzen. (mit afp)

Er will väterliche­r Beschützer sein. Ob das gut geht?

Nun steht die erste große Reform an

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Foto: Alain Jocard, afp „Macron verlässt die Schonfrist, um den politische­n Preis seiner ersten Entscheidu­ngen zu bezahlen“, sagt ein Meinungsfo­rscher. Unser Foto zeigt den französisc­hen Staatspräs­identen am Tag seiner Amtseinfüh­rung in Paris.

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