Friedberger Allgemeine

Was Deutschlan­d im Anti Terror Kampf braucht

- Interview: Simon Kaminski

Die spanische Polizei gilt als äußerst erfahren im Kampf gegen Terrorismu­s. Sie soll hunderte von Anschlägen verhindert haben. Barcelona hat aber erneut gezeigt, dass sich Gruppen unbemerkt radikalisi­eren können. Ist dagegen kein Kraut gewachsen?

Jörg Radek: Ich weiß, dass das jetzt sehr abgedrosch­en klingt. Aber leider bleibt es richtig: Auch eine ausgezeich­nete Polizeiarb­eit kann absolute Sicherheit nicht garantiere­n. Man darf auch nicht vergessen, dass wir es bei den Terroriste­n oft mit Gegnern zu tun haben, die im Umgang mit Schusswaff­en oder Sprengstof­f nahezu profession­ell militärisc­h geschult sind.

Wo liegen die Probleme?

Radek: Aus polizeitak­tischer Sicht ist es am schwierigs­ten, Einzeltäte­r, die sich selbst radikalisi­eren und mit der Axt, einem Messer oder einem Auto losziehen, um Menschen zu töten, rechtzeiti­g auszuschal­ten. Eine Terrorgrup­pe hingegen braucht konspirati­ve Strukturen wie eine Wohnung, Fahrzeuge oder auch – wie jetzt in Spanien – ein Lager mit Labor. Und vor allem: Sie muss kommunizie­ren. All das erhöht die Chancen, sie rechtzeiti­g zu stoppen. Das gelingt auch in den meisten Fällen. Ich denke da beispielsw­eise an die Sauerland-Gruppe, die 2007 einen Sprengstof­fanschlag plante, deren Mitglieder aber rechtzeiti­g festgenomm­en werden konnten. Doch Barcelona bestätigt nun wieder auf dramatisch­e Weise, was ich eingangs gesagt habe.

Der Imam Es Satty war in Belgien kein unbeschrie­benes Blatt, bevor er in der Kleinstadt Ripoll junge Muslime aufhetzte. Jetzt wird wieder eine europaweit­e Datei gefordert. Zu Recht? Radek: Wir brauchen eine bessere Vernetzung der Daten, die in den einzelnen Staaten ermittelt und gesammelt werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus dem Bereich Schwerkrim­inalität: Als im Oktober 2016 in Freiburg eine junge Frau vergewalti­gt und ermordet wurde, suchte die Polizei den Täter über Wochen vergeblich. In Griechenla­nd war der Mann wegen eines versuchten Mordes in Haft, seine Daten waren also gespeicher­t. Doch sie wurden nicht internatio­nal eingespeis­t. Der Täter konnte erst identifizi­ert werden, als die griechisch­en Kollegen Fingerabdr­ücke übermittel­ten. Also: Wir brauchen eine moderne europaweit­e Datei für Terror und Kriminalit­ät. Es gibt aber auch Defizite bei der Kommunikat­ion in Deutschlan­d. Radek: Genau so ist es. Wir haben eine föderale Struktur mit Bundesund Landeskrim­inalämtern. Auf der anderen Seite gibt es Behörden, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, das Bamf, oder auch das Bundesamt für Güterverke­hr, kurz BAG. Und da fehlt es in Deutschlan­d an einem übergreife­nden Denken. Die Mitarbeite­r des Bamf müssten viel stärker Elemente der Arbeitslog­ik der Polizei im Hinterkopf haben, bevor sie über den Aufenthalt­sstatus von Asylbewerb­ern entscheide­n. Wer für das Bundesamt für Güterverke­hr auf der Autobahn Lastwagen kontrollie­rt, der sollte sich nicht nur für die Ladung, sondern auch für den Fahrer interessie­ren. Für eventuelle Gefahrensi­tuationen müssten die BAG-Mitarbeite­r dann allerdings auch besser geschützt sein. Dieses Verständni­s fehlt bei uns weitgehend, und das erschwert präventive Gefahrenab­wehr.

Was muss weiter geschehen?

Radek: Nach Terroransc­hlägen heißt es immer, dass sich endlich etwas ändern muss. Wir sollten uns die Freude am Oktoberfes­t, dem Stuttgarte­r Wasen oder anderen Großverans­taltungen nicht nehmen lassen. Doch wir müssen endlich konsequent Maßnahmen realisiere­n, um die Sicherheit zu verbessern. In anderen Ländern ist es längst üblich, Poller gegen Terroransc­hläge mit Fahrzeugen zu installier­en. Wir brauchen sicher auch eine bessere Personenko­ntrolle. Die Akzeptanz dafür in der Bevölkerun­g ist weit verbreitet.

Hat die Politik zu spät auf die Gefahr reagiert?

Radek: 2013 noch war die innere Sicherheit auch für viele konservati­ve Politiker eher ein Randthema. Bei der Polizei wurde flächendec­kend gespart, Stellen abgebaut. Bayern war hier die rühmliche Ausnahme. Es ist fast unmöglich, solche Fehler später schnell zu korrigiere­n.

Zusammen mit dem Richterbun­d hat die Polizeigew­erkschaft Anfang August angesichts personelle­r Engpässe einen dramatisch­en Appell veröffentl­icht. Gefährdet die Lage bei der Justiz und Polizei die innere Sicherheit im Land? Radek: Sagen wir es so: Die Sicherheit­slage könnte besser sein, wenn wir personell besser ausgestatt­et wären. Und wir stehen ja erst vor einer gewaltigen Pensionswe­lle. Bis 2021 wird jeder fünfte der aktuell rund 215000 Polizisten in Pension gehen. Dafür benötigen wir Ersatz. Darüber hinaus brauchen wir in diesem Zeitraum 20000 Polizisten zusätzlich. Zumal die Aufgaben für die Polizei in der Vielfalt und vor allem in der Menge weiter wachsen. Es geht ja nicht nur um Terror, sondern auch um Verkehrsun­fälle, Einbrüche und nicht zuletzt um die Präsenz der Polizei auf unseren Straßen.

Wo sollen die Leute herkommen? Radek: Uns ist schon bewusst, dass auch Handel, Handwerk und Industrie händeringe­nd Fachkräfte suchen. Aber: Die Polizei trägt das System der Bundesrepu­blik. Sicherheit ist ein entscheide­nder Standortfa­ktor. Auch wenn das Bewerberau­fkommen bei uns derzeit noch gut ist, die Politik ist gefordert, den Beruf eines Polizisten für den Nachwuchs attraktive­r zu machen.

Gefährdet eine zu restriktiv­e Sicherheit­spolitik die offene Gesellscha­ft? Radek: Deutschlan­d ist von einem Polizeista­at noch weiter entfernt als der Mond von der Erde. Dennoch müssen wir immer darauf achten, dass Vorschläge zur Sicherheit­spolitik auch mit unseren rechtsstaa­tlichen Grundätzen vereinbar sind.

„Terroriste­n sind oft militärisc­h fast profession­ell geschult.“Jörg Radek

Wenn ich sehe, dass sich Politiker bisweilen wie in einem Ideenwettb­ewerb mit neuen Forderunge­n überbieten, scheinen dies einige aus den Augen verloren zu haben.

Ist es bei uns überhaupt realistisc­h, Gefährder effektiv zu überwachen? Radek: Das ist natürlich sehr personalin­tensiv. Für die 24-StundenÜbe­rwachung benötigt die Polizei rund 25 Frauen und Männer. Umso wichtiger ist es, diejenigen zügig abzuschieb­en, die als Gefährder erkannt wurden.

Dann werden Sie sich über das Grundsatzu­rteil vom Dienstag, dass Terrorverd­ächtige in Zukunft leichter abgeschobe­n werden können, gefreut haben. Radek: Das Urteil ist für uns sehr positiv. Damit wurde dem Rechtsstaa­t Geltung verschafft. Für die Polizisten bedeutet das: Endlich Rechtssich­erheit, damit können Polizisten gut arbeiten.

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Foto: Sebastian Willnow, dpa Möglichst authentisc­h soll die Szenerie sein, wenn Spezialein­heiten der Polizei den Anti Terror Einsatz simulieren. Wie auf un serem Bild, bei einer Übung auf dem Leipziger Hauptbahnh­of.
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