Friedberger Allgemeine

Draghi verteidigt sich in Lindau

Der Chef der Europäisch­en Zentralban­k hat die Nobelpreis­träger-Tagung eröffnet. In seiner Rede erklärt er, warum für ihn die Politik der EZB erfolgreic­h ist

- VON BENJAMIN WAGENER

Lindau Es ist eine höfliche Rede gewesen. Mit ruhiger Stimme und sorgfältig gesetzten Worten hat der Präsident der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Mario Draghi, die sechste Nobelpreis­träger-Tagung der Wirtschaft­swissensch­aften in Lindau eröffnet und die Geldpoliti­k der nach der amerikanis­chen Federal Reserve wichtigste­n Notenbank der Welt erläutert.

Seine Analyse richtete sich jedoch nicht nur an die 17 Nobelpreis­träger und 350 Nachwuchsö­konomen im Lindauer Stadttheat­er, sondern auch an seine Kritiker in Deutschlan­d. An die Ökonomen und Politiker in München, Stuttgart, Frankfurt und Berlin. An Ifo-Chefs und Sparkassen­funktionär­e, an Bundesbank­er und Finanzexpe­rten. Und Mario Draghis Botschaft war eindeutig: Die expansive Geldpoliti­k der EZB war erfolgreic­h und hat den Euro und Europa nach der Finanzkris­e stabilisie­rt.

„Die Politik, die in den vergangene­n zehn Jahren in der Geldpoliti­k, in Regulierun­g und Aufsicht, gemacht worden ist, hat unsere Welt widerstand­sfähiger werden lassen“, sagte Draghi und verteidigt­e genau die Maßnahmen, die gerade in Deutschlan­d so kritisch beurteilt werden. So sei allein die Existenz des Rettungspr­ogramms OMT (Outright Monetary Transactio­ns), das Staatsanle­ihenkäufe für kriselnde Staaten in unbegrenzt­er Höhe vorsieht, hilfreich gewesen.

Die Zentralban­k musste das Notfallsys­tem allerdings nie in Kraft setzen, „die Tatsache, dass die EZB das Instrument zur Verfügung gehabt hat, hat ausgereich­t, die Erwartunge­n so zu steuern, dass es gut ausgeht“, erläuterte Draghi. „Damit hat das Programm eine entscheide­nde Rolle gespielt, die Eurozone zu stabilisie­ren.“

Der EZB-Chef erinnerte mit diesen Worten an die Zeit vor gut fünf Jahren, als er mit seiner berühmten „Whatever-it-takes“-Rede auf einer Investoren­konferenz in London den OMT-Beschluss im Oktober 2012 vorbereite­t hatte. In der britischen Hauptstadt hatte Draghi damals angekündig­t, alles („Whatever it takes“) zu unternehme­n, um die Eurozone zu retten. Und er hatte Erfolg: Die Finanzmärk­te beruhigten sich und die Zinsabstän­de zwischen spanischen und italienisc­hen Staatsanle­ihen auf der einen Seite und den als ausfallsic­her geltenden deutschen Bundesanle­ihen auf der anderen Seite gingen zurück.

Zudem wies Mario Draghi die Gefahr als nicht zutreffend zurück, dass die EZB mit ihrer Niedrigzin­spolitik jeden Handlungss­pielraum aus der Hand gegeben habe – ein Vorwurf, der ebenfalls regelmäßig von deutschen Ökonomen erhoben wird. „Die Forschung hat bestätigt, dass Zentralban­ken auch an der effektiven unteren Zinsgrenze nicht machtlos sind. Wenn sie bereit sind, ungewöhnli­che Wege zu gehen, dann können sie das Ziel der Preisstabi­lität auch unter den denkbar ungünstigs­ten Umständen verfolgen“, erklärte der Notenbanke­r.

Nach seiner Rede saß Draghi im Gang des Stadttheat­ers in Lindau und telefonier­te. Dunkler Anzug, offener Blick, charmantes Lachen. Für die Nachwuchsö­konomen, die nicht an dem 69-jährigen Italiener vorbeihusc­hten, stand der EZBPräside­nt auf und grüßte mit Handschlag.

In Lindau standen solche Augenblick­e der Nahbarkeit in unwirklich­em Kontrast zur großen Macht- fülle des Notenbanke­rs, der mit einem Wort die Börsen der Welt bewegen kann. Noch in dieser Woche fährt Draghi zur Finanzkonf­erenz von Jackson Hole im US-Bundesstaa­t Wyoming. Dort hoffen die Märkte auf ein weiteres Zeichen, ob und wann die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrem Ausstieg expansiver Geldpoliti­k beginnt – und zwar von dem Mann, der in Lindau keinerlei Zweifel daran gelassen hat, dass er auch künftig alles zu tun gedenkt, um den Euro zu schützen.

Draghi hat vor den Ökonomen am Bodensee klargemach­t, dass er das Weltfinanz­system noch lange nicht für vollkommen abgesicher­t hält. „Wir müssen uns auf neue Herausford­erungen vorbereite­n“, sagte er – und wandte sich vor allem an seine Kritiker aus der Politik. „Wenn sich die Welt wie vor zehn Jahren in der Finanzkris­e ändert, muss die Politik angepasst werden“, erläuterte er. „Eine solche Anpassung, die niemals leicht ist, erfordert eine uneingesch­ränkte, ehrliche Einschätzu­ng der neuen Realitäten mit klarem Blick, der nicht durch Paradigmen belastet ist, die ihre Erklärungs­kraft verloren haben.“

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Foto: Christian Flemming EZB Chef Mario Draghi bei seiner Rede in Lindau.

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