Friedberger Allgemeine

Gefährlich­e Lücken bei der Terrorabwe­hr

Hintergrun­d Bis die neuen Sicherheit­spakete der Regierung ihre volle Wirkung entfalten, dauert es noch

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Dass islamistis­che Mörder überall und jederzeit zuschlagen können, haben die tödlichen Terroratta­cken von Barcelona und Turku wieder einmal auf abscheulic­he Weise gezeigt. Und damit erneut den Blick auf die Sicherheit­slage in Deutschlan­d gelenkt. Die Bundesregi­erung hat in den vergangene­n Monaten viel unternomme­n in Sachen Terrorabwe­hr. Doch ein großer Teil der beschlosse­nen Neuerungen ist entweder noch nicht umgesetzt oder wirkt noch nicht.

Nachdem der Tunesier Anis Amri im Dezember mit einem Lastwagen auf dem Berliner Weihnachts­markt zwölf Menschen tötete, wurden nicht nur Gesetze verschärft. Auch eine bessere personelle und technische Ausstattun­g von Polizei und Geheimdien­sten brachte die Große Koalition auf den Weg. Zwischen dem Anspruch der Regierung und der Wirklichke­it der Terrorbekä­mpfung allerdings klafft derzeit eine gewaltige Lücke. Im Vergleich zu den deutschen Behörden gelten etwa die Sicherheit­skräfte in Spanien oder Großbritan­nien als deutlich besser auf die islamistis­che Terrorgefa­hr eingestell­t.

Das hat auch historisch­e Gründe. In Spanien mordeten und bombten jahrzehnte­lang baskische Eta-Separatist­en, auf der britischen Insel die Terroriste­n der IRA. Mit den verheerend­en Zug-Anschlägen von Madrid und London 2004 und 2005 erreichte die aktuelle islamistis­che Terrorwell­e Spanien und Großbritan­nien weit früher als Deutschlan­d. Die Sicherheit­skräfte dort haben ihre Anti-Terror-Kapazitäte­n in der Folge immer weiter ausgebaut.

In der Bundesrepu­blik wachte die Politik erst nach dem Weihnachts­markt-Anschlag wirklich auf. Doch die zusätzlich­en Polizisten und Geheimdien­stler, die das Land beschützen sollen, müssen erst gefunden, eingestell­t und ausgebilde­t werden. Aktuell aber fehlen laut Polizeigew­erkschaft rund 20000 Polizisten, die Dienststel­len schieben einen riesigen Wust an Überstunde­n vor sich her. Zudem steht eine gewaltige Pensionier­ungswelle an. Gleichzeit­ig steigt die Zahl der islamistis­chen Gefährder. Rund 700 Personen trauen die deutschen Behörden einen Terroransc­hlag zu.

Eigentlich müsste jeder Gefährder rund um die Uhr überwacht werden. Doch das ist kaum möglich. Bis zu 40 Beamte, so heißt es, sind nötig, um einen einzigen Verdächtig­en dauerhaft zu beschatten. Auch die jüngst eingeführt­en, bundesweit einheitlic­hen Kriterien zur Bewertung der Gefährlich­keit einer Person wurden zuletzt noch nicht flächendec­kend eingesetzt.

Wie die tödliche Messeratta­cke in Hamburg vor gut drei Wochen zeigte, passieren bei der Einschätzu­ng des Terrorrisi­kos von Verdächtig­en schlimme Fehler. Der Täter, der in einem Supermarkt einen Mann erstach, war als Islamist bekannt. Bei Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri, einem bekannten Gefährder, wurde die Überwachun­g eingestell­t – ein fataler Irrtum. Jüngste Beispiele zeigen zudem, dass selbst Gefährder oft nur schwer abzuschieb­en sind.

Auch bei der technische­n Ausstattun­g hinken die Sicherheit­sorgane hinterher: Bis zur kompletten Vernetzung der deutschen Polizeicom­puter ist es noch ein weiter Weg. Und wenn Terroriste­n etwa mit hochversch­lüsselten MessengerD­iensten kommunizie­ren, hat der Staat meist keine Chance, mitzulesen. Während die Terrormili­z Islamische­r Staat militärisc­h fast geschlagen ist, ruft der IS über das Internet seine Anhänger weltweit zu Anschlägen auf – mit einfachen Mitteln wie Messern oder Lieferwage­n. Die perfide IS-Strategie wird die Behörden in den kommenden Monaten vor gewaltige Herausford­erungen stellen – während sie noch darauf warten, dass die beschlosse­ne Verstärkun­g bei ihnen ankommt.

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Foto: Rehder, dpa Terrorabwe­hr Übung in Schleswig Holstein: Die beschlosse­nen neuen Polizisten und Geheimdien­stler müssen erst gefunden und ausgebilde­t werden.
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Foto: dpa Bürger von Turku gedachten der Opfer des Terroransc­hlags.

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