Dr. Donald und Mister Trump
Der Mann mit den zwei Gesichtern: Erst erhielt der US-Präsident für seine Verhältnisse viel Lob für seine bedächtige Rede an die Nation. Vor seinen Anhängern schaltet er teils härter denn je auf Attacke um. Kämpft Trump schon jetzt um sein Amt?
Phoenix Es ist nur 25 Stunden her, dass Trump eine beachtliche Rede an die Nation hielt, in den Mantel präsidialer Würde gehüllt, in deren Verlauf er fast 30 Minuten konzentriert einem Gedanken folgte. Zwischen Fort Myer in Virginia und Phoenix in Arizona liegen indes nicht nur 3182 Kilometer, sondern eine ganze Welt. Hier der Präsident. Dort der Wahlkämpfer. In der Nacht zum Mittwoch gibt Trump dem Affen in Phoenix Zucker. Einmal mehr, und nicht zu knapp.
Dies war kein präsidialer Auftritt, Trump ist bereits im Wahlkampf, hat ihn eigentlich nie beendet. In der Halle von Phoenix kann er der Rockstar sein ohne all die Lästigkeiten und Bürden des Amtes. Trump blendet die Rolle des Präsidenten einfach aus. Er badet im Applaus, schließt sich an die Basis an, saugt Energie aus den Sprechchören. Ein gegenseitiges Aufladen.
Trump tritt bei solchen Kundgebungen auf wie jemand, den sie in den USA „third party candidate“nennen. Ein Unabhängiger, ein Kandidat ohne Partei. Das ist einerseits kurios, angesichts der republikanischen Partei, auf deren gebeugtem Rücken er ins Weiße Haus kam. Andererseits setzt Trump systematisch genau das fort, was er 2016 be- gonnen hat. Er gibt den Volkstribun, den Außenseiter, den ungehobelt populistischen „Endlichsagt’s-mal-Jemand“, wie ihn viele Leute lieben. Als hätte der Wahlkämpfer auf der Bühne nichts mit dem regierenden Präsident in Washington zu tun.
Trump beginnt seine Rede zurückhaltend, noch ahnt man den Präsidenten. Er erinnert daran, wie er noch am Vortag zur Einheit aufgerufen hatte – und alles hätte so friedlich weitergehen können. Aber für staatstragende Worte war Trump nicht nach Phoenix gekommen, er streift das Präsidentenhafte rasch ab. Es beginnt ein erstaunlicher Freiflug durch die Fakten.
Minutenlang wiederholt Trump seine Position zu Rassisten und Neonazis in den USA. Scheinbar angefasst, beleidigt. Tut so, als habe er nach den gewalttätigen Zusammenstößen bei einer Rassistendemo in Charlottesville sofort und sehr eindeutig reagiert, auch den Ku-KluxKlan und andere Ultrarechte abgelehnt.
„Perfekt“seien seine Worte zu Charlottesville gewesen, von Beginn an, sagt Trump. Dabei war er für seine als verharmlosend wahrgenommene Reaktion auf Charlottesville besonders auch in den eigenen Republikaner-Reihen scharf kritisiert worden. Er hatte die Gewalt, bei der eine Frau von einem mutmaßlichen Rechtsextremen mit einem Auto getötet worden war, „vielen Seiten“zugesprochen. Er nannte Neonazis und Rassisten erst Tage später beim Namen, um danach wieder auf seine ursprüngliche Reaktion zurückzufallen. Was Trump in Phoenix behauptet, stimmt objektiv nicht. Der Präsident sagt schlicht nicht die Wahrheit.
Es sei alles nur die Schuld der Medien, sagt Trump, den selten großen Sturm des Protests aus der Gesellschaft nach Charlottesville ignorierend. Doch dass Trump bei Veranstaltungen wie diesen auf den Medien herumhackt, ist mittlerweile Standard. Doch in Phoenix geht er noch weiter: Er sprach Journalisten die Liebe zu ihrem Land ab; das ist gerade in Amerika starker Tobak. „Die Reporter mögen unser Land nicht.“So viele Lügen, sagt Trump. Da nur so wenige angemessen berichteten, brauche er seine eigenen Kanäle in den sozialen Medien. „Die einzigen, die Hassgruppen eine Plattform bieten, sind die Medien und die Fake-News-Medien“, sagt Trump, der ein ganzes Drittel seiner Redezeit der Medienschelte widmet. „Sie erfinden Geschichten, in vielen Fällen haben sie keine Quellen.“Dann behauptet der Präsident, verächtlich abwinkend und kopfschüttelnd, die Kameras hinten in der Halle würden gerade ausgeschaltet, weil er sich so kritisch äußere, „seht, wie die roten Lichter ausgehen“. Natürlich senden alle Sender weiterhin live.
Weiter geht es mit der Trump’schen Sicht der Dinge: Nur ganz wenige Protestler seien vor der Halle. Im echten Leben waren es tausende, sagt die Polizei. Trump weist den Vorwurf zurück, das Land zu spalten: „Unsere Bewegung ist eine Bewegung, die auf Liebe aufgebaut ist“, sagt er.
Trump hat schlechte Tage und reichlich Nackenschläge hinter sich. Zuletzt machten ihm auch schlechte Umfragewerte aus Bundesstaaten zu schaffen, die für seine Wahl zum Präsidenten entscheidend waren: Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Wenn ein Schnitt von nur noch 35 Prozent Zustimmungsrate Ausdruck beginnender Entfremdung mit der Basis ist, muss der Präsident wohl dringend auf Wahlkämpfer umschalten.
Im November 2016 wählte Arizona Trump mit 49 Prozent. Jetzt im August liegt seine Zustimmung dort bei 42 Prozent – möglicherweise zu wenig für einen Wahlsieg. Trump setzt auf sein altes Wahlkampfthema, die Mauer zu Mexiko: Garantiert werde er im Herbst den Kongress dichtmachen, wenn der das Gesetz mit den entsprechenden Geldern nicht freigebe, sagt er. Das werden auch die Republikaner mit Interesse gehört haben.
Trump begeistert seine Anhänger mit Verächtlichem über die Demokraten, Attacken gegen Nordkorea und das bestehende Gesundheitssystem. „Amerika zuerst“ruft er, badet reichlich in Selbstlob. Es ist das übliche Muster. Doch selbst der mächtige republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagt laut New York Times, er sei nicht sicher, ob Trump seine Präsidentschaft werde retten können. Doch hier in Phoenix wirkt Trump mehr denn je entschlossen, mit allen Mitteln um seine Präsidentschaft und seine Wiederwahl zu kämpfen.
„Unsere Bewegung ist eine Bewegung, die auf Liebe aufgebaut ist.“Donald Trump über seine Anhänger