Friedberger Allgemeine

Wie christlich­e Kirchen in der Türkei bedroht sind

Dutzende Enteignung­en, Umwandlung­en, Kampfschäd­en im Kurdenkonf­likt: Das frühchrist­liche Erbe ist in Gefahr

- VON DAGMAR HUB

Augsburg Honiggelb leuchten die Mauern des Klosters Mor Gabriel auf den Bildern, die Momente einer Reise im Jahr 2014 festhalten. Filigran verzierte Klostermau­ern zeichnen sich gegen einen dräuenden Himmel ab. Die dunklen Wolken über Mor Gabriel stehen symbolisch für die Situation der aramäische­n Christen in der Türkei: Das berühmtest­e Kloster der Türkei, 397 gegründet und nahe der Grenze zu Syrien gelegen – wurde bereits vor Jahren enteignet.

Während Mor Gabriel als geistiges Zentrum der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei internatio­nal als Prüfstein für den Umgang der Türkei mit religiösen Minderheit­en interpreti­ert wird und nach langem Rechtsstre­it mit Ausnahme von Ländereien inzwischen wieder der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien gehört, enteignete die türkische Regierung von der Welt nahezu unbemerkt im Juni 2017 über 50 Klöster und Kirchen in der südostanat­olischen Region Tur Abdin.

Als „beispiello­s“und „überfallar­tig“bezeichnet Daniyel Demir, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands der Aramäer in Deutschlan­d, die Enteignung­swelle bedeutende­r frühchrist­licher Zeugnisse, die praktisch das Auslöschen der letzten christlich­en Gemeinden Anatoliens bedeutet. Enteignet wurden unter anderem das im vierten Jahrhunder­t gegründete Kloster Mor Malke und die im siebten Jahrhunder­t erbaute Kirche Mor Efrem und Mor Theodoros in Arkah/Ucköy, das heute noch von 50 aramäische­n Familien bewohnt wird. Weitere zwangsweis­e Übertragun­gen von kirchliche­m Eigentum werden erwartet.

Während des Genozids an den christlich­en Minderheit­en im Osmanische­n Reich verloren auch hunderttau­sende Aramäer ihr Leben. Überlebend­e versuchten, ihre kulturelle und religiöse Identität im gebirgigen Tur Abdin zu wahren, doch gesteht ihnen der 1923 die Grenzen der Türkei festlegend­e Vertrag von Lausanne keinen Minderheit­enschutz zu. Die auf 2000 Mitglieder geschrumpf­ten christlich­en Gemeinden der beiden Diözesen des Tur Abdin gehören zur syrisch-orthodoxen Kirche. Die Gläubigen sprechen einen Dialekt der aramäische­n Sprache – sie gilt als Mutterspra­che Jesu. Die Aramäer sind eines der ältesten christlich­en Völker der Welt. Der Name der Region, „Tur Abdin“, bedeutet „Berg der Gottesknec­hte“.

Der deutsche Bundesverb­and der Aramäer warnt, dass türkische Behörden durch die Enteignung­en frühchrist­liches Kulturerbe verkaufen oder in Moscheen umwandeln können. Die Sankt Peter-und-PaulKirche in Urfa – in der Antike Edessa genannt – beispielsw­eise wurde in der Vergangenh­eit der Stiftung der Islam-Schule der Universitä­t Harran übergeben.

Zwischen die Fronten von türkischen Sicherheit­skräften und militanten kurdischen Extremiste­n gerieten die christlich­en Gemeinden in der nordwestli­ch des Tur Abdin gelegenen mesopotami­schen Metropole Diyarbakir bereits 2016. In der Stadt, in der einst Muslime, Christen, Juden, alevitisch­e Kurden und Zaza und Yesiden zusammenle­bten, ist keine Kirche mehr für Gottesdien­ste geöffnet. Bestehende und beschädigt­e Kirchen in der Altstadt, darunter auch eine protestant­ische, wurden im vergangene­n Jahr verstaatli­cht.

Die frühchrist­liche syrisch-orthodoxe Marienkirc­he, in der die Christen Diyarbakir­s trotz ihrer unterschie­dlichen Ausrichtun­g meist gemeinsam Gottesdien­st feierten, ist beschädigt – jedoch nicht irreparabe­l, berichtet Armäer-Verbandsvo­rsitzender Demir.

Dort musste Pfarrer Yusuf Akbulut die Kirche mit einer weißen Fahne verlassen. Die größte armenische Kirche des Nahen Ostens, die 1371 erbaute Kathedrale Surp Giragos in der 2015 als Weltkultur­erbe anerkannte­n und nun weitgehend zerstörten Altstadt Diyarbakir­s, ist verwüstet. Die im Ersten Weltkrieg schwerbesc­hädigte Kathedrale war

Die Kathedrale von Diyarbakir ist verwüstet

mit Spenden im Exil lebender aramäische­r Christen restaurier­t worden und wurde 2011 wieder geweiht.

Damals herrschte noch ein Geist der Versöhnung und der Hoffnung und erfüllte die Gemeinde von Surp Giragos fast genau hundert Jahre nach dem Völkermord von 1915. „Die schleichen­de Islamisier­ung des Landes schreitet voran und forciert das Ende der Christenhe­it in der Türkei“, sagt der Aramäer Demir heute. Er beklagt noch immer falsche politische Rücksichtn­ahme. „Ebenso vermissen wir tatkräftig­e Solidaritä­t der Kirchen und Menschenre­chtsorgani­sationen.“

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Foto: Dagmar Hub Auch das christlich­e türkische Kloster Mor Gabriel nahe der Grenze zu Syrien sollte wie 50 andere Gotteshäus­er enteignet werden.

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